O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Buch

Agentenchaos und Konzertakquise

Silke Aichhorn ist Künstlerin und Unternehmerin in Personalunion. Die freischaffende Harfenistin managt sich selbst, organisiert ihre Konzerte und Reisen selbst, produziert unter eigenem Label ihre mittlerweile 33 Alben umfassenden Aufnahmen mit Konzerten für Harfe, von Klassik bis Pop, von Barockmusik bis Kammermusik, von Oper bis Crossover. Sie tritt sowohl bei großen Konzerten als auch bei kleinen Veranstaltungen auf, ist Dauergast bei Beerdigungen und Hochzeiten, aber auch in Krankenhäusern und im Hospiz. Ihr musikalischer Alltag ist nicht glamourös, wie man das vielleicht vermutet. Sie muss sich mit dem normalen Alltagswahnsinn herumschlagen, für Aufnahmen oder Konzerte jede Menge bürokratische Hindernisse aus dem Weg räumen und gegen den Dilettantismus von selbsternannten Konzertveranstaltern und Möchtegernagenten kämpfen. Am Ende aber siegt immer die Musik, und die Harfe beherrscht die Powerfrau, die nebenbei auch noch eine Familie mit zwei Töchtern hat, in Vollendung, davon zeugen neben ihren Audioaufnahmen auch jede Menge Konzertvideos, denn Aichhorn hat auch einen lohnenswerten eigenen YouTube-Kanal.

Über ihren so wenig glamourösen Alltag hat sie 2019 ein herrlich komisches Buch mit dem Titel Lebenslänglich frohlocken geschrieben. Nach dem großen Erfolg ihres Erstlingswerks hat sie vor kurzem die Fortsetzung mit dem bezeichnenden Titel Frohlocken leichtgemacht!? auf den Markt gebracht mit neuen skurrilen Geschichten aus dem Alltag einer Harfenistin. Wieder ist Aichhorn als Engel auf dem Cover zu sehen, doch diesmal mit großen schwarzen Flügeln, die Harfe als kleines Modell in der Hand. Und dieses Foto passt zu den 38 Geschichten in dem 224 Seiten umfassenden Buch, das auch wiederum als E-Book erhältlich ist, natürlich von Aichhorn selbst gelesen. Ihre Bücher und Musikalben hat sie gerade ganz aktuell mit einem eigenen Stand auf der Leipziger Buchmesse präsentiert.

Die Geschichten nehmen in diesem Buch deutlich an Intensität zu, die Kluft zwischen gesundem Menschenverstand und krankmachendem Dilettantismus, dem Aichhorn im Alltagswahnsinn ausgesetzt ist, scheint immer größer zu werden. Ein Grund dafür scheint die zurückliegende Corona-Pandemie zu sein, die durch Lockdowns und viele nicht nachvollziehbare Reglementierungen die Möglichkeiten von freischaffenden Künstlern in dieser Zeit stark eingeschränkt hatte, zum Teil auf Null zurückgefahren. Und wer denkt, nach Abflauen der Pandemie und Aufhebung der Beschränkungen wäre für Künstler wieder Friede, Freude, Eierkuchen, der irrt gewaltig. Kaputte Strukturen, zerstörte Kontakte, finanzielle Defizite lassen die Kulturszene nur ganz langsam wieder zur Normalität zurückkehren. Und auch die Geschichten, die Aichhorn erzählt, zeugen von dieser schweren Bürde, auf die sie schon in ihrem Vorwort eingeht.

Diverser E-Mail-Verkehr oder nacherzählte Telefonate mit Veranstaltern und Agenten zeigen das Chaos, dem sich Aichhorn mit unerschütterlicher Gelassenheit  und einem bayrisch dicken Fell stellt. Ihr Lebensmotto lautet: „Bevor I mi aufreg, is ma liaba Wurscht!“ Wenn Zuschauer sie nach einem zweistündigen Konzert fragen, was sie eigentlich beruflich mache, dann pflegt sie zu antworten: „Ich bin im richtigen Leben eigentlich Metzgereifachverkäuferin.“ Am Ende aber siegt wieder die Musik, die Kunst, die Harfe. Und natürlich gibt es wieder wie im ersten Band herrlich komische Geschichten von „Gruft-Muggen“, so nennen Künstler gerne ihre musikalischen Einsätze bei Beerdigungen. Chaotische Hochzeiten mit abstrusen Musikwünschen, arrogante Geschäftsführer von Unternehmern, die die Begleitmusik bei Firmenveranstaltungen als Selbstzweck sehen und Künstler zu subordinierten Befehlsempfängern degradieren. Auch mit dem Thema Gage, unter Künstlern eher ein Tabuthema, geht Aichhorn durchaus offensiv um, insbesondere wenn Veranstalter die Gage zu drücken versuchen mit dem Argument „Sie sind doch verheiratet!“ Willkommen im Jahr 2023! Interessant auch eine Geschichte über einen Rezensenten, der mangels fachlicher Kenntnisse über Harfen und Harfenmusik sie lieber auf ihre Kleidung und Schuhe reduzieren möchte. Man leidet auch in diesem Buch wieder mit der Autorin, wenn sie über lange Nachtfahrten im Auto, Wetterwidrigkeiten oder Borniertheit von Veranstaltern spricht, die sie beim Transport ihrer 40-kg-Harfe gerne alleine lassen.

Geschichten von Eltern und Lehrern, die ihre Kinder bei „Jugend musiziert“ anmelden, dem Wettbewerb, für den Aichhorn in ihrer Region die Aufführungen organisiert, lassen einen erschaudern, wie mit wenig Sensibilität der Nachwuchs überfordert und die Erziehungsberechtigten völlig falsche Vorstellungen über den Stand der Qualifikation ihrer Sprösslinge haben. Es gibt Geschichten vom Wahnsinn im Umgang mit Behörden oder inkompetenten Veranstaltern. Oft dauert es Monate, bis ein Konzert zustande kommt, dann eingeübt, vorbereitet und organisiert wird, bevor es dann kurz vor dem Auftritt aus oft fadenscheinigen Gründen wieder abgesagt wird. Auch wenn die Geschichten im Vergleich zum ersten Band härter und drastischer wirken, bleibt der für Aichhorn so typische trockene Humor nicht auf der Strecke. Sie ist eine unerschütterliche Optimistin, die immer versucht, aus einer schwierigen oder gar aussichtslosen Lage noch das Beste rauszuholen. Kraft schöpft sie dabei aus der Musik, aus der Liebe zu ihrer bayerischen Heimat am Chiemsee und zu ihrer Familie.

Man muss, um dieses Buch und Aichhorn zu verstehen, nicht unbedingt den ersten Band gelesen haben, aber wenn man die „Marke“ Aichhorn als Ganzes erleben möchte, dann sind die beiden Bücher durchaus als eine homogene Einheit zu begreifen, die im Verbund mit  ihren wunderbaren Aufnahmen stehen. Wer die Bücher liest und ihre Alben hört, der wird ein Fan von Silke Aichhorn.

Andreas H. Hölscher