O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Klaus Handner

Kommentar

Theater beendet Triggern

Warnung: Das Lesen des nachfolgenden Textes kann die Gemüter zur Wallung bringen. Lächerlich? Ganz und gar nicht. Seit 2021 werden Menschen vor dem potenziellen Besuch ihres Theaters gewarnt. Nein, nicht von einer rechtsextremen Partei, sondern von den Theatern selbst. Glauben Sie nicht? Na, dann lesen Sie mal die nächste „Triggerwarnung“ Ihres Theaters.

Als die „Triggerwarnung“ in den sozialen Medien auftauchte (siehe Abbildung), stand als erster Kommentar darunter „Bitte, sag, dass es Satire ist“ und dann „Sieht so aus, dass vor dem Abend das Programm so erklärt wird, dass man den Abend nicht mehr besuchen muss“ und schließlich „Schrecklicher, kunstferner Schwachsinn“. Willkommen in einer immer absurder erscheinenden Wirklichkeit. Da wird also dem Publikum dringend abgeraten, eine Aufführung zu besuchen, damit es keinen Schaden nimmt. Bislang sind solche Warnhinweise weitgehend unbeachtet geblieben, weil sie auf den Netzseiten der Theater stehen. Seitdem die sich aber nicht mehr an die geltenden Regeln der deutschen Sprache halten, werden sie nach Möglichkeit vom Publikum gemieden. Ich höre hier schon den Zwischenruf. „Unsere Klickzahlen sind aber nicht gesunken“, werden die entsprechenden Theater im Brustton der Überzeugung behaupten. Tatsächlich sagen die Klickzahlen nichts über die Wahrnehmung der Inhalte aus.

Ist diese „Warnung“ möglicherweise ein Einzelfall, ein Exot, der über das Ziel hinausgeschossen ist? Nein. Also lohnt es, sich damit auseinanderzusetzen. Dass Sie nicht wissen, was eine Triggerwarnung ist, braucht Sie nicht zu beunruhigen. Nicht einmal die Rechtschreibprüfung der Computer-Textverarbeitung kennt sie. Es hilft der Blick in die Wikipedia. Trigger ist ein englischer Begriff und bedeutet auf Deutsch Auslöser. Das Wort stammt ursprünglich aus der Traumatherapie, also der Behandlung seelischer Verletzungen. Es wird mithin davor gewarnt, dass Menschen mit entsprechenden Erfahrungen eine abermalige Verletzung erfahren könnten. Stellen Sie sich vor, Sie seien vor vielen Jahren von einer Schlange gebissen und gerettet worden. Begegnen Sie nun erneut einer Schlange, könnte es sein, dass Sie Angst vor dem Reptil haben. Also wird vor dem Terrarium ein Schild aufgestellt, dass Sie davor warnt, dass es dort Schlangen gibt.

Die Popularisierung des Begriffs fand in den 2000-er Jahren in feministischen Online-Foren statt. Und mindestens seit dieser Zeit ist die Triggerwarnung ein umstrittenes Instrument. Sie erinnert ein wenig an die Warnung vor Stroboskop-Licht bei Theateraufführungen. Das flackernde Licht kann bei Epileptikern erneute Anfälle auslösen, wobei niemand sagen kann, welche zeitliche Disposition erforderlich ist. Epileptiker allerdings wissen sehr wohl um diese Gefahr und brauchen davor nicht extra gewarnt zu werden. Bei allen anderen schürt ein solcher Hinweis unbegründete, aber mehr oder minder unbewusste Ängste, die zum Unwohlsein beim Besuch einer solchen Produktion beitragen.

Triggerwarnungen also als neue Eskalationsstufe einer politischen Korrektheit von Menschen, die vor lauter „Wokeness“ ohnehin schon kaum noch laufen können? Menschen, die allen Ernstes solche Sätze formulieren, die der Netzseite eines Kulturanbieters entnommen sind: „Die Sichtbarkeit und Beendigung der Gewalt gegen alle weiblich-identifizierten Menschen (cisgender, transgender und solche mit fließenden Identitäten, die von geschlechtsspezifischer Gewalt betroffen sind) und heranwachsenden Personen [ist das Thema]. Wir sind davon überzeugt, dass Kunst und Aktivismus zusammenkommend, die Kraft haben, Systeme zu verändern und die Gesellschaft zu reformieren.“ Deutlicher können Theater nicht mehr sagen, dass sie ihre Rolle in der Gesellschaft aufgegeben haben. Kaum erwähnenswert, dass diesem verräterischen Satz gleich eine Triggerwarnung folgt.

„Triggerwarnungen im Theater sind Manifeste der Angst. Wollen wir das? Ich dachte eigentlich, man setzt sich Kunst und Kultur aus, um sich triggern zu lassen“, sagt ein Dramaturg. Und schon jetzt freuen wir uns auf die ersten Triggerwarnungen von Opernhäusern. Da haben die Dramaturgen echt was zu schreiben. Nein, im Ernst. Wenn Theater, die sich eigentlich mit der Rolle von Aktivismus kritisch auseinanderzusetzen hätten, anstatt sich damit zu solidarisieren, sich in Zukunft als moralische Anstalt sehen, als Bestandteil einer Möchtegern-Elite, werden wir nicht mehr über Publikumsschwund zu rätseln haben. Denn das Publikum wird mit den Füßen abstimmen. Es wird den Warnungen der Theater Folge leisten und den Aufführungen fernbleiben. Das vorherzusagen, ist keine Kunst.

Als eine rechtsextreme Partei vor einigen Jahren forderte, man müsse die Bühnenprogramme öffentlich geförderter Theater kritisch überprüfen, ging – zu Recht, weil die Intention zählt – ein Aufschrei durch die Republik. Wenn man das heute verlangt, könnte es dazu führen, dass man die Selbstzerstörung der Kultur in Deutschland noch rechtzeitig stoppt. Und aufgemerkt, liebe Kulturanbieter, bevor Ihr Euch vollends in die Woke-Diktatur einreiht: Noch entscheidet der Steuerzahler, wofür sein Geld ausgegeben wird – und in diesem Fall werden ihm mindestens die Kommunalpolitiker nur allzu gern Folge leisten, wenn auch hier nicht hehre Ziele die oberste Rolle spielen. Aber das ist bei den betroffenen Theatern ja wohl auch nicht der Fall.

Michael S. Zerban

Kommentare geben die persönliche Meinung  des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von O-Ton wieder.