O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Klaus Handner

Kommentar

Noch nicht verstanden

Das Marketing der institutionalisierten Kulturhäuser soll richten, was den Kulturschaffenden offenbar nicht mehr gelingt. Die Werbeabteilung soll das Publikum in die Häuser zurückholen. Das führt oft zu kuriosen Aktionen, die alle eines zeigen: Die Verantwortlichen haben noch nicht verstanden, in welcher tatsächlichen Krise sie sich befinden. Und die ist nicht pandemiebedingt.

Das Theater Hagen verkauft Eintrittskarten zum Schleuderpreis. – Foto © Klaus Bärwinkel

Die Vorfreude war groß. Wenn erst mal der Lockdown vorüber ist, die Theater wieder spielen dürfen, die Konzerthäuser ihre Pforten wieder öffnen können, wird das Publikum in Scharen zu den Spielstätten zurückströmen. Auch, damit die öffentlichen Gelder weiter fließen, wurde fleißig hinter verschlossenen Türen geprobt, vorbereitet – und in die Schubladen für bessere Zeiten gelegt. Es gab nicht den einen, großen Tag, an dem die Kultur ihre Wiederauferstehung feiern konnte. Sondern zögerlich – angepasst an die rechtlichen Vorschriften zur Corona-Bekämpfung – begannen Theater- und Konzerthäuser, ihr Programm wieder anlaufen zu lassen. Der „Neustart“ ging schief. Die Säle blieben leer. Aber schnell hatten die Macher Antworten parat. Das Publikum komme nicht, weil die Angst vor Corona zu groß sei. Das Publikum sei „entwöhnt“. Unabhängige Beobachter zweifelten daran.

Die Theater reagierten prompt, wie etwa das Rheinische Landestheater Neuss, das plötzlich zwei Eintrittskarten zum Preis von einer anboten. Schon da zeigte sich: Es geht nicht um den Eintrittspreis. Zum Schumannfest in Düsseldorf kamen so wenige Besucher, dass erst gar keine Besucherzahlen veröffentlicht wurden. Auch hier gab es schnell fachkundige Antworten. Die Werbung sei völlig inadäquat gewesen. Das war sie in früheren Zeiten aber auch, ohne dass sich das Publikum davon beeindrucken ließ. In der neuen, der aktuellen Spielzeit wird sich zeigen, ob die Annahmen der Theatermacher stimmten. Zwischenzeitlich zeigten die Sommer-Festivals spektakuläre Programme, die, man höre und staune, ausverkauft waren, wie etwa beim Düsseldorf-Festival. Das ist überall nachzulesen, aber es interessiert die Programmverantwortlichen in den Theatern nicht.

Wer zum Spielzeitbeginn etwa außergewöhnliche Programme erwartet hat, sieht sich enttäuscht. Das Theater Krefeld Mönchengladbach feiert sich, weil es mit dem Fliegenden Holländer von Richard Wagner, der vor über 134 Jahren verstorben ist, eröffnet – und wundert sich über die mangelnde Nachfrage beim Kartenverkauf. Vorsichtshalber bietet es noch eine Kombination von Theaterbesuch und Abendessen an. Kulinarisches Theater sozusagen. Ist es also so, dass die Menschen im Theater bislang nicht genug zu essen bekamen und deshalb nicht mehr kommen wollen? Die Absurditäten nehmen kein Ende.

Dieser Tage kündigt das Theater Hagen für die kommenden drei Monate ein „Neun-Euro-Ticket“ an. Halbherzig und am Problem vorbei. Man habe sich zu dieser Maßnahme entschlossen, weil die Abonnementzahlen leicht zurückgegangen seien. Leicht zurückgegangen? Abos sind derzeit in Deutschland Kassengift. Und vorsichtshalber hat man die Veranstaltungen aus der Billigeintrittskarte ausgeschlossen, die man für Publikumsgaranten hält. Dass man mit Niedrigpreisen ganz nebenbei die Arbeit der Menschen im Theater entwertet, soll hier gar nicht Thema sein.

Die Aktionen der Marketing-Abteilungen zeigen aber in ihrer Gemeinsamkeit eins: Die Theater weigern sich, ihre Blase zu verlassen. Ganz glücklich lassen sie sich öffentliche Gelder überweisen und versuchen, dem Publikum ihre eigene Welt überzustülpen. Das Publikum hat derzeit ganz andere Sorgen, als sich mit „Problemen“ von Minderheiten auseinanderzusetzen. Das Publikum will nicht mit politischer Korrektheit überfrachtet werden. Und schon gar nicht hat das Publikum Lust, sich in einer ideologisch verfälschten Sprache belehren zu lassen. Statt dafür zu sorgen, dass das Publikum das Theater, das hier stellvertretend für Opern- und Konzerthäuser stehen soll, in möglichst angenehmer Weise zu erreichen, wird es darüber belehrt, dass es das Theater umweltgerecht besuchen soll. Dafür werden die Parkgebühren in die Höhe einer zweiten Eintrittskarte getrieben. Die öffentliche Finanzierung, die dereinst dazu dienen sollte, die Freiheit der Kunst zu garantieren, ist inzwischen von den Kulturschaffenden pervertiert worden zu einem: Wir werden den Menschen schon zeigen, wie sie sich politisch korrekt zu verhalten haben.

Wer den Menschen aufs Maul schaut, hört ganz schnell, warum sie die Kulturinstitutionen meiden. Die halten ihr Geld zusammen, weil sie nicht mehr wissen, wie lange sie mit ihrem Gehalt auskommen, weil sie es konkret brauchen, um ihr Auto in Betrieb zu halten, mit dem sie politisch ganz unkorrekt zur Arbeit fahren müssen. Sie fühlen sich von einer Minderheit ihrer Sprache beraubt und verstehen nicht, warum sie sich in ihrer Mehrheit der Heterosexualität permanent mit sexuellen Deviationen auseinandersetzen sollen. Sie verstehen eine Politik nicht, die nicht das Wohl des eigenen Volkes im Blickpunkt hat, sondern auf Teufel komm raus Sanktionen gegen einen Kriegstreiber durchsetzen will. Und so weiter. Nichts davon findet sich in den Programmen der Kulturschaffenden wieder. Der Intendant des Aachener Theaters will sein Publikum in dieser Spielzeit mit der Hochzeit des Figaro zurückgewinnen.

Theater, Oper, Konzert und Tanz sind in der Krise angekommen, weil ihre Macher ganz offenbar – und nicht erst seit der Pandemie – nicht mehr in der Lage sind, über den eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Dazu zählt übrigens auch der Unwillen, etwa Komponisten der Gegenwart in Opern- und Konzerthäusern ausreichend zu Wort kommen zu lassen. Auch hier glauben die Intendanten, die Weisheit gepachtet zu haben und predigen permanent, dass sich Zuschauer dafür nicht interessieren. Dass sie möglicherweise ihr Publikum dazu erzogen haben, wird ebenso wenig in Frage gestellt.

Die Krise, darüber brauchen wir nicht zu diskutieren, ist da und wird sich weiter verschärfen. Und hier wird tatsächlich dann einmal der Eintrittspreis eine Rolle spielen, denn den wird auch Hagen nach den drei Monaten erhöhen müssen, weil die Energiepreise keine andere Wahl lassen. Die Wege aus der Krise suchen dringend nach einer Lösung. Und dabei ist sicher nicht das Geschlecht des Intendanten entscheidend, sondern seine Intelligenz.

Michael S. Zerban

Kommentare geben die persönliche Meinung  des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von O-Ton wieder.