O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Klaus Handner

Kommentar

Billige Effekthascherei

Wie mache ich auf mein Festival aufmerksam? Am besten, indem ich eine berühmte Persönlichkeit dazu einlade. Noch besser, wenn diese Person in den Medien angefeindet wird. Da kann ich so gut wie sicher sein, dass die deutsche Medienerregung gleich durch die Decke schießt. Ob dem Festival und seinem Anliegen das nützt? Uwe Eric Laufenberg hat eine einfache Antwort: Mir doch egal.

Uwe Eric Laufenberg – Bildschirmfoto

Dass Uwe Eric Laufenberg gern polarisiert, ist ja spätestens seit seiner Zeit als Kölner Opernintendant bekannt. In seiner Position als Intendant des Hessischen Staatstheaters in Wiesbaden ist es da eher ruhig geworden. Nun allerdings hat er einen neuen „Coup“ gelandet. Für die Maifestspiele seines Hauses in diesem Jahr hat er die Opernsängerin Anna Netrebko eingeladen. Weil die sich ziemlich dämlich anstellte, als der russische Präsident Vladimir Putin seinen Angriffskrieg auf die Ukraine startete, indem sie nicht umgehend vor der deutschen Gesinnungspolizei in Mediengestalt in die Knie ging und ihrem Landsmann öffentlich abschwor, wird nun jeder tiefe Atemzug, der auf eine Beziehung zu Putin hindeuten könnte, folgenschwer geahndet. Längst hat die Sängerin inzwischen von einem Anwalt erklären lassen, dass ihre Position klar sei. „Ich verurteile den Krieg gegen die Ukraine ausdrücklich, und meine Gedanken sind bei den Opfern dieses Krieges und ihren Familien“, ließ sie verlauten. Des Weiteren wurde in der Erklärung vom März vergangenen Jahres darauf hingewiesen, dass sie nie eine finanzielle Unterstützung von der russischen Regierung erhalten habe. Darüber hinaus lebe sie in Österreich. „Ich liebe mein Heimatland Russland und strebe durch meine Kunst ausschließlich Frieden und Einigkeit an“, ließ sie sich zitieren. Allein, es hilft nicht. Wer sie einlädt, kann sich einer Schlagzeile, eines medialen Aufschreis sicher sein. Und Laufenbergs Kalkül scheint auch prompt aufzugehen. Unterstützung bekommt er dabei von unerwarteter Seite. Noch bevor die offizielle Pressemitteilung zu den Maifestspielen verschickt ist, üben sich die Stadt Wiesbaden und das Land Hessen in Empörung.

Es sei den ukrainischen Freunden nicht zu vermitteln, „weshalb die Opernsängerin Anna Jurjewna Netrebko bei den Internationalen Maifestspielen auftreten soll. Dieses Verhalten ist höchst unsensibel. Netrebko steht auf einer Sanktionsliste der Ukraine und hat sich bis heute nicht von Putin und seinem Regime distanziert. Wir haben den Intendanten gebeten, auf Frau Netrebko zu verzichten. Leider erfolglos“, heißt es in einer gemeinsamen Erklärung. Die nun alles andere als ehrenwert ist. Der Hinweis, die Sängerin stehe auf „einer Sanktionsliste der Ukraine“, ist in einer deutschen Regierungserklärung mehr als diskussionswürdig. Und bis heute hat der Künstlerin niemand mitgeteilt, was sie eigentlich noch unternehmen muss, um sich „von Putin und seinem Regime zu distanzieren“. Aber wer in die Empörungsfalle tappt, unternimmt das gern mit Schwung und Elan. Und so ließ Staatsminister Axel Wintermeyer, Chef der Hessischen Staatskanzlei, auch gleich noch Konsequenzen verkünden. Ministerpräsident Boris Rhein werde seine Schirmherrschaft ruhen lassen, und ein „Vorempfang“ werde abgesagt. Wenn die Deutschen jemanden an den Pranger stellen, dann auch richtig. Die Europa-Union, eine Bürgerinitiative, die sich nach eigenen Angaben für die Einigung Europas engagiert, versteigt sich sogar dazu, Netrebko als „Putin-Gefolgsfrau“ zu bezeichnen und kündigt Demonstrationen im Falle ihres Auftritts an.

Man könnte auch sagen: Dann lasst doch das Volk vulgo das Publikum entscheiden. Die empfindlichste „Strafe“ wäre ja sicher für Laufenberg, wenn sich die Sopranistin als Kassengift erwiese. Das Publikum der Alten Oper in Frankfurt hat schon mal entschieden. Für ein Konzert, das Netrebko am 28. Januar dort gibt, müssen für eine Eintrittskarte zwischen 100 und 300 Euro hingeblättert werden. Das Konzert ist so gut wie ausverkauft.

Etwas mehr Nachdenklichkeit und Gelassenheit hätten sicher keinem der Beteiligten geschadet. Dann hätte Laufenberg vielleicht eine bekannte Persönlichkeit gefunden, die mit dem Thema der diesjährigen Maifestspiele, die vom 30. April bis zum 31. Mai stattfinden, auch nur entfernt etwas zu tun gehabt hätte. Man hätte den Auftritt von Netrebko als einen unter vielen nehmen können, der er ja nicht mehr ist. Dann wäre nicht untergegangen, was doch ein so wichtiges Anliegen sein soll: Denn das Thema lautet nicht, wie ein Blick auf die Netzseite vermuten ließe, „Die Welt zu Gast in Wiesbaden“, sondern „politisch Gefangene“. Und das ist mit Sicherheit ein wichtigeres Thema als ein Auftritt von Anna Netrebko.

Michael S. Zerban

Kommentare geben die persönliche Meinung  des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von O-Ton wieder.