O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Michael S. Zerban - Foto © Lennart Rauße

Kommentar

Schluss mit der Hysterie

Zwei Reisende werden nach eigenen Angaben im Düsseldorfer Hauptbahnhof in unbotmäßiger Weise von der Polizei angegangen. Die immer wieder gepredigte Formel „Wir lassen uns nicht bange machen” greift offenbar nicht mehr. Aber wenn sich die Polizei auf das Niveau von Bürgerwehren herablässt, wird es bedenklich.

Mithkal Alzghair in dem Stück Displacement – Foto © Stavros Photography

Bislang hat der Journalismus bei nahezu jeder größeren Krise versagt. Und jedes Mal noch viel Geld damit verdient, seine Fehler Jahre später in Dokumentationen aufzuarbeiten. Dem so genannten Terrorismus sieht er sich in keiner Weise mehr gewachsen. Um es zu überspitzen: Jeder Sack Reis, der in China umfällt, wird inzwischen als massiver Angriff irgendwelcher Terroristen gedeutet. Was früher ein Amoklauf war, ist heute ein Angriff des so genannten Islamistischen Staates. Völlig unkritisch wird, wie selbstverständlich, darüber berichtet, dass „die Terroristen erschossen wurden”. Menschen, die mit einem Messer „bewaffnet” auf einen Markt zulaufen, werden erschossen? Das muss in einem Rechtsstaat doch Fragen aufwerfen. In den Medien nicht. Warum soll sich der Leser, Hörer, Zuschauer dann darüber Gedanken machen? Warum soll er darüber nachdenken, dass täglich mehr Flüchtlinge ertrinken, über die nicht berichtet wird, als es Opfer irgendwelcher Attentate gibt? Längst haben die Menschen verinnerlicht, dass die Sicherheitskräfte des Staates alles im Sinne einer Terrorismusbekämpfung unternehmen.

Polizisten geraten damit in eine schwierige Lage. Sie haben gelernt, klischeehaft zu handeln. Vornehmer ausgedrückt: Bestimmte Muster zu erkennen. Junge Leute in einem kleinen, alten Auto, das aus den Niederlanden in Richtung Deutschland unterwegs ist, sind für eine Kontrolle immer gut – oft genug erfolgreich, was ihren Marihuana-Konsum angeht. Der Autofahrer, der zu Karneval mit zögerlicher Fahrweise aus der Altstadt kommt, hat oft genug einen Grund dafür und wird günstigenfalls nach erhöhtem Alkoholkonsum an der Weiterfahrt gehindert. Gleichzeitig wird von den Beamten verlangt, dass sie verhältnismäßig handeln. Das wird in dieser Gemengelage offenbar immer schwieriger, wenn schon ein nicht zuordenbarer Koffer auf einem Bahnhof für eine Massenpanik sorgt.

Trotzdem gibt es eine Unschuldsvermutung, es gibt die Menschenwürde und hier und da noch so etwas wie gesunden Menschenverstand. All das hat vermutlich bei einem Vorfall am 2. Juni vollkommen versagt. Mithkal Alzghair und Rami Farah sind syrische Tänzer, die auf Einladung des Tanzhauses NRW von Paris nach Düsseldorf gereist sind. Nach ihrer Ankunft auf dem Hauptbahnhof wurden sie von vier bewaffneten Polizisten nach eigenen Angaben ohne jeden Grund kontrolliert. Was dann geschieht, wird vom Tanzhaus NRW wie folgt wiedergegeben: Ihre Pässe haben sie sofort vorgelegt mit dem Hinweis, dass sie Syrer mit Wohnsitz in Paris sind und kein Deutsch sprechen. Ab diesem Moment, so die Künstler, wurden sie wie Terroristen behandelt, rüde, mit vorgehaltener, entsicherter Waffe und in aller Öffentlichkeit an die Wand gestellt. Auf Nachfrage durch Alzghair, warum man sie so brutal behandele, hieß es durch einen der Polizisten: „Because you are dangerous”. Weitere Versuche zu erklären, dass sie sich im Rahmen einer Einladung des Tanzhauses NRW mit ihrer Performance Displacement in Deutschland aufhalten, konnten nichts bewirken. Im Gegenteil, als Farah die Polizisten auf den Missbrauch ihrer Macht hinwies, hieß es: „If you don’t like our treatment you should go back to Syria!”

Wir wissen nicht, ob die Polizisten zu viel ferngesehen haben. Aber wenn die Darstellung stimmt, kann es nicht angehen, dass die Beamten sich einer allgemeinen Hysterie anheimgeben. Wenn Polizisten sich auf das Niveau von Bürgerwehren begeben oder sich wie in einem Sequel von Rambo aufführen, ist es um unsere Sicherheitslage tatsächlich schlecht bestellt. Und nicht nur das. Wenn deutsche Polizisten wie in diesem Fall anscheinend das Augenmaß verlieren, gefährden sie damit direkt unser Verständnis von internationaler Kultur, an dem so viele Menschen in Deutschland seit so vielen Jahren erfolgreich arbeiten.

Es kann und darf nicht sein, dass wir unter dem Deckmäntelchen einer Sicherheit, die es ohnehin nicht gibt, auf unsere wichtigsten Werte verzichten: Menschenwürde und Gastfreundschaft. Denn dann geht in Deutschland das Licht aus. Und daran änderte dann auch ein reflektierter Journalismus nichts mehr.

Michael S. Zerban

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von O-Ton wieder.