O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Programmpräsentation auf PACT Essen, Zeche Zollverein - Foto © Edi Szekely

Hintergründe

Zwischen Umbrüchen und Aufbrüchen

Jahr eins der Intendanz von Stefanie Carp bei der Ruhrtriennale, die in diesem Jahr an mehr als zehn Spielstätten stattfindet. Mit dem Motto Lebensgefühle einer Zwischenzeit soll hier nicht nur die Gegenwart künstlerisch erfahrbar gemacht werden, sondern auch die Grenzen der verschiedenen Genres sollen mehr und mehr verwischen. Hochgesteckte Ziele, die ein aufregendes Programm erwarten lassen.

Christoph Marthaler und Stefanie Carp – Foto © O-Ton

Programmgemäß nach drei Jahren hat Johan Simons die Intendanz der Ruhrtriennale weitergereicht. Die erfahrene und im internationalen Theaterbetrieb bestens vernetzte Stefanie Carp hat in enger Kooperation mit Christoph Marthaler als Artiste associé die Intendanz der Ruhrtriennale 2018 bis 2020 übernommen und gemeinsam mit einem Regieteam ihr neues Programm für 2018 vorgestellt.  Dem eher verbindenden Leitmotiv Seid umschlungen von Simons stellt Carp die gesellschaftlichen Umbrüche und Aufbrüche einer Zeit gegenüber, in der sie die Lebensgefühle einer Zwischenzeit erkennt. In 33 Produktionen und Projekten geht sie den politisch-gesellschaftlichen Veränderungen nach, die sie künstlerisch „grenzgängerisch“ bearbeitet und die nur schwer den bekannten Genres zuzuordnen sind. Carp und Marthaler bewegen sich zwischen den Sparten, „keine reine Oper, kein wirkliches Schauspiel, keine einfache Stück-Uraufführung“. Zudem wird der Besucher häufiger „unfertigen“, unvollendeten Produktionen und Projekten begegnen, in denen auch den Zuschauern andere, ungewohnte Rollen zugemutet werden und ihre Aktivität verlangen. So bringt Marthaler selbst mit der Musiktheater-Kreation Universe, Incomplete Bewegung in die Jahrhunderthalle Bochum. Hier lädt er das Publikum ein, in einem szenisch-musikalischen Raum einen Blick „aus einer entfernten Zukunft auf unser heutiges Leben“ zu werfen.

Zum Aufbruch der Ruhrtriennale gehört auch die Hinwendung zu anderen Kulturkreisen wie etwa dem afrikanischen oder dem arabischen Raum. Der südafrikanische Regisseur William Kentridge lenkt mit seiner Produktion The Head and the Load den Blick auf die Rolle Afrikas während und nach dem Ersten Weltkrieg, dem die Atomphysikerin und Aktivistin Vandana Shiva mit ihrem Vortrag Earth Democracy Now einen aktuellen Rahmen gibt. Matthias Osterwold kuratiert eine Musikreihe unter dem vieldeutigen Titel MaschinenHausMusik, die sich dem Kulturraum des östlichen Mittelmeers zuwendet, der heute von schwersten gesellschaftlich-politischen Unruhen geprägt ist.

Genre-Grenzen verwischen

Mit einer „Operngeschichte in Miniaturformat“ im Projekt Operndolmus bringt die Komische Oper Berlin ein deutsch-türkisches Projekt in die Nachbarschaft des Ruhrgebietes. „Die zentralen Themen der Arien, Duette und Instrumentalnummern sind Heimat, Fernweh und die Frage nach Zugehörigkeit“. Für den Bereich Tanz werden Gäste aus Burkina Faso anreisen, der Exodos findet im Neugriechischen statt, und Mamela Nyamza führt die Besucher tänzerisch noch einmal nach Südafrika.

In der Schauspielsparte  macht die Uraufführung Diamante in einer sechsstündigen Aufführung auf  das Experiment einer „Free Private City“ in Argentinien aufmerksam, und die amerikanische Off-off-off-Broadway-Gruppe Nature Theater of Oklahoma, deren Stück No President sich „zwischen Ballett, Stummfilm und Slapstick“ bewegt, wirft einen anderen Blick auf Amerika – fast wie im „wirklichen“ Leben.  Zu einer Stadtbesichtigung der besonderen Art laden Schorsch Kameruns Nordstadt Phantasien ein, die ungewohnte Blicke auf Dortmunds wenig glamourösen Stadtteil zulassen.

Die Detailprogramme der Jungen Triennale, diverse Installationen, ein ausführliches internationales Festival-Campusprogramm, ein Training für die Zukunft. Ein Preenactment und schließlich ein Liveprogramm aus 53 Chorälen im Salzlager der Kokerei Zollverein sorgen dafür, dass Kunstinteressierte in der Zeit vom 9. August bis zum 23. September im Ruhrgebiet an mehr als zehn Spielorten bei 120 Veranstaltungen mit 33 Produktionen sechs Wochen lang die Qual der Wahl haben. Sie dürfen sich einstellen auf ein vielfältiges, international-politisches, aufregendes und häufig experimentelles Programm, das die Ruhrtriennale erneut als ein zeitgemäßes, kreatives und anstößiges Theaterfestival ausweist, das eine wichtige Funktion der schon reichhaltigen Theaterlandschaft des Ruhrgebietes unterhaltsam und ansprechend wahrnimmt.

Horst Dichanz