O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Lars Langemeier

Hintergründe

Konzertant soll’s gehen

Seit fast 40 Jahren wurde in Wuppertal Richard Wagners mythischer Opern-Vierteiler nicht mehr aufgeführt. Die damalige Produktion in der Inszenierung von Friedrich Meyer-Oertel wurde weit über die Stadtgrenzen hinaus gelobt, lockte aus nah und fern viele Opernfreunde an. Nun kommt in der nächsten Spielzeit sein Der Ring des Nibelungen komplett wieder auf die Bühne – nicht szenisch auf der Bühne des Opernhauses, sondern konzertant in der Historischen Stadthalle unter der Stabführung von Patrick Hahn, Generalmusikdirektor der Stadt.

Patrick Hahn – Foto © Uwe Schinkel

Lange ist es her, dass die Wagnerfreunde gerne Wuppertal aufsuchten, um im Opernhaus Richard Wagners Der Ring des Nibelungen zu genießen. Am 18. März 1984 feierte Das Rheingold Premiere. Am 9. Dezember desselben Jahres wurde Die Walküre auf die Bühne gehoben. Am 24. März 1985 kam Siegfried heraus, schließlich am 15. November 1985 Götterdämmerung. Die Inszenierung des damaligen Operndirektors Friedrich Meyer-Oertel, an der Bühnen- und Kostümbildnerin Hanna Jordan beteiligt war, und unter der Stabführung des Generalmusikdirektors Hanns-Martin Schneidt hatte weit über die Stadtgrenzen hinaus einen hervorragenden Ruf. Schneidts Nachfolger Peter Gülke übernahm das „Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend“, bis in der Spielzeit 1986/87 endgültig der Vorhang fiel.

Dann war in der Stadt Schluss mit der Wagner-Seligkeit. Der Etat der Bühnen schrumpfte, bis man sich ab 1996 mit der Fusion mit dem Musiktheater im Revier Gelsenkirchen zum „Schillertheater NRW“ viel versprach. Sie scheiterte aber 2000. Von Ende 2006 bis Anfang 2009 war das Haus wegen Sanierungsmaßnahmen geschlossen. Als GMD Toshiyuki Kamioka im Sommer 2014 zusätzlich zum Opernintendanten ernannt wurde, schaffte er sofort das Ensemble ab und führte den En-suite-Spielbetrieb ausschließlich mit Gastsängern ein. Dieser Vorgang war ein Novum in einer deutschen Großstadt. Das Konzept katte keine Aussicht auf Erfolg. Kamioka warf schnell im November 2014 das Handtuch und hörte Ende der Saison 2015/16 auf. Ihm folgte Berthold Schneider, der im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten wieder ein kleines Ensemble aufbaute. Seit der Spielzeit 2023/24 zeichnet Rebekah Rota für die Geschicke der Opernsparte verantwortlich. Auch sie kann große Werke kaum stemmen angesichts der Größe des Ensembles, dem acht Gesangssolisten angehören. Auch der Opernchor ist mit derzeit 25 Mitgliedern stark geschrumpft. Es müssten also für Großprojekte viele Gäste engagiert werden, dem der Opern-Etat deutlich seine Grenzen setzt.

Zumindest für die kommende Spielzeit ändert sich etwas. Die Spatzen pfiffen es seit über einem Jahr von den Dächern. Nun hat bei der Spielzeitpräsentation GMD Patrick Hahn die Katze aus dem Sack gelassen: Der Ring kommt wieder. Nur nicht auf der Opernbühne, sondern an vier Abenden konzertant in Wuppertals Historischer Stadthalle. Echte Wagnerianer werden sich wohl wundern, hatte doch der Komponist bekanntlich seine Opern, das Bühnenweihfestspiel Parsifal und besagten Zyklus ausschließlich für szenische Aufführungen geschrieben. Seine exakte Vorstellung für solch einen Umgang mit ihnen realisierte er mit dem Festspielhaus in Bayreuth, das damals wegweisend für andere Opernhäuser war. Bis heute wird weltweit diesen Vorgaben großer Respekt gezollt. Denn in der Geschichte der Wagnerschen Bühnenwerke gibt es nur äußerst wenige Ausnahmen. Derzeit findet noch ein konzertantes Ring-Projekt in Köln statt. Damit realisiert der Dirigent Kent Nagano mit dem Concerto Köln neueste Forschungsergebnisse hinsichtlich der Aufführungspraxis mit Originalinstrumenten zur Entstehungszeit des Rings einhergehend mit neuen Erkenntnissen über die damaligen Spiel-und Gesangstechniken. In jeder Spielzeit wird seit 2023 eins der vier Teile in der Kölner Philharmonie aufgeführt. Nächstes Jahr an Fronleichnam wird die klangliche Erkundungsreise mit der Götterdämmerung zu Ende gebracht.

Eindrucksvoller Aufwand

Nun wird in Wuppertal der Ring quasi aus dem Nichts realisiert. Zwar wird das städtische A-Orchester spielen. Doch ist es mit seinen 88 Planstellen zu klein dafür. Etliche Aushilfen müssen engagiert werden. Da auch die Größe des Opernchors nicht ausreicht, gesellt sich die Karthäuserkantorei Köln hinzu. Außerdem geht es um 36 Rollen, deren Partien bis auf Wellgunde, Siegrune und Zweite Norn in Gestalt von Edith Grossman vom Opernensemble von Gästen gesungen werden müssen. Dazu zählen die einstigen Ensemblemitglieder Thomas Laske als Donner und Cornel Frey als Mime. Auch der inzwischen 74-jährige Bass Kurt Rydl ist mit dabei. Der Inhaber des Wuppertaler Barmer Bahnhofs wird Fafner und Hunding verkörpern. Die weiteren Gesangssolisten, darunter etliche renommierte Wagnerstimmen wie die von Michael Kupfer-Radecky, Gundula Hintz oder Jennifer Johnston, werden unter anderem von weither kommen. Insgesamt sind es rund 20 Gesangssolisten, die auf der Besetzungsliste stehen.

Das Unterfangen, das Gagen, Spesen inklusive Reise- und Übernachtungskosten mit sich zieht, ist immens teuer. Der Etat des Sinfonieorchesters reicht bei weitem nicht aus, muss es doch davon auch all seine anderen Veranstaltungen finanzieren. Man putzte also die Türklinken und fand zusätzliche Geldgeber: die Dr.-Werner-Jackstädt-Stiftung, die Robke-van-Gerfsheim-Kulturstiftung, die Brennscheid-Stiftung, die Stadtsparkasse Wuppertal und Mäzen Jörg Mittelsten Scheid. Auch die Theaterfreunde Wuppertal – ein eingetragener Verein, der die Wuppertaler Bühnen und das Sinfonieorchester Wuppertal fördert – beteiligen sich mit 100.000 Euro daran. Das verkündete ihr Erster Vorsitzender Peter Vaupel am 21. November letzten Jahres auf der Mitgliederversammlung.

Und wenn auch noch die für das Mammutvorhaben verantwortlichen Personen einen Plan B in trockene Tücher gebracht haben, der eventuelle, etwa krankheitsbedingte Ausfälle – bei der hohen Zahl an Verpflichtungen durchaus wahrscheinlich – abfedert und Ersatz dafür sichert, dürfte so gut wie nichts mehr schief gehen. Dann können bedenkenlos dieses Jahr am 19. Oktober das Rheingold, nächstes Jahr am 18. Januar die Walküre, am 22. Februar der Siegfried und schließlich am 22. März die Götterdämmerung unter Patrick Hahns Stabführung mit Fabio Rickenmann, der für die Dramaturgie und Produktionsleitung verantwortlich sein wird, von der Stadthallenbühne kommen. Folglich dürfte auch zu guter Letzt zumindest eine schwarze Null unter dem Schlussstrich stehen.

Hartmut Sassenhausen