O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Jonathan Ware und Siobhan Stagg - Foto © Katharina Gebauer

Hintergründe

„Und immer klingt das Lied …“

Das Festival Lied in Würzburg geht in die zweite Runde. Das Publikum bleibt dem Festival treu, das schon im ersten Teil überzeugen konnte. Das Burkardushaus ist sogar beim Lunchkonzert der Teilnehmer des Meisterkurses von Thomas Quasthoff um die Mittagszeit fast voll, abends lockt Grassauer etwas weniger dorthin.

Die Absolventen des Meisterkurses bei Thomas Quasthoff nach dem Lunch-Konzert – Foto © Katharina Gebauer

Bei dem Lunchkonzert zeigt der Sängernachwuchs, dass manche der jungen Leute schon bald ihre Karriere starten können oder gar schon mittendrin sind. Jakob Ewert, Bariton und Schüler bei Jochen Kupfer, setzt gleich zu Beginn hohe Maßstäbe. Der noch 24-jährige Bariton beweist einmal mehr, dass er schon tief in die Liedkunst eingedrungen ist. Bei allen Teilnehmern des Meisterkurses ist man gewahr, wie schnell sie von Quasthoff technische Ratschläge annehmen. So kann man bei Anastasia Fendel, die schon im Preisträgerkonzert am Vorabend des Festivals gefiel, die Texte plötzlich viel besser verstehen. Franziska Weber zeigt bei Liedern von Brahms und Liszt bereits dramatische Elemente in der Stimme. Neelam Brader traut sich, jeglichen Druck aus der warmen Stimme zu nehmen und Yao Liu formt bei Brahms und Schubert nun klare, eindeutige Vokale. Nina Schumertl singt mit ihrem schon leicht dramatischen Mezzosopran Brahms. Bleibt zu hoffen, dass die Stimme sich langsam und frei entwickeln wird. Bei Nicole Janczak macht sich das intensive Üben unter neuen Aspekten sehr positiv bemerkbar, Wolf und Strauss kommen selbstverständlicher. Und auch – oder besonders Jaeyoung Lee lässt am Ende die Zuhörer mit der Gewissheit in den sonnigen Tag hinaus, dass man sich um den Sängernachwuchs zunächst keine Sorgen machen muss.

Und von der Freundlichkeit, die auf dem ganzen Festival um den Intendanten Alexander Fleischer herum herrscht, spürt man etwas, wenn am Ende alle Teilnehmer eine Rose überreicht bekommen. Publikum und Teilnehmer feiern Quasthoff zum Abschluss intensiv.

Schubert im Burkardushaus

Abends dann empfangen Alexander Grassauer und Fleischer ihre Zuhörer zu Schubert-Liedern. Der 27-jährige Sänger verfügt über eine runde, geschmeidige Bassbaritonstimme mit männlicher Ausstrahlung und sehr gefälligem Timbre. Gleich mit der Fischerweise hat er seine Zuhörer an der Angel, und Grassauer fühlt sich wohl im nassen Element. Mit sehr guter Diktion meistert er Am Strom und Der Schiffer, Meeres Stille, dazu das eher selten zu hörende Wie Ulfru fischt. Die weiteren Lieder, unter anderem die Gesänge des Harfners, An den Mond, der Musensohn und im zweiten Teil Liebeslieder lassen die Zuhörer im satten Klang der Stimme schwelgen. Immer wieder, vor allem bei den fröhlichen Liedern, die ihm insgesamt mehr liegen, hat man dabei Papageno vor Augen, den der junge Sänger aber anscheinend noch nicht auf der großen Bühne gesungen hat. Aber in den eher fröhlicheren, heftigeren Liedern sieht man ihn immer wieder durchblitzen, verstärkt auch durch den recht biegsam eingesetzten Körper des Darbietenden. Das italienische Schubert-Lied Il modo di prender moglie, also die Art, eine Gattin auszuwählen, ist der Rausschmeißer schlechthin. Hier zeigt Grassauer nochmals, was in ihm steckt, mit großem Ton, guter Gestaltung und viel Papageno, der ja auch immer auf der Suche nach Papagena ist.

Das Paradies und die herrliche Natur im Toscanasaal

Peter Schöne – Foto © Katharina Gebauer

Lieder und Arien von Hildegard von Bingen, Joseph Haydn, Wolfgang Amadeus Mozart, Gabriel Fauré, Jean Sibelius und Nicolai Medtner stehen auf dem Programm im Toscanasaal, der sich als eine wunderbare Kulisse erweist für das Thema Origins, welches sich rund um das Paradies und die herrliche Natur bewegt.

Überhaupt ist interessant bei dem Festival, dass die Programme gewissen Linien folgen und einen inneren Zusammenhang bieten, ein Umstand, den gerade Liederabende sonst oft vermissen lassen. Pianist Jonathan Ware hat das Programm kuratiert, nur selten hört man eine derartige Zusammenstellung im Konzert.

Mit O vis aeternitatis, der Kraft der Ewigkeit, und O quam mirabilis est, wie wunderbar ist es, beginnen jeweils die zwei Liederblöcke des Abends. Und man kann es sich kaum schöner vorstellen, wie eine große Stimme warm und leicht in die Höhe des Toscanasaals schweben könnte. Ware streicht als Begleitung hierzu nur über die Saiten des Flügels, quasi mittelalterliche Harfenklänge imitierend. Staggs außergewöhnlich schönes Timbre entfaltet sich mit einem auf dem Atem flutenden, keinesfalls störenden, natürlichen Vibrato. Man merkt der Sängerin an, dass sie viel Erfahrung hat, so losgelöst wie sie auch in höchsten Höhen singt.

Die Chansons d’Eve von Gabriel Fauré lässt sie bei „und in dir trifft meine Seele ihren Gott“ zu einem Höhepunkt geraten. Sehr schön, dass im Programmheft eine Übersetzung der französischen Texte vorliegt, denn hier versteht man sie auch als Romanistin nicht, ganz anders als bei den lateinischen und deutschen Texten. Stagg verfügt nicht nur über eine stupende Höhe, sondern auch die Tiefe ist ausgeprägt und warm, reich an Farben, was besonders bei Crépuscule zum Tragen kommt.

Eine kleine deutsche Kantate: „Die ihr des unermesslichen Weltalls Schöpfer ehrt“ von Wolfgang Amadeus Mozart passt vom Text her gut ins Programm, ähnlich wie das spätere Nun beut die Flur das frische Grün aus Joseph Haydns Schöpfung, musikalisch aber nicht wirklich in einen Liederabend. Beide Stücke zeigen sehr gut die Koloraturfähigkeit der Sopranistin, wenngleich hier der Schöngesang etwas schlichter im Ausdruck wird, nicht mehr malt wie bei den Mélodies zuvor.

Begleiter Ware kann bei Luonnotar von Jean Sibelius über die Entstehung des Himmels mit den Gestirnen seine erstaunlichen Fähigkeiten am Klavier zeigen, er tobt nahezu am Instrument. Ein sehr selten gehörtes, neunminütiges Stück mit einem Tonumfang von b bis ces‘‘‘, bravourös gemeistert.

Die Zuhörer sind begeistert, fordern eine Zugabe, die allerdings verweigert wird, „es waren schon so viele Töne zu lernen, wir haben keine Zugabe mehr“, sagt Stagg und alle gehen dennoch sehr zufrieden nach Hause.

Wenig Interesse für die Kulturscheune Höchberg

Lieder von Jean Sibelius, Edvard Grieg, Gösta Nystroem, George Crumb und William Bolcom mit Mezzosopranistin Aleksandra Nygaard Dkordjevic und Dmitrii Zhovkovskii am Klavier stehen nun auf dem Programm. Nur wenige Zuhörer finden den Weg in die Kulturscheune. Liegt es an den zu eng aufeinander liegenden Konzerten mit nur einer Stunde Abstand dazwischen? Oder an dem Repertoire, das die beiden mitbringen? Schon wegen Griegs Haugtussa, im Deutschen das Kind der Berge, und Gösta Nyströms Sånger vid havet – also Lieder am Meere – hätte man kommen sollen,  beide Zyklen haben in Liederabenden selten einen Platz. Umso spannender ist es, was die norwegische Sängerin aus Bergen aus den Liedern ihrer Heimat macht. Der dunkel timbrierte, kräftige Mezzosopran braucht eine gewisse Zeit, bis er sich im Konzert entfalten kann, eine leichte Aufregung mag eine Rolle spielen. Wird die Stimme anfangs bei zwei Liedern von Sibelius noch festgehalten und die Töne werden nachgeschoben, so kann die Sängerin im Zyklus Haugtussa loslassen; mehr und mehr gibt sie sich hinein in die Lieder voller großer Empfindungen inmitten der nordischen Natur, voller Liebe, Sehnsucht und Enttäuschung. Und da blitzt er auf, ein weicher Mezzo mit schönen Farben, voll und rund, satt in der Tiefe und stark, klar in der Höhe. Djordjevic gestaltet innig und intensiv. Zhovkovskii ist ihr ein aufmerksamer Begleiter, man hat aber das Gefühl, dass er sie noch besser tragen, unterstützen könnte, dass sein Spiel etwas offensiver sein könnte. Bei Amor von Bolcom tauen beide noch weiter auf, flirten mit dem Publikum.

Nyströms Zyklus haben die Künstler Lied für Lied Bilder vom Meer an die Wand hinter der Bühne projiziert, dazu malt Zhovkovskii am Flügel farbige Meereslandschaften. Sehr gut gelungen ist das Jag har ett hem vid havet, ich habe ein Zuhause am Meer, Sängerin und Pianist geben sich voll hinein. Mit The Sleeper von Crumb und als Zugabe Elsk aus dem Zyklus Haugtussa endet das interessante Konzert.

Um die Nacht geht es in der Theaterhalle am Dom

Will man einen Liederabend über die Nacht machen, muss man sich dem Problem stellen, dass die meisten Nachtgesänge sehr langsame Lieder sind. Die Mitwirkenden dieses Konzertes setzen neben gängige Nachtlieder aus dem 19. Jahrhundert solche aus dem 20., und so gestalten sie einen durchaus abwechslungsreichen Abend mit romantischen und zeitgenössischen Liedern.

Alexander Fleischer fängt, als einziger am Flügel beleuchtet, mit der Einleitung von Johannes Brahms‘ Guten Abend, gut Nacht an, Mirella Hagen und Peter Schöne singen aus dem Off eine kleine, umgedichtete Begrüßung für die Zuhörer. Danach folgt das angekündigte Programm, Schöne singt Hanns Eislers Wenn die Igel in der Abendstunde, Hagen Hugo Wolf und Richard Strauss mit Gesängen zur Nacht. Schöne besitzt einen kraftvollen, fokussierten Bariton und gestaltet intensiv. Die etwas trockene Akustik der Theaterhalle am Dom lässt jede noch so kleine Eigenheit hören, da hatten es andere in anderen Räumlichkeiten beim Festival leichter. Bei Schöne hat man den Eindruck, dass er die Töne auch bei Strauss gerne von unten angeht. Hagen wirkt am Beginn etwas zaghaft, taut aber später auf. Die Abendstunden der Rockband Silly und ihrer Frontfrau Tamara Danz leitet Schöne an der Violine ein, um dann mit dem Text einzusetzen. Die Lieder des zwanzigsten Jahrhunderts scheinen ihm zu liegen, hier passt auch das Schleifen, das teils parlierende Singen sehr gut, was sich auch später in Reimanns Liedern zeigt.

In Schönbergs Erwartung hat Hagen zu sich gefunden und schafft mit ihrem hell timbrierten Sopran sehr intensiv ein unheimliches Bild der Szene im Park. Bei Reimanns Nachtstück gestaltet Schöne zu der sehr atmosphärischen Begleitung von Fleischer die schwierigen Melodien nach Gedichten von Joseph von Eichendorff. Hier schaffen beide Künstler leuchtende und gespenstische Bilder. Alban Bergs Nacht gerät auch bei Hagen sehr intensiv, aufrüttelnd ihr „O gib acht“. Mit Schönbergs Der kranke Mond aus dem Zyklus Pierrot Lunaire musizieren Schöne mit Violine und Hagen a cappella, fahl, aber auch spöttisch. Marius Felix Langes Mondlicht und Moritz Eggerts In der letzten Nacht  lässt Schöne lange, weiche Bögen singen, aber auch kraftvoll zupacken, wobei er im Forte das Vibrato etwas entgleiten lässt, hier schlägt der Opernsänger durch. In Robert Schumanns In der Nacht aus dem Spanischen Liederspiel leiten die beiden Sänger im Duett zum letzten Teil des Abend über.

Im Nachtstück von Schubert gelingt Schöne die Stelle „Der Tod hat sich zu ihm geneigt“ zusammen mit Fleischer sehr expressiv im Pianissimo, und in Nacht und Träume zeigt Hagen im Piano weiche, gut geführte Bögen. Zwei Lieder von Wolf Biermann schließen den Abend ab und vereinen die drei Künstler nochmal auf der Bühne. Als Zugabe für das Konzert wird erneut Guten Abend, gut Nacht in der Originalfassung gegeben, leider im Fall von Schöne mit intensivem Anschleifen der Töne.

Insgesamt ein interessanter Abend mit neuen Perspektiven. Wenn nun auch das Würzburger Publikum nicht nach jedem Stück applaudierte, könnte man sich noch besser auf einen dramaturgisch so wohldurchdachten Ablauf des Abends einlassen. Überhaupt scheint es nach langen Jahren des konzentrierten Zuhörens eine wiederkehrende Unsitte zu sein, innerhalb von Programmeinheiten zu applaudieren. Ein Hinweis im Programmheft hierzu wäre vielleicht hilfreich.

Wunderbares Ende im Bukardushaus

Jan Philip Schulze und Olivia Vermeulen – Foto © Katharina Gebauer

Eine Sängerin zwischen Ute Lemper und Anne Sofie von Otter, ein kräftiger, gut geführter Mezzosopran mit nahezu allen Möglichkeiten und ein begeisternder, tadelloser Pianist verzücken im letzten Abend des Festivals Lied Würzburg ihr Publikum. Das Programm Dirty Minds ist absolut passend für die energiegeladene Sängerin Olivia Vermeulen, die mit dem ersten Lied, dem Heidenröslein von Franz Schubert die Zuhörer um den Finger wickelt. Vermeulen besitzt eine intensive Ausstrahlung, die sich sofort überträgt. Mit mal warmer, mal durchdringender Stimme durchlebt die die Welt der schlechten Gedanken oder auch solchen Taten und hat in ihrem Pianisten Schulze auch als Statist für diverse kleine Spielchen einen humorvollen Begleiter. Vermeulen kann alles, sie kann inniglich, zart singen wie im Lied eines Freudenmädchens aus Hanns Eislers Sieben Lieder über die Liebe, schafft in Verfehlte Liebe eine unendliche Traurigkeit, um dann in Lied der Kupplerin showmäßig zu agieren. Schulze malträtiert regelrecht den Flügel in diesem Lied nach Bertolt Brecht, wenn es dann heißt „Fraß macht warm und Geld macht sinnlich“. Nach der Pause geht es mit Sex von Benedikt Eichhorn zur Sache, Vermeulen singt es mit Mikrofon, das kommt gut. In den Trois chansons de Bilitis malt sie mit vielen Farben Bilder, in Henriëtte Bosmans Pour toi mon amour gerät der Text „je ne t’ai pas trouvé, mon amour“ sehr bewegend. Und wenn die beiden Künstler am Ende in Animal Passion von Jake Heggie alle Register ziehen, einschließlich Mundharmonika, Improvisation – Carmen und wieder das Heidenröslein lassen grüßen – tobt das Publikum und fordert eine Zugabe. Die kommt aus dem Themenkreis: Will you buy a fine dog – With a dildo von Thomas Morley. Ein furioser, ein wunderbarer Abschluss für ein formidables Festival.

Um Alexander Fleischer als Intendant des Festivals Lied Würzburg hat sich ein kleiner Förderkreis um die Vorsitzende Mirella Hagen gebildet, gleichzeitig eine der auftretenden Sängerinnen. So versucht man, auch in den kommenden Jahren ein gleichbleibend hohes Niveau halten, Liedkunst auf internationalem Niveau bieten zu können.

Im Jahr 2024 soll es weiter gehen, wieder mit bereits arrivierten Berühmtheiten und solchen, die bestes Potenzial dazu haben, eine zu werden – man darf gespannt sein, ein Besuch lohnt in jedem Falle.

Jutta Schwegler