O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Hintergründe

Hohe Kunst der Interpretation

Vom 9. bis zum 19. März findet in Würzburg das Festival Lied unter der künstlerischen Leitung von Alexander Fleischer statt. Neben großen Namen findet man hier vor allem Vielfalt. Eine Feier der Hochkultur des Kunstliedes, die alle Bürger ansprechen will. Der erste Teil des Festivals erscheint recht männerdominiert. Das schmälert aber die Freude nicht.

Die Teilnehmer am Vorabendkonzert – Foto © Katharina Gebauer

Alexander Fleischer ist der kongeniale Gründer und Pianist des Festivals Lied Würzburg, begleitet allein fünf der Liederabende. Seit Oktober 2022 ist er Professor für Liedgestaltung an der Hochschule für Musik Trossingen in Baden-Württemberg und brennt für das Kunstlied. Viele der Mitwirkenden sind seine Freunde, und das atmet das Festival auch. Gemeinsam an einem Strang ziehen, keinem Starkult huldigen, die Barriere zwischen Publikum und Hochkultur niederreißen: Nach dem Konzert steht man schon mal mit den Sängern beim Secco zusammen. Aber von vorn.

Vorabend-Konzert im Kulturspeicher

Massive Holzpfeiler, dicke Balken, die sich weit in die Höhe recken – das Museum Kulturspeicher Würzburg schafft die Bühne für den Vorabend mit den Preisträgern 2023 des biennalen Seraphin-Wettbewerbs der Hochschule für Musik Würzburg. Anastasia Fendel, Sopran, studiert erst im zweiten Jahr bei Alexandra Coku und lässt mit einer hellen, durchsetzungsfähigen und schon sehr biegsamen Stimme aufhorchen. Besonders eindrucksvoll gelingt, gerade in dem hohen Raum des Kulturspeichers, der Hirt auf dem Felsen von Franz Schubert, mit Moritz Mihm sehr schön an der Klarinette. Yao Liu, Bariton, studiert schon im Masterstudiengang bei Jochen Kupfer. Liu gefällt mit einer klaren, kräftigen Baritonstimme mit sublimen, feinen Tönen. Jakob Ewert ist Absolvent der HfM Würzburg, verfügt über einen weichen Bass-Bariton und bringt schon eine Reife im Ausdruck mit, der die Zuhörer in den Bann zieht. Er hatte sich eher ernstere Lieder ausgesucht, der Erlkönig von Franz Schubert macht besonderen Eindruck. Sehr einfühlsame und aufmerksame Pianisten an diesem Abend sind Dmitrii Zhovkovskii, Chen He und Marianna Uzankichyan. Über den eigentlichen Eröffnungsabend hat O-Ton berichtet.

Schwierige Akustik im Burkardushaus Würzburg

Tobias Berndt und Thomas Quasthoff – Foto © Katharina Gebauer

„Traumwald“ ist das Thema von Christoph Prégardiens Liederabend. Der Meister des Kunstliedes verbindet Lieder Wolfgang Rihms mit Vertonungen Schuberts nach dem Romantiker Ernst Schulze, der, wie Hansjörg Ewert in dem sehr ambitionierten und hochinformativen Programmheft sagt, „in seinem richtigen Leben den Prototyp des romantischen Wanderers aus den Schubert-Liedern abgegeben haben könnte“. Die Lieder, die Rihm nach den Elf späten Gedichten von Heiner Müller eigens für Prégardien 1999 komponiert hat, werden zwischen die Schubertlieder eingeschoben, was eine ungeheure Spannung erzielt.

Worum geht es in einem Liederabend? Man sucht die Essenz, das Wesentliche. Den unmittelbaren Ausdruck im Kleinen, Intimen. Nichts weniger als die Welt in einem Lied. Stimmungen in der Natur, Erlebnisse, Gefühle, Freude, Trauer, Sehnsucht, Erwartung, Enttäuschung, Glück. Das in ein Lied hineinzukomponieren, gelang vielen Komponisten. Viele Sänger versuchen sich daran, diese feinen Nuancen wiederzugeben, viele scheitern, bleiben im Plakativen hängen. Manche, nur manche schaffen es, die Zuhörer mit hineinzunehmen in diese Welt.

Einer dieser Auserwählten ist Christoph Prégardien. Mit der Erfahrung eines langen Sängerlebens geht er an die Lieder heran, gestaltet sie aus einem schier unerschöpflichen Vorrat von Farben und Stimmungen, die er in jede noch so kleine Nuance seines Vortrages einfügt. Mit einer unglaublich präsenten Diktion macht er jedes einzelne Wort verständlich. Er kämpft nicht mit der etwas tückischen Akustik des sehr nüchternen Burkardushauses in Würzburg wie so viele andere, sondern füllt mit seinem weichen Tenor den Raum sehr angenehm. Beide Zyklen verlangen von den Künstlern ein tiefes Versenken in die Thematik des Todes und der Trauer. Die Lieder des reifen Schubert erinnern an die Winterreise, das bekannteste ist wohl Im Frühling. Und man spürt bei Prégardien und seinem kongenialen Begleiter Fleischer von Anfang an, dass das nicht gut gehen kann, so lieblich die Einleitung auch eigentlich ist. Wie hinter einem Nebel erscheint die schon lange zurückliegende Erinnerung.

Bei den Rihm-Liedern leisten beide Künstler Unglaubliches. Prégardiens Stimme geht im Piano immer weiter zurück, bis sie letztlich erstirbt. Fahle, gebrochene Töne werden in den Raum getupft, das Entsetzen bemächtigt sich unmittelbar der Zuhörer. In Rihms Lied  Traumwald, welches programmatisch über dem Abend steht, heißt es: „Heut Nacht durchschritt ich ein Wald im Traum Er war voll Grauen.“ Prégardien und Fleischer tauchen tief ein in diese Welt voll Tod, Irrsinn und auch Selbstfindung. Über der Technik steht Prégardien sowieso, was er an Nuancen im Ausdruck aus dem Augenblick erschafft, ist phänomenal.

Nach der Pause folgt der Liederkreis von Robert Schumann. Jetzt singt Prégardien auswendig, hat den Zyklus auch ansonsten völlig verinnerlicht. Im Waldesgespräch werden die einzelnen Figuren maßvoll gezeichnet, aber nicht minder intensiv, auch erotisch-lüstern aufblitzend, wenn die Hexe Loreley den „jungen Leib“ begehrt. Der alte Ritter in Auf einer Burg sitzt bei Prégardien in der größten Verlassenheit, die man sich nur vorstellen kann. In Zwielicht ist die Dämmerung im ersten Vers unheilgeschwängert und beladen mit Ängsten. Prégardien ist dazu fähig, seine inneren Bilder unmittelbar in den Ton zu legen und damit den Hörer mit einzubeziehen – große Kunst!

Das alles geht natürlich nur so gut, wenn der Begleiter mitzieht. Es ist unglaublich, was Fleischer leistet, immer präsent, immer den Sänger mit größter Aufmerksamkeit unterstützend, mit ihm gemeinsam erschaffend.

Am Ende des Konzertes stehen drei Zugaben, wobei Prégardien bei der letzten, dem Musensohn von Schubert das Publikum erheitert. „Das ist das einzige fröhliche Lied des heutigen Abends“, schmunzelt er. Und damit entlassen die beiden ihr begeistertes und ergriffenes Publikum in den Abend.

Meisterkurs mit Wow-Effekt

Neelam Brader und Pianist Lucas Huber Sierra arbeiten mit Thomas Quasthoff. – Foto © O-Ton

Im Toscanasaal der Würzburger Residenz findet der Meisterkurs von Thomas Quasthoff überwiegend statt, einen schöneren und inspirierenderen Raum kann man sich hierfür kaum vorstellen. Sieben junge Sänger möchten von der Erfahrung des Bass-Baritons profitieren und stellen sich seinen Korrekturen und Ratschlägen. Es herrscht eine herzliche Atmosphäre, „Sie brauchen gar keine Angst zu haben, Sie dürfen sich auch verspielen“, ist seine Botschaft an eine etwas nervöse Pianistin. Mit seiner oft lustigen Art nimmt er den Studenten die Angst. Freundlich ist er, aber streng, nichts lässt er durchgehen, wenn er sich einmal an einem Teilaspekt der Stimmführung festgebissen hat. Und er hat Erfolg, staunend sitzt der Zuhörer da und stellt eine unmittelbare Verbesserung im Klang fest. Quasthoff singt vor, betont dabei immer wieder, dass er vor zwölf Jahren mit dem klassischen Gesang aufgehört hat, nurmehr Jazz singt er, und als Sprecher fungiert er vorwiegend in Konzerten. Dennoch ist das für die Lernenden sehr hilfreich. „Es heißt Musik machen, nicht Musik denken“, betont er einen wichtigen Aspekt der Interpretation. Er nennt sich selbst einen „Sprachfetischisten“, legt Wert auf die „Regel und Pflicht der reinen Vokale“. Und wenn er bei der Österreicherin Neelam Brader – schon fertige, freischaffende Künstlerin unter anderem am Theater Dessau – an dem flutenden Strömen der Töne arbeitet, ist das Ergebnis zum Niederknien. Zum Abschluss des Kurses findet mit allen Teilnehmern im Burkardushaus am 16. März ein Lunch-Konzert statt.

Geschichte mit glücklichem Ausgang

Die schöne Magelone ist nicht gerade ein Zyklus, der häufig aufgeführt wird. Deshalb ist es umso schöner, mit den Mitwirkenden des Abends im Toscanasaal der Residenz Würzburg, Tobias Berndt, Thomas Quasthoff und Alexander Fleischer in diese Geschichte eintauchen zu dürfen. Sprecher Quasthoff erzählt die Geschichte von dem Ritter Peter und der Tochter des Königs von Neapel, der schönen Magelone. Beide verlieben sich bei einem Turnier ineinander, und schon bald sind sie in die unwahrscheinlichsten Begebenheiten verstrickt. Stürme im Äußeren und im Innern der Gefühlswelt begleiten die Wege der beiden bis hin zum glücklichen Ende. Ludwig Tieck hat diese alte Sage modernisiert und in seinen Volksmärchen veröffentlicht. Brahms schuf daraus seinen einzigen Liederzyklus aus einzelnen Romanzen, die die Gefühlszustände der Protagonisten widerspiegeln. Die Künstler haben sich 15 Lieder daraus ausgesucht. Die Begleitung am Klavier ist wahrhaft orchestral, und Fleischer interpretiert das durch und durch dramatische Geschehen intensiv und mit großem Ausdruck. Besonders beeindruckend ist das bei Verzweiflung, als Peter mit einem Boot auf die stürmische See hinaus getrieben wird und seine Geliebte am Ufer lassen muss. Fleischer schafft die Klangteppiche für die Erzählung, ist Peters Laute, breitet Dämmerung aus, lässt es dunkel werden, lässt Tränen tropfen – viel wird geweint in dieser Geschichte. Und in dem Lied Sind es Schmerzen hört man trotz der traurigen Harmonien im Klavier schon, dass die Liebesgeschichte gut ausgehen wird.

Nun hat Brahms in seinem Zyklus verschiedenste kompositorische Mittel angewandt, Strophenlieder wechseln mit dem Wiegenlied in Ruhe Süßliebchen oder auch rhapsodischen Stücken. Melancholische, fröhliche, dramatische,  alles in allem romantische Lieder sind das. Berndt verfügt über einen kernigen, hellen Bariton mit einem sehr angenehmen Timbre, der die jugendliche Frische eines Peters in der Schönen Magelone gut herüber bringt. Aber auch Ruhe, Süßliebchen lässt aufhorchen. Die etwas dramatischeren Stücke liegen ihm besonders gut, mit guter Atemtechnik schafft er auch schwierige Passagen. Allein sein Ausdruck könnte noch intensiver werden, sehr gleichmäßig ist vor allem die Mimik.

Quasthoff kennt man vom Singen her als sonoren Bass-Bariton. Aber auch beim Sprechen in Konzerten ist es eine Wonne, ihm zuzuhören: die tief schwingende Stimme ist frei, unangestrengt, füllt mit Leichtigkeit den Raum. Seine Vokale sind klar und rein gemäß seiner „Regel und Pflicht der reinen Vokale“. Eine einzige kleine Anmerkung vielleicht: Wenn Quasthoff die Stimme der schönen Magelone im Diskant spricht, zeichnet das nicht unbedingt das Bild eines jungen Mädchens. Wenn aber das Klavier beginnt, in sein Sprechen hinein zu spielen, singt Quasthoff schon fast. Überhaupt ist er natürlich die ganze Zeit über ganz nah bei dem Sänger, man sieht es seinem Gesicht an. Ein großer, ein überzeugender Künstler.

Die Zuschauer im vollen Saal spenden nach dem letzten Lied Treue Liebe dauert lange kräftigen Applaus, eine Zugabe, quasi die Fortsetzung der Liebesgeschichte, gibt es nicht.

Das Festival Lied Würzburg geht weiter, bis kommenden Sonntag werden noch sieben Liederabende gegeben, im zweiten Teil fast durchweg von Frauenstimmen.

Jutta Schwegler