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Liebe und Traum

FESTIVAL LIED WÜRZBURG – ERÖFFNUNG
(Johannes Brahms, Richard Strauss, Sergej Rachmaninoff)

Besuch am
10. März 2023
(Premiere)

 

Festival Lied Würzburg, Toscanasaal der Residenz Würzburg

Der grandiose Eröffnungsabend des Festivals Lied in Würzburg im wunderschön ausgemalten Toscanasaal der Residenz hätte mehr Publikum verdient. Aber vielleicht ist das Tosen des Sturms draußen und der etwas beschwerliche Aufstieg durch das historische Treppenhaus – ohne Aufzug! – schuld daran, dass sich nur die wahren Lied-Enthusiasten einfinden. Wer da ist, kann sich nur beglückwünschen.

Denn Pianist Alexander Fleischer am Klavier, Initiator und Leiter des Festivals, und der Schweizer Bariton Manuel Walser, international auf Opernbühnen stark gefragt und als Liedgestalter ebenfalls bestens renommiert, präsentieren einen Lied-Abend vom Feinsten mit einem besonders exklusiven Programm unter dem Motto Liebe & Traum – eigentlich ein Standard-Thema, wenn dichterische Worte durch musikalische Emotionen ausgedrückt und verstärkt werden. Walser aber verflicht nun in ungewöhnlicher Weise Lieder von Johannes Brahms, Richard Strauss und Sergej Rachmaninoff ineinander, allesamt spätromantische Werke, die mit einer gewissen Distanz zu sich selbst und ironischer Skepsis Sehnsuchtsträume eines Ich hinsichtlich eines Du formulieren, aber auch geheime, uneingestandene Gefühle des Ich erforschen oder zu ergründen suchen.

Der spätromantische Klavierstil Rachmaninoffs besticht zudem durch die Fülle der Einfälle, von Melancholie bis zu fast tänzerisch schwebenden Gedanken sowie durch Kontraste zwischen Kantabilität und dramatischer Kraft sowie rauschhaften Klängen. Während Fleischer das alles souverän auskostet, besticht der männlich-kräftige, kernige Bariton Walsers mit seiner dunklen Tiefe, der facettenreichen Mitte, der fein geweiteten Höhe durch eine nie übertriebene, aber vielfältig sinndeutende Gestaltung, eine bewundernswert verständliche Artikulation und die Auslotung emotionaler Stimmungen und Schwankungen von intim-introvertierter Ausstrahlung bis zu fast geheimnisvoller Vertiefung der Wortaussagen. Das beginnt schon mit Von ewiger Liebe und Die Mainacht von Brahms mit dem dunklen Anfang und den leidend schmerzvollen Zweifeln, mündend in eine irgendwie dramatische Beschwörung der Liebe und wird mit der Trauer über die Einsamkeit bei starker Betonung der Tränen angesichts der zauberhaften Natur fortgesetzt. Da flüchtet sich das Ich bei Rachmaninoff in den Traum, ins Innere, von Walser mit fundierter Tiefe gestaltet, begleitet von Klavier-Brillanz. Bei Strauss bleibt dieses Träumen eher unbestimmt, vom Sänger fast greifbar im Dämmergrau gefärbt und schließlich positiv in schimmerndes Licht bei Traum durch die Dämmerung mündend.

Zweimal wird ein verheißungsvoller Blick in die Zukunft geöffnet, in Morgen, bei Rachmaninoff in gesteigerter Zuversicht und bei Strauss etwas ruhiger, träumerisch verhalten, beides eine glanzvoll verinnerlichte Vokalgestaltung und ein wunderbar atmender Gesang! Neben Schmerz beinhaltet Dein blaues Auge von Brahms auch Zuversicht und Lob der schönen Geliebten, Leidenschaft ist da zu spüren, und mit immer stärkerem Nachdruck, nie aber übertrieben, formuliert der Sänger die Sehnsucht Rachmaninoffs, geliebt zu werden, in Ona… Etwas unheimlich sind die Akzente gesetzt bei Wie rafft ich mich auf von Brahms, fasziniert vom geheimnisvollen Zauber der Nacht, plastisch gestaltet auch durch die einfühlsame Begleitung des Klaviers. Fast scheint es, dass der Sänger bei Rachmaninoffs O net seine Empfindungen noch steigert, aber alles endet vor der Pause in Verzagen von Brahms, in der verwirrenden Betrachtung von Meer und Wolken, angeführt von einem fast wüst brausenden Klavier, und die Ansprache an das eigene Herz fesselt, beruhigt schließlich dadurch, dass wie in einem inneren Kampf das Ich vor dem Untergehen, dem Aufgeben warnt.

Mit Zueignung und Nichts von Strauss beginnt der zweite Teil des bemerkenswerten Liederabends, und daraus leitet sich ab die Hinwendung an die Musik als Rettung, mit einem stets variierten Habe Dank, was die Liebe und fast neckisch bewegt das Leben feiert. Auch Meine Liebe ist grün von Brahms preist die Macht der Liebe, die auch die Naturschönheit stärker wahrnehmen lässt in liebestrunkenen Liedern in vielen Nuancen; eher neckisch erzählend ist dann die Geschichte vom Salamander , kokettierend mit heißer Liebeslust, fast ausufernd betont. Das bekannte Klopstock-Gedicht Das Rosenband in der Vertonung von Strauss wird bei Walser ein Symbol distanziert sinnlicher Betrachtung und gefühlvoller Empfindung einer Traum-Liebe, während Ach weh, mir unglückhaftem Mann Kraftbewusstsein und wagemutigen Eroberergeist schildert; das mündet bei Brahms in Anbetung und Wunschdenken bei Wie bist du meine Königin, von Walser mit feiner Kopfstimme und sehnsuchtsvoller Ausstrahlung vorgetragen. Die folgenden zwei Lieder von Rachmaninoff greifen das immer nachdrücklicher auf und beschwören bei der Stille der Nacht die Gedanken an die Geliebte und die Bitte an Gott, deren Schönheit ewig zu erhalten. Bei den folgenden drei Liedern von Strauss, rhythmisch faszinierend, gibt es trotz Optimismus auch leichte Skepsis bei der Frage nach dem Sinn und der Erfüllung solcher Liebes-Empfindungen, bei der die Erforschung des eigenen Herzens im Mittelpunkt steht. Mit der Vertonung des Puschkin-Gedichts Sing nicht, du Liebliche, in meiner Gegenwart durch Rachmaninoff, fein melancholisch, mit viel innerem Impuls begonnen, dann als innerer Kampf sich dramatisch steigernd, mit vielen schmerzhaften Nuancen und Gedanken, wunderbar getragen vom Klavier, klingt dieser Abend rund um alle möglichen Liebes-Gefühle, auch zur Heimat und Natur, aus.

Das Publikum ist begeistert, zeigt das durch langen Applaus und Bravo-Rufe, und natürlich muss darauf noch eine Zugabe folgen, nämlich die Cäcilie von Strauss, mit etwas Augenzwinkern und dem ironisch-schmachtenden Resümee Wenn du es wüsstest … heiter abgeschlossen.   

Renate Freyeisen