O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Schlaier

Hintergründe

Bühne wird zum Studio

Während die einen noch darüber diskutieren, ob es überhaupt Sinn macht, die Kultur im Netz fortzusetzen, viele Künstler im Netz dilettieren, machen sich andere Gedanken darüber, wie man das eigene Haus online möglichst kreativ präsentieren kann. Ein Beispiel dafür ist die Stuttgarter Staatsoper, die jetzt ihre Zukunftspläne – zumindest der unmittelbaren Zukunft – präsentiert hat.

Laubenkonzert – Foto © Matthias Baus

Es herrscht eine überraschende, wenn nicht beängstigende Ruhe im Lande. Sieht man mal von ein paar Ausnahmen ab – die Oper Köln zeigt einen witzigen Video-Clip zur Turandot, in Düsseldorf gibt’s eine Talk-Reihe aus dem Opernhaus – haben sich die hochsubventionierten Häuser schon in das Ende der Spielzeit verabschiedet. München hat es offiziell gemacht, die anderen werden in den nächsten Tagen folgen. Das ist enttäuschend und wird mit Sicherheit vom Publikum auch so empfunden. Gerade deshalb stellt sich die Staatsoper Stuttgart jetzt auf die Hinterbeine und geht einen anderen Weg.

Gleich nach der Verhängung des Aufführungsverbots war Stuttgart in die Offensive gegangen und zeigt seitdem Aufzeichnungen von eigenen, länger zurückliegenden Aufführungen. Bei den Konserven blieb es aber nicht. Es folgte das, was derzeit überall massenhaft zu erleben ist: Filmchen von Mitarbeitern aus den Wohnzimmern, Balkonkonzerte, Trailer, bei anderen kommen noch Lesungen hinzu, in Stuttgart wird nicht vergessen, für Solo-Künstler Spenden zu sammeln. Alles in allem bekommen wir bis heute wenig kreativen Output zu sehen, vielleicht, weil bislang alle aus irgendeinem irrationalen Grund noch glaubten, nach ein paar Tagen sei das Schreckgespenst Corona erledigt.

Inzwischen ist Stuttgart einen Schritt weiter. „Aus äußerer Beschränkung ist immer wieder große Kunst erwachsen. Gerade in dieser Zeit der Einschränkung nehmen wir unsere Aufgabe für die Gesellschaft besonders ernst. Kultur ist die Basis unseres Menschseins“, sagt Generalmusikdirektor Cornelius Meister. Und hat sein Orchester zu einem Laubenkonzert in den Saal geladen. Das Bild ist imposant. Ein leerer Saal. In den Rängen sind abgeschottete Musiker zu sehen. Vor ihnen auf einer Schubleiter steht der Dirigent und leitet das Orchester. Das Video erscheint demnächst. Und ist nur ein erster Schritt.

Denn die Oper hat die große Bühne zweckentfremdet. Dort ist inzwischen mit Hilfe der Video- und Tonabteilung des Hauses ein Online-Studio entstanden, in dem in zwölf Stunden in der Woche produziert wird. Selbstverständlich alles unter amtsärztlicher Kontrolle. Damit ist es nach Aussage der Staatsoper möglich, Videos mit Künstlern der Staatsoper, des Staatsorchesters und des Opernchors für das Programm Oper trotz Corona herzustellen. „Geplant sind zudem dramaturgische oder kleinere szenische Formate“, sagt Johannes Lachermeier, der für die Kommunikation zuständige Direktor.

Johannes Lachermeier – Foto © Matthias Baus

Zwar werden noch keine weiteren Einzelheiten verraten, aber das ist auch peripher. Viel wichtiger ist, dass die Oper endlich beginnt, sich mit den Möglichkeiten des Internets auseinanderzusetzen. Damit gehört sie – immer noch – zu den seltenen Erscheinungsformen der Kulturschaffenden. Intendant Viktor Schoner ist begeistert. „Wir lassen uns von der misslichen Situation nicht unterkriegen – und spielen weiter. Dass so viele Künstler des Ensembles aus freien Stücken ein so vielfältiges Programm entwickeln, dass durch die Arbeit der Ton- und Videoabteilung analoge Kunst auch digital erfahrbar wird, macht mich sehr glücklich“, sagt Schoner.

Und während die Theatermacher anscheinend endlich beginnen, sich mit einem neuen Medium ernsthaft auseinanderzusetzen, beschäftigen sich andere schon wieder damit, die Kunst auf eine ganz besondere analoge Bühne zu holen. Nach der kürzlichen Wiederentdeckung der Autokinos für Kinofilme und Gottesdienste beginnt jetzt eine Stuttgarter Veranstaltungsagentur, Aufführungen auf der Bühne des Autokinos zu organisieren. In Düsseldorf wird es der Rapper Sido und in der Folge Kollegen am 25. und 26. April vormachen, in Köln ist die Band Brings sehr erfolgreich vor Autokarosserien aufgetreten. Ob sich das „Isolationsformat“ auch in Kreisen klassischer Kultur durchsetzen kann oder schon auf Popkultur-Ebene mehr oder weniger eine Eintagsfliege bleibt, wird sich zeigen. Bis dahin können sich viele Opernhäuser der Republik die Staatsoper Stuttgart zum Vorbild nehmen, sich endlich ernsthaft mit dem Medium Internet auseinanderzusetzen und Formate zu finden, die mehr bieten als Wohnzimmerkonzerte und Videokonferenzen.

Nein, Live-Formate werden so nicht ersetzt, aber möglicherweise ergänzt. Um mit Lachermeier zu sprechen: „Das Spielen fehlt. Das volle Opernhaus, die Kollegen, der alltägliche Wahnsinn zwischen Proben und Aufführung – all das fehlt aufs Schmerzlichste.“ Und wenn es im Online-Studio gelingt, das zu verdeutlichen, wäre doch schon ein großer Schritt getan.

Michael S. Zerban