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Hintergründe
Aus dem Zusammenschluss zweier Truppen des Pariser Jahrmarktstheaters entstand sie vor mehr als 300 Jahren. Heute ist die Opéra-Comique fester Bestandteil der Pariser Hochkultur. Hier kann man Werke erleben, die in der Salle Favart uraufgeführt wurden, Barockopern oder ihrer Tradition folgend: Uraufführungen, die von der Opéra-Comique bis heute in Auftrag gegeben werden.
Decke des Foyers – Foto © Jean-Pierre Delagarde
Der Begriff Opéra Comique hat oft für Verwirrung gesorgt, denn er ist einerseits der Name eines Opernhauses in Paris, anderseits eine gewisse Form der französischen Oper. Beide Begriffe sind eng mit einander verbunden, wurde doch bis ins 19. Jahrhundert eine opéra comique ausschließlich in der Opéra Comique aufgeführt.
Als Ludwig XIV. 1669 die Académie Royale de Musique gründete, war damit für die höfischen Opernaufführungen ein Rahmen geschaffen, der später unter dem Namen Opéra Nationale de Paris bis heute fortbesteht. Die Aufführungen in dieser Académie Royale de Musique unterlagen sehr strengen, formellen Regeln und was diesen Vorschriften nicht entsprach, konnte dort nicht aufgeführt werden.
Neben der höfischen Oper gab es aber auch, und schon seit langem, eine ganze Reihe von Theatertruppen, die in kleinen Theatern, ja, oft im Freien, auf Jahrmärkten, auf Rummelplätzen oder auf der Straße, Theateraufführungen mit Musik zum Besten geben. Eine leichtere Muse, die bei der breiten Bevölkerung viel Zulauf hat. Doch erst 1714 verleiht Ludwig XIV. auch einer dieser Theatertruppen das königliche Privileg und gleichzeitig das Monopol für solche Aufführungen unter dem Namen Opéra Comique.
Es gibt dieser leichten Form der Oper einen neuen Aufschwung, und sie wird bald zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für die höfische Oper. Denn ihre Stoffe sind dem täglichen Leben entnommen, volksnah, witzig, unterhaltend. Dort vergnügt man sich eher mit seiner Mätresse als mit seiner Ehefrau.
Man nennt heute das Haus am Platz Boieldieu, also die Opéra Comique, auch Salle Favart, in Erinnerung an den Direktor dieses Theaters Charles-Simon Favart, der diese Aufführungen im Laufe des 18. Jahrhunderts vom Niveau leichtfertiger, halb gesungener, halb gesprochener parodies et comédies en vaudevilles auf das Niveau einer neuen Kunstform hebt. Langsam setzt sich die opéra comique damit auch gegen die in Paris ansässige italienische opera buffa durch, was mit dem Verschwinden der italienischen Sänger aus der französischen Hauptstadt endet. Die Musik, die in der opéra comique bisher eine eher zweitrangige Rolle gespielt hatte, wird nun ein wesentliches Element einer jeden Aufführung und trägt entscheidend zur Charakterisierung der Protagonisten bei. Komponisten wie André Ernest Grétry spielen bei diesem Höhenflug eine wichtige Rolle. „Die Handlung ist in gesprochenen Dialog und Musiknummern aufgeteilt. Alle musikalischen Formen vom einfachen Strophenlied bis zur Da-capo-Arie und zahlreiche Ensembles sind vertreten. Besonders lebendig ist die Rhythmik. Der Gesangsstil wurzelt im französischen Tanz und Gesellschaftslied. Der Orchesterpart besitzt große dramatische Lebendigkeit. Seit Grétry dringen leitmotivische Prinzipien in die Handlung ein“, schreibt Karl H. Wörner in seiner Geschichte der Musik.
Diese heitere Muse erfreut sich immer größerer Beliebtheit. Sie ist unterhaltender als die steifen Opern der Académie und findet auch im Ausland Bewunderer und Nachahmer. Ihr Einfluss findet sich beispielsweise im halb gesprochenen, halb gesungenen deutschen Singspiel wieder, wie etwa in Mozarts Die Entführung aus dem Serail und in der Zauberflöte, im Weiteren auch in Webers Freischütz.
Bis heute im gleichen Haus
Als Kunstwerk auf höherer musikalischer und theatralischer Ebene seit 1764 hoffähig geworden, bekommt diese leichtere Form der Oper nun auch einen ständigen Sitz. Im Jahre 1783 weiht die Opéra Comique ihr neues Haus am heutigen Platz Boieldieu ein, mit Werken von Grétry und in Anwesenheit der Königin Marie Antoinette. Der Ort ist derselbe geblieben, nur ist er im 19. Jahrhundert zweimal abgebrannt und zweimal wieder neu aufgebaut worden. Der Sitz des heutigen Théâtre National de l’Opéra Comique stammt daher aus der Zeit der Belle Époque. Er wurde vom Architekten Louis Bernier entworfen und im Jahre 1889 fertiggestellt. Der Zuschauerraum ist bekannt für seine gute Akustik und fasst 1250 Personen. Die Kuppel darüber wurde von Benjamin Constant ausgemalt. Das pompöse Foyer mit den großen Decken-Lustern schmücken Wand- und Deckengemälde von Henri Gervex and Albert Maignan.
Doch diese neue Sesshaftigkeit am Ende des 18. Jahrhunderts tut der opéra comique zunächst nicht gut. „Das sonderbarste aber: die ‚comique‘ war bald nicht mehr komisch. Sie wurde zum sentimentalen Rührstück, zur ins Exotische ausweichenden Zauberoper und endlich zur aufrüttelnden Schreckens- und Revolutionsoper.“ – Beethovens Fidelio ist von diesen inspiriert – „‘Comique‘ das besagte bald nur noch: die bürgerliche Oper gab das Vaudeville, den gesprochenen Dialog zwischen den Gesängen niemals preis, sie blieb ‚Singspiel‘ in jeder Gestalt. Eines war die ‚comique‘ stets: realistisch und aktuell. Sie wechselt ihr Gesicht mit der Stunde und mit der Zeit, die sich in ihren Menschenbildern überdeutlich spiegelte. Sie führte das erwachende Bürgertum mit Grazie und Elan. Sie gab ihm Leitbilder. Obwohl nur Randerscheinung im großen Welttheater, stand sie mitten im brodelnden Leben der Nation“, schrieb der Musikschriftsteller Hans Renner.
Das Who is who der Opéra comique
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts bestehen die beiden Opernformen, die grand opéra, wie man die ernste Oper nun nennt, und die opéra comique noch nebeneinander fort. Die Opéra comique erlebt eine neue Blütezeit, mit Eugène Scribe als den bekanntesten Librettisten der französischen romantischen Oper und Komponisten wie Boieldieu, La Dame Blanche, Auber, Manon Lescault, Hérold, Le Pré aux Clercs, Adam, Le Postillon de Longjumeau, und Thomas mit seiner Mignon. Wenn auch wesentlich später entstanden, könnte man auch noch Bizets Carmen in die lange Liste der Opern einreihen, die im 19. Jahrhundert in der Opéra Comique uraufgeführt wurden.
Dennoch verwischen im weiteren Verlauf des Jahrhunderts die Unterschiede der beiden Opernformen, und sie verschmelzen schließlich zum drame lyrique.
Heute pflegt das Haus am Platz Boieldieu, das in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts vorübergehend stillgelegt worden war, einerseits die Opern, die seinerzeit dort uraufgeführt worden waren. Andererseits auch gelegentlich Barockopern, nachdem man anlässlich der inzwischen legendär gewordenen Aufführung von Lullys Athys mit alten Instrumenten unter der Leitung von William Christie 1987 festgestellt hatte, dass sich die Akustik des Hauses besonders gut für Barockopern eignet. Und drittens bringt die Opéra Comique immer wieder auch zeitgenössische Werke zur Aufführung. So spielt sie auf hohem musikalischem Niveau und mit originellen, fantasievollen Inszenierungen auch heute noch eine wesentliche Rolle im Kulturleben der französischen Hauptstadt.
Alexander Jordis-Lohausen