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Hintergründe
Am 12. Oktober 2024 hielt der Publizist und Wagner-Experte Frank Piontek beim Nürnberger Richard-Wagner-Verband einen bemerkenswerten Vortrag über Anton Bruckners ambivalentes Verhältnis zu Richard Wagner, wunderbar begleitet mit Musik von Felix Mendelssohn Bartholdy.
Zu einem ganz besonderen Vortrag lädt der Richard-Wagner-Verband Nürnberg am 12. Oktober. Frank Piontek, Publizist und Wagner-Experte, ist aus Bayreuth angereist, um über Anton Bruckners ambivalentes Verhältnis zu Richard Wagner zu referieren. Piontek wurde 1964 in Berlin-Schöneberg geboren. Er studierte Altgermanistik, Neue Deutsche Philologie und Philosophie in Berlin und Bayreuth. Seit 1988 lebt er in Bayreuth, wo er in diesem Jahr die Einführungsvorträge für die Bayreuther Festspiele hielt. Piontek hat viele Aufsätze und Artikel über Musiktheater, Kunst und Literatur publiziert. Zahlreiche Vorträge und Lesungen hielt er unter anderem in Bayreuth, Leipzig, Salzburg, Paris, Berlin, Kassel, Bamberg, Verona und Venedig. Regie- und Dramaturgie-Hospitanzen führten ihn an die Semperoper Wien, die Wiener Staatsoper und an das E.T.A.-Hoffmann-Theater Bamberg. In den letzten Jahren veröffentlichte er zahlreiche Bücher und Schriften über Richard Wagner.
Im Mittelpunkt des über 90 Minuten dauernden und frei gehaltenen Vortrages steht dabei Anton Bruckners ambivalentes Verhältnis zu Richard Wagner. Anlass ist das Bruckner-Jahr 2024 mit dem 200. Geburtstag des Ansfelder Komponisten am 4. September. Piontek eröffnet seinen Vortrag mit einem Zitat aus dem Zeit-Magazin Geschichte aus dem Wagnerjubiläumsjahr 2013: „Da macht sich einer klein vor einem Großen. Links, herrisch und mit charakteristischer Nase: Richard Wagner. Rechts, demütig und mit gewaltigem Taschentuch: Anton Bruckner. In der Mitte, von Wagner offeriert, von Bruckner enthusiastisch angenommen: Schnupftabak aus einem Döschen. Der Silhouettenkünstler Otto Böhler hat diese Szene um 1900 in schwarzen Karton geschnitten – kein Objekt des Wagnerkults, aber ein satirisches Dokument der Verehrung, die Wagner auch von vielen Komponisten entgegengebracht wurde. Die gezeigte Szene soll sich 1873 zugetragen haben, als Bruckner Bayreuth besuchte. Sie verrät uns einiges über den Gast. Wie er sich vor dem gut zehn Jahre älteren Wagner verneigte! Mancher Kenner meint: zu Recht; Bruckner sei von Wagner nicht nur beeinflusst worden, er habe sich auch nie so recht aus seinem Schatten lösen können.“
Piontek referiert im Folgenden über das Gerücht, dass Bruckner nicht nur ein verkappter Wagnerianer war, sondern ein Komponist, der allzu sehr von Wagner beeinflusst worden sei. Man weiß natürlich, dass Bruckner seine 3. Symphonie, die bezeichnenderweise Wagnersymphonie genannt wird, in fast hündischer Ergebenheit „Sr Hochwohlgeboren Herrn Herrn Richard Wagner, dem unerreichbaren, weltberühmten und erhabenen Meister der Dicht-und Tonkunst in tiefster Ergebenheit“ gewidmet hat. Nein, das doppelte „Herr“ ist kein Versehen; Bruckner hat es sichtlich ernst gemeint mit der „HERRlichkeit“ Wagners, seines musikalischen „HERRgotts“, den er in seiner 7. Symphonie feierte. Ein unsterblicher Gott, dessen Tod zu betrauern war, der aber gewiss unsterblich war, sagt Piontek.
Wagners „Unbeziehung“ zu Bruckner
Piontek referiert im Folgenden über das, was man geradewegs als „Unbeziehung“ bezeichnen müsste. Kannte Wagner auch Bruckner, so war er für ihn in erster Linie ein Wiener Musiker, der ihm zufällig eine Symphonie gewidmet hatte, die er nie im Konzert hörte – wohl auch nicht hören wollte. Zwar wird niemand heute noch geradewegs von einer Künstlerfreundschaft zwischen den beiden Musikern sprechen, auch wenn im allwissenden und gründlich irrenden Internet gelegentlich davon zu lesen ist. Die Frage aber muss lauten: „Wie viel Wagner steckt in Bruckner? War Bruckner wirklich ein Wagnerianer?“ Er war es, sagt Piontek, soweit es seine persönliche Hingabe an den Meister betraf. Sein Urerlebnis fällt in die Linzer Zeit, da der 38-jährige Musiker bei Otto Kitzler studierte, der ihm den Tannhäuser in die Hände drückte, als Vorbereitung auf die Linzer Premiere der Oper. Bruckner war tief beeindruckt von jener Klangwelt, „die er, seelenverwandt, schon geahnt, auf der Orgel wohl auch angewandt hatte, jedoch infolge seines Autoritätsglaubens nie gewagt haben würde, niederzuschreiben“, wie es bei Max Auer heißt. 1863 wurde der Tannhäuser in Linz erstaufgeführt, im folgenden Jahr schrieb er seine erste Symphonie, die Studiensymphonie – die wenig „Wagnerianisches“ aufweist. Harmonisch gewagter, wenn auch niemals „wagnerisch“, sind die folgenden Werke gewesen: die Erste und die Nullte Symphonie – doch als er 1864 seine erste große Messe schrieb – die d-Moll-Messe – ließ er Wagner-Motive anklingen. doch ohne zu wissen, dass er das „Liebestodmotiv“, die Parsifal-Stimmung und das „Speermotiv“ in seine Musik integriert hatte. Wer immer diese Motive in dem Werk hört, muss wissen, dass Bruckner seinerzeit nur den Tannhäuser kannte. Seinen Personalstil aber hatte er ohne den Einfluss Wagners bereits ausgebildet. „Er war schon damals ‚selber aner‘“, wie es im Brucknerdeutsch heißen müsste. Selbst nach dem Erlebnis des Tristan, dessen dritte Aufführung er 1865 in München besuchte, blieb seine Symphonik so, wie wir sie heute wahrnehmen, unverkennbar brucknerisch in Harmonie, Melodie, Dynamik und Großstruktur.
Dann spricht Piontek über Bruckners erste Begegnung mit Wagner in München, zwei Jahre nach dem Linzer Tannhäuser. Der Musikdramatiker scheint ihm freundlich entgegen gekommen zu sein, doch müssen wir uns vor allem auf Bruckners eigene Berichte verlassen, und genau die zeigen zweifellos subjektive Ansichten der Begegnungen, um es zurückhaltend zu formulieren. Nicht, dass Bruckner geradewegs gelogen hätte – aber wenn man bedenkt, dass Bruckner in den Schriften und Briefen Wagners praktisch nicht vorkommt, dafür aber in einem höchst surrealen Traum, dann ist Vorsicht geboten. Umgekehrt hat Bruckner niemals ein tieferes Interesse für die Szene entwickelt. Was ihn begeistert, war zuerst der Reiz einer unerhörten, neuen Musik, von der er lernen konnte, wie weit man gehen könne – nicht aber, wie man Wagner imitieren müsse. Dass er den Tristan in einem textlosen Klavierauszug studierte und später die Frage stellte, warum denn die Frau – gemeint war Brünnhilde am Ende des dritten Walküre-Akts – verbrannt werde, allein diese beiden Episoden zeigen, wie fern der Symphoniker den dramatischen Entwürfen Richard Wagners stand. Dennoch gibt es vielleicht Nahbeziehungen speziell zwischen einer Symphonie und Wagners mittleren Opern, doch gibt es auch wörtliche, musikalische Zitate? Reale Zitate, die von den kritischen Zeitgenossen allenthalben entdeckt wurden?
Die Widmung
An der Stelle beschäftigt sich Piontek mit Bruckners und der nach seine Worten schon fast grotesken Widmung der Dritten Symphonie an Richard Wagner. Gemäß der goldenen Legende wurde Bruckner in Wagners Bayreuther Haus von Wagner empfangen. Der Komponist legte ihm zwei neue Symphonien vor, fragte um eine Widmung an, woraufhin Wagner, der Bruckner als den größten Symphoniker seiner Zeit schätzte, sich für eine der Symphonien entschieden habe und Bruckner glücklich ins Hotel eilte. Leider aber war er so verwirrt, dass er sich von Wagner die „richtige“ Symphonie habe bestätigen lassen müssen. Die Erzählung sei nicht in allen Einzelheiten falsch, so Piontek, und deshalb bedürfe sie der Erläuterung. Nachdem Bruckner am 31. August 1873 den Entwurf des Schlusssatzes der Symphonie in Marienbad beendet hatte, reiste er am 13. September nach Bayreuth, um Wagner zwei Symphonien vorzulegen. Wagner lud nun Bruckner, den er bereits persönlich kannte, ins Haus Wahnfried ein. Nur wohnte Wagner damals noch in der Dammallee, Wagner empfing Bruckner also auf einer Baustelle.
Was hier in Kürze geschah, hat der Bildhauer Gustav Adolph Kietz, der damals an einer Cosima-Wagner-Büste arbeitete, seiner Frau berichtet: „Als ich gestern Nachmittag bei meiner Arbeit noch allein war, brachte der Diener Wagners ein Fässchen Bier herein. Ich frug: ‚Was soll das?‘ und er antwortete: ‚Es kommt Besuch.‘ Nicht lange darauf kamen Wagner, seine Frau und ein kleiner Herr, den mir Wagner als Herrn Anton Bruckner, Komponisten aus Wien, vorstellte. Da ich mit meiner Büste, zu der mir Frau Cosima stand, beschäftigt war, achtete ich nicht viel auf die Unterhaltung; ich hörte nur, dass von Musik gesprochen wurde, der fremde Herr von der Begeisterung der Wiener über den Lohengrin erzählen wollte, und Wagner immer abwehrend sagte: ‚Ach, lassen Sie das, ich kenne das, da kommt ein Schwan mit einem Ritter, das ist einmal etwas Neues hier, trinken Sie lieber, das ist ein herrlicher Trank, Weihen-Stephan‘ und dabei hielt er ihm ein großes volles Glas hin – ‚auf Ihr Wohl!‘ – ‚Um Gottes willen, Meister, das kann ich ja nicht, es wäre mein Tod, ich komme soeben aus Karlsbad!‘ – ‚Ach was,‘ rief Wagner, ‚das macht Sie gesund, trinken Sie!‘ Und er schenkte von neuem das Glas voll, und der gute Bruckner trank und trank, trotz Jammer und Gegenwehr, die seine musikalischen Gespräche immer von neuem in komischer Weise unterbrachen. Ich musste über die drollige Szene lachen und Frau Cosima sagte lächelnd zu mir: ‚Das ist ein echtes Wiener Kind.‘“
Am nächsten Tage konnte sich Bruckner partout nicht daran erinnern, welche Symphonie Wagner nun gewählt hatte. Glücklicherweise logierte im Hotel Goldener Anker auch der Bildhauer, der sich auch nicht genau erinnern konnte, er habe nur von einer d-Moll-Symphonie gehört und von einer Trompete. Damit war für Bruckner die Sache klar. Weniger klar ist die Antwort auf die Frage, ob auch Wagner Recht hatte, als er Bruckner eine kurze Mitteilung schrieb. Bruckner sandte Wagner – auf dem Briefpapier des Hotels – die Anfrage: „Symfonie in D moll, wo die Trompete das Thema beginnt“, und Wagner kurz und knapp daruntersetzte: „Ja! Ja! Herzlichen Gruß / Richard Wagner“. Man könnte allerdings auch vermuten, dass Wagner, der gerade einmal kurz das Skript durchgeblättert hatte, die Angelegenheit herzlich egal war, er aber seinen Wiener Anhänger keinesfalls vergraulen wollte. Möglicherweise hatte er auch seine Zustimmung zur Widmung der Ersten oder Zweiten Symphonie gegeben, obwohl der Hinweis auf den Einsatz der Trompete im Beginn der Dritten Symphonie relativ eindeutig ist. Was Wagner von den Symphonien Bruckners hielt, ist jedoch klar: wenig oder nichts. „Es ging und geht in unseren Symphonien und dergleichen jetzt weltschmerzlich und katastrophös zu“, wie er 1879 in Über die Anwendung der Musik auf das Drama schrieb. „Wir können nicht glauben, dass der Instrumentalmusik durch die Schöpfungen ihrer neuesten Meister eine gedeihliche Zukunft gewonnen worden ist.“ Bruckner musste hier gar nicht eigens genannt werden, um gemeint zu sein – auch wenn Wagner niemals eine seiner Symphonien im Konzertsaal erlebt hat.
Gegensätzliche Äußerungen
Es muss auch auffallen, dass alle lobenden Äußerungen Wagners über Bruckner von Bruckner selbst kolportiert wurden, Wagner sich aber nie verbindlich über die Werke Bruckners äußerte, erläutert Piontek. „Die unmittelbaren Zeugnisse über die Anerkennung, die Wagner Bruckner zuteilwerden ließ, stammen ausschließlich von Bruckner.“ Es fehlt nicht allein ein zu erwartendes Dankschreiben Wagners, das doch nach der Widmung der Symphonie nach Wien hätte gehen müssen und das nach der Quellenlage unmöglich verloren gegangen sein kann. Es fehlen auch einschlägige Äußerungen in den Tagebüchern Cosima Wagners. Es ist bezeichnend, dass Bruckners Besuch mit keinem einzigen Wort erwähnt wird, und dass ein Eintrag vom 8. Februar 1875 nur darauf hinweist, dass Bruckner, als man sich denn doch die Symphonie „vornahm“, als „armer Organist aus Wien“ bekannt war, nicht aber als angeblich von Wagner geschätzter Komponist. Ein musikalisches Urteil – nicht einmal ein negatives – findet man nicht in dieser Notiz: Der unwichtige Widmungsfall war offensichtlich damit abgetan. Erst am 24. Juni, vier Monate später also, hat Cosima Wagner dem „geehrten Herren“ – nicht einmal dem „geehrten Herrn Bruckner“ – einen freundlichen Brief geschrieben, der alles und nichts sagt: Wagner habe jetzt keine Zeit, sich selbst bei Bruckner zu bedanken, die Arbeit sei eine „schöne“, er habe sich ihr und der Widmung „ungemein gefreut“, „und um Ihnen seinen Dank kundzugeben, so ladet er sie freundlichst zu den Aufführungen“ des Rings ein. „Bis dahin aber hofft er noch einen Augenblick zu finden, um Ihnen mit einigen Worten zu sagen, was ich ungenügend hier ausgedrückt habe“. Diese Worte sollten Bruckner nie erreichen; was blieb, waren unverbindliche, mündliche Äußerungen – was für einen enormen Briefschreiber wie Wagner erstaunt. Wer nun vermutet, dass ein Brief Wagners an Bruckner verloren gegangen sei, darf sich daran erinnern, dass ein Wagner-Brief bei Bruckner nicht verlorengegangen wäre, bezeichnete er doch schon den einen und ersten und letzten Geschäftsbrief als „Reliquie“.
Bruckner selbst hat die Begegnung in einem späten Brief, geschrieben im Februar 1891 an Hans von Wolzogen in ein anderes Licht gerückt. Demgemäß habe Wagner ihn in den Salon geführt, und die Dritte Symphonie mit den Worten durchgeschaut: „Schau, schau – a was – a was“. Bei Durchsicht der „7. Abtheilung“ habe er die Trompete besonders hervorgehoben, dann darum gebeten, die Partitur nach Tisch zu studieren. Dann habe er ihn wieder auf 5 Uhr nach Wahnfried eingeladen und gesagt: „Sie bereiten mir mit dem Werke ein ungemein großes Vergnügen“. 1882 habe er dann zu Bruckner in Bayreuth gesagt: „Verlassen Sie sich, ich selbst werde die Sinfonie und alle Ihre Werke aufführen“. Auch für 1876 ist eine derartige Aussage bezeugt. Wagner soll, so heißt es, während einer Bayreuther Hauptprobe, an der Bruckner als Gast teilnahm, zu Bruckner gestürzt sein, begeistert ausrufend: „Bruckner ist da, wir werden die Symphonie aufführen!“ Daraus ist bekanntlich nie etwas geworden, weil Wagner niemals ein Interesse für den Komponisten Bruckner aufgebracht hat, konstatiert Piontek.
Reaktionen auf Bruckners Dritte Symphonie
Das Presseecho auf Bruckners Dritte Symphonie war verheerend. Der zu dieser Zeit berühmt-berüchtigte Musikkritiker Eduard Hanslick bekannte: „dass wir seine gigantische Symphonie nicht verstanden haben. Weder seine poetischen Intentionen wurden uns klar – vielleicht eine Vision wie Beethovens Neunte mit Wagners Walküre Freundschaft schließt und endlich unter die Hufe ihrer Pferde gerät – noch den rein musikalischen Zusammenhang vermochten wir zu fassen“. Nachdem Hanslick am 21. Dezember 1890 die Aufführung der letzten Fassung der Dritten gehört hatte, notierte der Kritiker, dass er das Werk immer noch nicht begreife. „Der erste Satz, in welchem sich Nachklänge aus der Neunten Symphonie mit etlichen Venusbergmotiven kreuzen, dann das lärmende Finale sind Stücke, die sich in lauter falschen Kontrasten bewegen und zersplittern. Sie haben mir den selben unkünstlerischen Eindruck gemacht, wie die übrigen in Wien gehörten Kompositionen von Bruckner, in welchen geistreiche, kühne und originelle Einzelheiten mit schwer begreiflichen Gemeinplätzen, leeren, trockenen, auch brutalen Stellen, oft ohne erkennbaren Zusammenhang wechseln“. Und er schloss seine Besprechung mit einem Hinweis auf den unheilvollen Einfluss, den Wagner auf Bruckner ausgeübt hatte: die Symphonie sei, wie ihm „einer der geachtetsten Musiker Deutschlands“ geschrieben habe, der „wüste Traum eines durch 20 Tristan-Proben überreizten Orchestermusikers“.
Am Schluss seines beeindruckenden und detailreichen Vortrags zieht Piontek ein ernüchterndes Fazit. „Nein, Bruckner, der gegenüber der Überautorität Wagner äußerst devot war, war kein Wagnerianer, mochte er auch hier und da – bewusst oder unbewusst, wer will es entscheiden – Wagner-Motive zitiert oder erinnert haben. Es ist gerade die Ähnlichkeit einiger weniger Passagen mit den angeblichen ‚Vorbildern‘, die uns von Bruckners Eigenem erzählt: dem Beharren auf eine selbst durch die Klassiker fundierte und neu erfundene, monumentale Form, die allein durch den eigenen Stil legitimiert werden kann.“ Bruckner beharrte auf eine unbequeme Zeitgenossenschaft, die Wagner gerade dort fremd sein musste, wo die im Heute befangenen Zeitgenossen nur die Ähnlichkeiten mit dem offensichtlich verehrten Bayreuther Meister erkennen konnten. Nein, es war vielleicht nicht immer bösartige Inkompetenz, die den Kritikern die Feder führte. In einer Zeit, die die Neue Musik noch ernst nahm, mussten sich vielleicht Parteien bilden: auch eine Wagnerpartei, der der „Wagnerianer“ Bruckner umstandslos zugeordnet werden konnte, wenn man nicht in die Tiefen der Analyse stieg und nur dem so genannten „Bombast“ vertraute, den man hier wie dort am Werk sah. Die Dritte Symphonie musste als Provokation empfunden werden, da zumal die Erstfassung noch jene Stellen enthielt, die zu sehr an Wagnersche Motive enthielten, als dass man den naiven Bruckner als parteilosen Musiker hätte empfinden können. Für Piontek ist es mehr als unwahrscheinlich, dass der Wagner des Jahres 1873, der kurz in die Skizzen von Bruckners Dritter Symphonie hineingeschaut hatte, sich zuletzt noch vom ganz anderen beeinflussen ließ. Von Bruckner war hier nichts mehr zu lernen. Auch Bruckner konnte ja von Wagner, dem Hochverehrten, nicht lernen, wie eine Bruckner-Symphonie gebaut werden müsse und wie sie zu klingen habe.
Musikalische Begleitung
Der mit großem Applaus bedachte Vortrag von Piontek über die „Unbeziehung“ Anton Bruckners zu Richard Wagner wird von dem Klaviertrio Veilhof aus Nürnberg begleitet. Josefin Müller am Violoncello, Laura Ion an der Violine und Elena Pirisi am Klavier spielen zu Beginn des Vortrages das Klaviertrio Nr. 1 in D-Moll von Felix Mendelssohn Bartholdy, jeweils den ersten und zweiten Satz. Dynamisch mitreißend und bewegend ist die Interpretation. Das Besondere an dem Trio ist, dass alle drei Musikerinnen Stipendiatinnen des Nürnberger Richard-Wagner-Verband sind. Während sich Ion mit bewegenden Worten für ihr diesjähriges Stipendiat bedankt und über ihre Erfahrungen in Bayreuth spricht, erhält Pirisi die Stipendiaten-Urkunde für 2025 von der Vorsitzenden des Nürnberger Richard-Wagner-Verbandes, Agnes Simona Sires, überreicht. Und so schließt sich über die Musik der Kreis zum Vortrag. Und was haben Felix Mendelssohn Bartholdy, Richard Wagner und Anton Bruckner gemeinsam? Sie alle griffen auf das Dresdner Amen, eine vierstimmige liturgische Chor-Akklamation aus dem 18. Jahrhundert unbekannter Herkunft in ihren Kompositionen zurück. Felix Mendelssohn Bartholdy verwandte es im Kopfsatz seiner Reformations-Symphonie, Anton Bruckner verarbeitete es in verschiedenen Motetten, im Finale seiner Fünften Symphonie und als zentrales Thema des dritten Satzes seiner Neunten Symphonie. Besonders intensiven Gebrauch machte Richard Wagner von diesem musikalischen Fragment, das er als Knabe im Gottesdienst der Dresdner Kreuzkirche kennengelernt hatte. Er zitiert es im Liebesverbot, im Tannhäuser und vor allem im Parsifal, wo es als Grals-Leitmotiv erklingt.
Andreas H. Hölscher