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Hintergründe

Komischer Start

Am 14. September eröffnet Intendantin Caroline Stolz die Spielzeit am Rheinischen Landestheater Neuss mit dem selbstinszenierten Stück Streichholz-Schachtel-Theater. Eine deutschsprachige Erstaufführung britischen Humors, mit der die Intendantin gleich mal Zeichen setzt. Viel Spaß, viel Neues und viel Offenheit hat Stolz sich offenbar auf die Fahnen geschrieben.

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Alles neu, alles anders und alles ohne Größenwahn. Das signalisiert schon das neue Spielzeitheft. Ein neues key visual durchzieht das Buch: Das Ausrufezeichen steht für Aufmerksamkeit, das gestürzte Fragezeichen für die kritische Auseinandersetzung und mit ein wenig Fantasie kann man das stilisierte R erkennen. An die grafische Gestaltung kann man sich gewöhnen, den zahlreichen Sonderwünschen ist die Druckerei nachgekommen, ohne sie qualitativ in der Bindung umsetzen zu können. Inhaltlich lässt das Buch kaum Wünsche offen, wenn einem vom Schauspielensemble vorerst Bilder genügen. Aber gerade daran kann man die Diskussion über Sinn und Notwendigkeit eines Spielzeitheftes entzünden. Denn parallel dazu gibt es einen komplett neugestalteten Internetauftritt – mit ausführlichen Informationen über das neue Personal, aber ganz ohne Papier und smartphonegerecht.

Diskussionsfreudig zeigt sich Caroline Stolz. Und so öffnet sie die Türen des Theaters. Am 14. September wird sie ihre erste Inszenierung als Intendantin präsentieren. Zuvor aber hat sie schon einmal die Neusser Bürger eingeladen, das neue Stück – eine deutschsprachige Erstaufführung – in einer Hauptprobe kennenzulernen und sich dazu zu äußern. Vor der Hauptprobe gibt es eine „Soirée“, in der Stolz und Dramaturg Olivier Garofalo das Werk im Gespräch vorstellen. Michael Frayn hat den guten alten Sketch wiederentdeckt. In seinem Buch Matchbox Theatre hat er 30 Szenen missglückter Kommunikation zusammengestellt, die zur Eröffnung der Spielzeit unter dem Titel Streichholz-Schachtel-Theater vorgestellt werden. Frayn ist für Stolz ein alter Bekannter. Bereits vier Mal hat sie sein Stück Der nackte Wahnsinn inszeniert. Mit dem Erfolg, dass der britische Autor ihr eine Carte blanche für die Inszenierung des Streichholz-Schachtel-Theaters erteilt hat. Rund 20 Menschen sind der Einladung der neuen Intendantin gefolgt. Für eine erste Einladung eine zufriedenstellende Zahl, zumal die Besucher sich schnell in das Gespräch einschalten. Ein erfolgversprechender Anfang. Und nach einer kurzen Pause geht es in dann in die Hauptprobe.

Die offene Atmosphäre gefällt. Da lässt man sich gern auf ein Stück ein, von dem man sich noch nicht so recht vorstellen kann, dass es funktioniert. 30 Szenen, die keinen direkten Zusammenhang haben und die hauptsächlich über die Sprache wirken. Feinster britischer Humor – ins Deutsche übersetzt? Eine Regisseurin, die keine Angst vor Slapstick hat. Die Unsicherheit ist groß. Endlich lässt Garofalo die Türen zum Großen Saal öffnen. Und nach rund 50 Minuten gibt es eine Pause. Da kann man sich ja dann immer noch verdrücken.

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Nachdem die Besucher sich entgegen den Wünschen der Regisseurin nicht im Block vor der Bühne versammelt, sondern über den Saal verteilt haben, betreten die Schauspieler den Saal, mischen sich unter das Publikum. Kennen wir. Brauchen wir nicht. Nackenschädigend. Und endlich öffnet sich der Vorhang. Was dahinter zum Vorschein kommt, ist so großartig, dass man gar nicht viel darüber erzählen möchte. Vor einem kongenialen Bühnenbild von Jan Hendrik Neidert findet nicht etwa ein Sammelsurium von Szenen statt, sondern Stolz hat diese Szenen in einen Rahmen gebettet, der einen fließenden Verlauf ermöglicht. Rasant bindet sich ein Wortgefecht an das andere, kurzweilig, bunt und aufregend.

Bei ihrem neu aufgestellten Team hat Stolz ein ausgewogenes Maß gefunden. Von Darstellern aus dem früheren Ensemble über blutjunge Absolventen der Schauspielschule, Mitstreitern aus ihrer früheren Wirkungsstätte Trier bis zu erfahrenen Schauspielern von anderen Bühnen ergibt sich ein neues Ensemble, das getreu dem Spielzeitmotto „Was ist Familie“ zu eben einer solchen zusammenwachsen soll. Davon geben die in dieser Produktion auftretenden Schauspieler schon einmal beredtes Zeugnis. Hergard Engert, Juliane Pempelfort, Nelly Politt zeigen ebenso wie Carl-Ludwig Weinknecht, Peter Waros und Benjamin Schardt die Energie, mit der Stolz in die kommenden Jahre startet. In einer Hauptprobe sind Texthänger sympathische Ausrutscher, die Darsteller und Zuschauer näher zueinander bringen. Bei dieser Gelegenheit fällt auf, dass die Souffleuse im Internet nicht namentlich erwähnt wird. Davon abgesehen wird beim Probenbesuch klar, dass die Angst vieler Intendanten, vor der Premiere zu viel zu zeigen, absolut unbegründet ist. Vielmehr ist der Einblick in den Entstehungsprozess ein Zugewinn. Und schon vor der Pause ist von den Zuschauern zu hören, dass sie jetzt richtig gespannt sind, was in der Endfassung zu sehen sein wird.

Caroline Stolz wird sich mit ihrem Team bei der Premiere feiern lassen dürfen. Das ist schon bei dieser Probe deutlich. Und sie hat damit Zeichen gesetzt. Das Theater Neuss will in den kommenden Jahren offenbar einen offenen Kommunikationsstil pflegen, sich auf Diskussionen einlassen und – wenn es nach den Eindrücken dieses Abends geht – aufregendes Theater mit neuen Impulsen zeigen. Bettina Jahnke, vorangegangene Intendantin, hat eindrucksvolle Produktionen gezeigt. Caro Stolz bringt frischen Wind in das Schauspiel, so scheint es. Der Prozess, sich der Stadt zu öffnen, geht weiter. Und davon können die Städte, die das Landestheater einladen, gleichermaßen profitieren.

Michael S. Zerban