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Nachruf

Nachruf auf Lars Vogt

Foto © Giorgia Bertazzi

Er setzte große Hoffnungen in eine neu entwickelte Antikörper-Therapie. Vergeblich. Drei Tage vor seinem 52. Geburtstag ist der Pianist und Dirigent Lars Vogt seiner schweren Krebserkrankung erlegen. Nach der schockierenden Diagnose vor anderthalb Jahren hat er trotz kräftezehrender Chemotherapien so oft wie möglich konzertiert, als Solist oder als Dirigent mit dem Orchestre de Chambre de Paris. Auch sein ihm besonders am Herzen gelegenes Kammermusikfestival Spannungen in Heimbach bereitete er noch vor und trat dort im Abschlusskonzert am 26. Juni dieses Jahres mit dem Klavierquartett c-Moll op. 60 von Johannes Brahms zum letzten Mal auf, bevor er seine Hoffnung versprechende Therapie antrat. War er körperlich auch bereits stark geschwächt, so schienen sich die Beschwerden am Klavier zu verflüchtigen. Die Anstrengung, die ihm der anspruchsvolle Part abverlangen musste, war weder seinem Spiel noch seinem körperlichen Einsatz anzumerken. Mit Brahms, einem seiner Lieblingskomponisten, der seine gesamte Karriere begleitete, verabschiedete sich Vogt von der Bühne. Auch seinen Herzenswunsch, mit Beethovens gewaltiger Hammerklaviersonate „die höchste pianistische Klippe zu erklimmen“, konnte er sich noch erfüllen. Die Pandemie schenkte ihm Zeit, um die Herkulesaufgabe zu stemmen.

Trotz seiner unermüdlichen Konzerttätigkeit auf allen Kontinenten, trotz zahlreicher Auszeichnungen und 23 oft preisgekrönter CD-Alben hat Lars Vogt in den über 30 Jahren seiner glanzvollen Karriere die Bindung zu seiner Heimat nie verloren. Am 8. September hätte der in Düren geborene Pianist, Dirigent und Hochschulprofessor seinen 52. Geburtstag begehen können. Vogt gehörte zu den wenigen deutschen Pianisten seiner Generation, die es in die erste Liga der internationalen Klavier-Szene geschafft haben. Seine erste Klavierlehrerin an der Dürener Musikschule, Ruth Weiß, erkannte früh das besondere Talent des kleinen Lars, der mit dreizehn Jahren als Bundessieger beim Wettbewerb Jugend musiziert hervorging. Er nahm Studien bei der Klavierpädagogen-Legende Karl-Heinz Kämmerling in Hannover auf, mit dem er bis zu dessen Tod in engem und freundschaftlichem Kontakt blieb. Es war mehr als ein Zufall, dass Vogt 2012 Kämmerlings Professur in Hannover übernahm.

Einen Karriereschub gab ihm die Begegnung mit Simon Rattle beim Internationalen Wettbewerb in Leeds. Der 19-jährige Vogt erzielte zwar „nur“ den zweiten Platz, aber Rattle war von dem jungen Mann so angetan, dass er ihm Debüts in Amerika und bei den Salzburger Festspielen, später auch bei den Berliner Philharmonikern ermöglichte. Rattle erkannte auch Vogts Talent für das Dirigieren. Beim ersten gemeinsamen Auftritt in Los Angeles bescheinigte ihm Rattle: „In zehn Jahren bist du Dirigent.“ Die Begründung lieferte er dem erstaunten jungen Mann gleich nach: „Weil dich das Ganze interessiert, nicht nur das Klavier“.

Rattle, mit dem Vogt auch etliche Alben einspielte, sollte Recht behalten. Neben der stetig aufsteigenden Karriere als Pianist betätigte sich Vogt immer intensiver als Dirigent. Als Leiter der britischen Royal Northern Sinfonia sammelte er wertvolle Erfahrungen, die ihm zahlreiche Gastdirigate in vielen Ländern einbrachten, oft in der Doppelfunktion als Solist und Dirigent. 2019 wurde er zum Chefdirigenten des Orchestre de Chambre de Paris ernannt. Und sein „Interesse am Ganzen“ schlug sich auch in der Gründung und leidenschaftlichen Förderung des pädagogischen Projekts Rhapsody in School nieder, bei dem seit 2005 bundesweit namhafte Musiker in Schulen gehen.

Lars Vogt hinterlässt seine Frau, die Geigerin Anna Reszniak, und drei Kinder. Nach Angaben seiner Agentur schlief er am Montagnachmittag im Kreis seiner Familie friedlich ein.

Pedro Obiera