O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Bayer-Philharmoniker - Foto © Bayer Kultur

Hintergründe

Gegenwind

In Zeiten, in denen der Staat der Kultur mehr und mehr die finanzielle Unterstützung durch Steuergelder entzieht, setzt das Leverkusener Unternehmen Bayer mit seinem alljährlichen Start-Festival ein Gegenzeichen. Im kommenden Jahr wird das Festival, so die jetzt verkündeten Pläne, umfangreich wie immer und an zusätzlichen Spielstätten stattfinden.

Guido Sant’Anna – Foto © privat

Kultur bereichert unser Leben, erweitert Horizonte und inspiriert zu Innovation. Für uns ist sie der Schlüssel zu einer vielfältigen und zukunftsgerichteten Gesellschaft“, sagt Thomas Helfrich, Leiter der Kulturabteilung des Leverkusener Unternehmens Bayer. Mit Leben füllt das Unternehmen diese Überzeugung seit 2020 mit dem Start-Festival. Zentrum des mehrmonatigen Geschehens ist das Erholungshaus in Leverkusen, aber längst hat sich das Festival auf andere Spielstätten in ganz Deutschland erweitert. Im nächsten Jahr wird neben dem Scala in Leverkusen wieder die Historische Stadthalle in Wuppertal dabei sein, in Weimar werden das Bauhaus-Museum und die Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek bespielt werden, neu hinzukommen das Kloster Knechtsteden in Dormagen, die Friedenskirche in Monheim am Rhein und der Kulturort 806qm in Darmstadt. „Wir möchten außergewöhnliche Musik und Formate erlebbar machen, die im üblichen Konzertbetrieb nur selten vorkommen. Ob Weltstars oder neue Talente: Bei uns treten Künstlerpersönlichkeiten auf, die sich gerne selbst herausfordern und ihrem Publikum etwas zutrauen“, gibt Christoph Böhmke, Leiter des Start-Festivals, die Leitplanken des nationalen Festivals vor.

Während der Staat die ohnehin – gemessen am Gesamthaushalt – marginale Unterstützung der Kultur mit Steuergeldern weiter kürzt, bis hin zu existenzgefährdenden Streichungen, wie sie jetzt wohl gerade wieder für das kommende Jahr beispielsweise in Berlin drohen, setzt das Leverkusener Unternehmen mit seinem Start-Festival 2025 geradezu ein Gegenzeichen. So zumindest sehen es die Pläne vor, die der Veranstalter jetzt veröffentlicht hat. Auf Exklusivität will man dabei nicht verzichten. „In einer Zeit, in der Festivals unter kommerziellen Druck geraten und sich immer mehr dem Mainstream zuwenden, schafft Bayer Kultur mit seinem Engagement Freiräume“, sagt Helfrich. Vom 26. April bis zum 29. Juni kommenden Jahres erlauben solche Freiräume auch die Hinwendung zu Komponisten, die man in den Konzertprogrammen seltener findet, wie beispielsweise Dmitri Schostakowitsch, Arvo Pärt oder Maurice Ravel.

Von Schostakowitsch wird der in Deutschland eher selten aufgeführte Liederzyklus Aus jüdischer Volkspoesie von den Bayer-Philharmonikern zu hören sein, der mit einer Lesung aus den Briefen der jüdischen Dramatikerin Sasha Marianna Salzmann von Iris Berben kombiniert werden wird. Vor dem Besuch dieser Veranstaltung sollte man sich mit dem Schaffen von Salzmann auseinandersetzen, um unangenehme sprachliche Überraschungen zu vermeiden. Neben der Academy of St. Martin in the Fields komplettieren das Vision String Quartet mit Schostakowitschs Streichquartett Nr. 8 sowie Alexander Krichel, Tobias Feldmann, Benedikt Kloeckner und Anush Hovhannisyan mit seiner Romanzen-Suite den Schwerpunkt um den russischen Komponisten. Der tiefreligiöse estnische Komponist Arvo Pärt wird aus Anlass seines anstehenden 90. Geburtstags mit einem Abend im Kloster Knechtsteden geehrt, in dessen Mittelpunkt sein zentrales Werk Stabat Mater steht, aufgeführt vom Estnischen Philharmonischen Kammerchor unter der Leitung des Gründers Tõnu Kaljuste und dem Concerto Copenhagen. Zum 150. Geburtstag von Maurice Ravel lädt Schauspieler Dominique Horwitz zu einer poetischen Reise in die Welt des faszinierenden Komponisten ein – geplant ist ein genreübergreifendes Konzert in Leverkusen mit dem Aris Quartett, der Pianistin Ulrike Payer und Sopranistin Christiane Karg.

Die Vielfalt der Kultur abbilden

Die Leverkusener Kulturarbeiter kümmern sich in verschiedener Hinsicht um den Nachwuchs. Auf Publikumsseite werden Aufführungen für Schulklassen zum kostenlosen Besuch angeboten. Auf künstlerischer Seite gibt es die Start Academy. Für sein Programm The Human Voice werden Pianist Giorgi Gigashvili und Sängerin Kato Kvaratskhelia dem Weimarer Publikum ein Programm vorstellen, das von der Liebe zu ihrer georgischen Heimat geprägt ist. Bei seinem Begrüßungskonzert in der Historischen Stadthalle in Wuppertal im Mai tritt das jüngste Start-Academy-Mitglied, der brasilianische Geiger Guido Sant‘Anna, gemeinsam mit einem Jugendensemble aus seiner Heimat an. Im zweiten Jahr seiner Förderung präsentiert sich der aus Nordamerika stammende Tubist Joshua Williams, ebenfalls in Wuppertal, als Solist mit einem eindrucksvollen Konzert. Das Symfonieorkest Vlaanderen unter der Leitung von Kristiina Poska wird ihn begleiten.

Auch wenn der Schwerpunkt des Festivals auf Musik liegt, erweitern die Leverkusener ihr Programm regelmäßig um Ausflüge in den modernen Tanz. So auch nächstes Jahr. Zwei Abende sind vorgesehen. Philippe Kratz, gebürtiger Leverkusener, einst als Tänzer der Start Academy gefördert, kehrt als Choreograf mit der Preziose Unfolding zurück – Teil eines Doppelpacks mit dem Ensemble Tanzmainz, in dem auch das Stück Promise der Choreografin Sharon Eyal aufgeführt wird. Die Choreografin und „Prophetin des befreiten Körpers“ Silvia Gribaudi hinterfragt in ihrem Stück Graces mit leidenschaftlichem Humor, Charme und Einfühlungsvermögen herkömmliche Vorstellungen von menschlicher Vollkommenheit. Und auch das Musiktheater findet seinen Platz im Festival, im kommenden Jahr wird die Hamburgische Staatsoper mit der multimedialen Umsetzung von Grigori Frids Oper Das Tagebuch der Anne Frank als „Graphic Opera“ in Leverkusen zu Gast sein.

Eröffnet wird das Festival am 26. April mit einer großen Party im Erholungshaus Leverkusen. Mit der Karibischen Nacht in einer Melange aus lateinamerikanischen Rhythmen und Pop wollen die Band Palito Aché und die Bayer Big Band Lebensfreude und Leichtigkeit vermitteln. Denn auch das gehört schließlich zu einem gelungenen Festival.

Michael S. Zerban