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Hintergründe
Das Theater Krefeld Mönchengladbach stellt das Programm der kommenden Spielzeit vor. Live vor Ort und als gedruckte Broschüre. Damit unterscheidet es sich von den meisten anderen Häusern. Allen gemeinsam ist allerdings die Ungewissheit, ob von dem Programm überhaupt etwas umsetzbar ist.
Schauspieldirektor Matthias Gehrt hat mehrere Pläne in petto. – Foto © O-Ton
Langsam trudeln sie ein, die Spielpläne der Opern- und Konzerthäuser für die kommende Saison. Teils in aufwändigen Hochglanzbroschüren, teils als schlichte Pressemitteilungen. Informationen werden ausschließlich per Post oder Internet verschickt. Bis auf das Theater Krefeld Mönchengladbach, das seine Saison im Rahmen einer Pressekonferenz live vor Ort im Krefelder Theater präsentiert. Mit Einhaltung der gebührenden hygienischen Maßnahmen einschließlich der Abstandsregeln. Für die anwesenden Journalisten eine dankbare Gelegenheit, überhaupt wieder einmal ein Theater betreten zu dürfen. Der Informationsgehalt solcher Bemühungen und Veranstaltungen bleibt allerdings, trotz dickleibiger Broschüren und wortreicher Erklärungen, mager. Nicht nur am Niederrhein. Denn fest steht, dass die vorgestellten Pläne nicht eingehalten werden können. Das Aalto-Theater in Essen, das sein Programm schon vor zwei Wochen bekanntgab, möchte am 26. September mit einem neuen Tannhäuser starten. Wenn man Orchester und Chor nicht auf Kammerbesetzung reduzieren will, dürfte der Plan illusorisch sein. Das Gleiche gilt für die Niederrheinischen Bühnen, die in Krefeld mit Donizettis Regimentstochter eröffnen wollten, aber die Reißleine zogen und stattdessen die bereits fertig geprobte und kurz vor der Premiere im März gestoppte neue Rusalka auf den Spielplan setzten. Ein Werk, das sich allerdings kaum weniger sparsam besetzen lässt als etwa Der Fliegende Holländer, der für November vorgesehen war und durch Poulencs Dialogues des Carmélites ersetzt werden soll. Verschiebungen und Ersetzungen aller Art auch im Schauspiel: Der Wilhelm Tell wird in die übernächste Saison verschoben, Wajdi Mouawads Vögel nach hinten gerückt, Hamlet entfällt vorerst ganz.
Was den Informationsgehalt angeht, ist das schöne Papier, auf dem die ambitionierten Pläne gedruckt sind, sein Geld nicht wert. Von Planungssicherheit kann nicht die Rede sein. Angesichts der sich täglich ändernden Verhaltensregeln und Lockerungsszenarien dürfte den Intendanten noch mehr Improvisationsgeschick abverlangt werden als den Schulen, die derzeit auf extrem kurze Vorlaufzeiten und Vorbereitungsphasen reagieren müssen. Ob Organisationstalent und Fantasie ausreichen, um einen zeitlich eng disponierten Apparat mit Chor, Orchester, Solisten, Technikern, Handwerkern aller Art und einem ausgeklügelten Abonnementssystem unter diesen Bedingungen in Bewegung setzen und am Leben erhalten zu können, ist kaum vorstellbar. Auch wenn die Theater, zumindest die subventionierten, weiterleben werden. Wobei sich die Ensemblepflege der mittleren und kleineren Häuser auszahlen könnte, die ihre Kräfte flexibler einsetzen können als große Renommierbühnen, die auf Gaststars angewiesen sind. Dass kleinere Häuser auch anspruchsvolle Herausforderungen mit eigenen Kräften stemmen können, hat nicht zuletzt vor wenigen Monaten das Theater Krefeld Mönchengladbach mit einer exzellent besetzten Salome bewiesen.
Keiner weiß, wie’s weitergeht
Einstellen wird man sich wohl darauf, dass bis zum Ende des Jahres vor allem klein besetzte Werke zum Zug kommen werden. Für Mönchengladbach ist eine Musikrevue aus Corona-Zeiten von Ulrich Proschka geplant, für Krefeld ein Opernpasticcio von Kobe van Rensburg mit dem Titel The Plague – was so viel wie die Pest oder die Seuche heißt. Man darf davon ausgehen, dass das Publikum die Durststrecke einige Monate mittragen wird. Dirigent Marcus Bosch, Vorsitzender der Generalmusikdirektoren- und Chefdirigentenkonferenz des Deutschen Musikrats, erwartet einen unbändigen Hunger des Publikums nach Live-Erlebnissen. „Geister“-Aufführungen ohne körperlich anwesendes Publikum können das Live-Erlebnis nicht wirklich ersetzen. Man denke nur an die trostlose Stimmung beim Europakonzert der Berliner Philharmoniker.
An Livestreams dürfte man sich mittlerweile sattgesehen haben. Dass sich Teile vor allem des älteren Publikums in diesem Jahr mit ihren Besuchen noch zurückhalten könnten, auch damit lässt sich leben. Die Abstandsregeln verhindern ohnehin voll besetzte Häuser. Eine diskutable Lösung könnten sogenannte „Hybrid-Aufführungen“ sein. Konzerte und Opernaufführungen mit Publikum, die zeitgleich online gestreamt werden, so dass die Hörer entscheiden können, ob sie die Veranstaltung persönlich vor Ort oder zu Hause genießen wollen.
Allerdings stellt das vor allem kleinere Häuser vor aufwändige und auch kostspielige technische Probleme, die die Sorgenfalten der Intendanten nicht schmälern dürften. Gleichwohl erinnert uns die Krise daran, dass verlässliche Normalität auch im Theateralltag brüchiger ist als wir alle uns das vorstellen konnten oder wollten. Wenn, wann immer das auch sein mag, ein wenig Ruhe eingekehrt ist, sollten die Theaterleute an Formaten arbeiten, mit denen flexibel und nicht völlig unvorbereitet auf Überraschungen reagiert werden kann. Denn Überraschungen wird es immer geben.
Pedro Obiera