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Das Sommerblut-Festival in Köln wird stattfinden. Allerdings in digitaler und reduzierter Form. Wie das aussehen wird, hat der Künstlerische Leiter Rolf Emmerich in einer digitalen Pressekonferenz vorgestellt.

Rolf Emmerich – Bildschirmfoto

Das Sommerblut-Festival in Köln bezeichnet sich selbst als „Festival der Multipolarkultur“. Darunter verstehen die Macher nach eigenen Angaben ein „inklusives Kulturfestival, das die unterschiedlichen gesellschaftlichen, sozialen und politischen Standpunkte und Identitäten miteinander verbindet“. Ursprünglich war das Festival, das vom 8. bis zum 24. Mai unter dem Motto Zukunft stattfindet, erzählt Rolf Emmerich, Künstlerischer Leiter des Festivals, Mitte März fix und fertig geplant. Dann kam das Aufführungsverbot. Anstatt aber dem dieser Tage anscheinend üblichen Reflex der Kulturschaffenden zu folgen und eine Absage zu veröffentlichen, geht das Sommerblut-Festival andere Wege.

Das Festival findet statt. Oder sollte man besser sagen: Ein neues Festival wird ins Leben gerufen? Denn Sommerblut wandert ins Netz. Das gab Emmerich anlässlich einer digitalen Pressekonferenz am 16. März bekannt. Allerdings nicht ohne Folgen. Von den geplanten 34 Veranstaltungen können bislang lediglich zehn als gesichert angekündigt werden. 21 sind im Prozess der Klärung und drei sind abgesagt. Ob dieser Schritt als positives Signal für andere Kulturschaffende oder als totaler Flop ausgehen wird, ist derzeit noch nicht abzusehen. Immerhin haben die Finanziers des Festivals ihre Unterstützung zugesichert. Ob allerdings das Publikum mitgehen wird, scheint in erster Linie an den technischen Lösungen zu liegen. Schon die Pressekonferenz stellt Herausforderungen selbst an internetversierte Journalisten. Beispielvideos, die während der Konferenz einbezogen werden, enden im Nirwana. Bis Mai allerdings ist noch Zeit, die Nutzerfreundlichkeit so hinzubekommen, dass die Menschen mit den technischen Herausforderungen klarkommen. Und dann auch bereit sind, Eintrittskarten zu kaufen. Denn hier sollen die regulären Preise eines analog stattfindenden Festivals veranschlagt werden.

Für die potenziellen Besucher des Festivals ist der Einstieg vergleichsweise einfach, wenn eine vernünftige Lösung bei den Eintrittskarten gefunden wird. Denn die Eröffnungsveranstaltung wird als Livestream mit Zuschaltungen, unter anderem der Kölner Oberbürgermeisterin, stattfinden. In diesem Rahmen wird es auch Einbindungen von Veranstaltungen vor Ort geben. Auch der etwa 30-minütige Film, den KimchiBrot Connection unter dem Titel future x einstellen wird, wird noch problemlos rezipierbar sein. Ebenso wie das Radiostück in drei Episoden, das derzeit noch 25 Frauen aus dem Projekt We are here to stay erarbeiten.

Bildschirmfoto

Durchaus anspruchsvoller wird das Stück von Damengedeck 2.0, das als Rundgang in der Zukunft inszeniert werden soll. Denn das Projekt wird nicht nur interaktiv angelegt, sondern vor allem als „Zoom-Konferenz“. Zoom ist ein Programm, das Video-Konferenzen im Internet organisieren will. Es kommt auch bei der Pressekonferenz zum Einsatz. Und nach den Erfahrungen dort wird es spannend sein zu sehen, ob die Besucher nicht gleich reihenweise aussteigen. Denn ganz so einfach ist Zoom nicht zu bedienen. Und ein mulmiges Gefühl bleibt ohnehin, nachdem Zoom gerade massenhaft gehackt wurde.

Bei Mensch von Morgen ist es zwar „nur“ ein Livestream, den inzwischen alle beherrschen sollten, wenn er denn richtig verlinkt ist, aber auch hier ist der Anspruch hoch. Chronisch Kranke und junge Flüchtlinge kommen in der Kirche St. Gertrud zu Wort, wenn sie mit ihren Avataren sprechen, also künstlich geschaffenen Figuren. An ein Skype-Projekt traut sich gar die Veranstaltung Durch Nacht zum Licht heran, bei dem sich zwei Gebärdenpoesiekünstler äußern wollen. Für das Projekt Furcht in Zeiten von AFD wird eine eigene Website erstellt, die mit Hörstücken, Lesungen und fiktiven Radioshows glänzen will. Andere Stücke wollen gar mit Rundgängen durch die Stadt Erfolge erzielen. Die Vorstellung, dass einzelne Besucher mit Kopfhörern durch die Stadt irren, weil es ja nach wie vor eine Kontaktsperre gibt, ist so abenteuerlich wie scheinbar undurchführbar. Auch hier sind also die Hürden hoch gesetzt.

Wenn wenigstens einiges von dem funktioniert, was hier hoch ambitioniert geplant ist, könnte es dem Sommerblut-Festival gelingen, einen Durchbruch in der digitalen Darstellung zu erzielen. Nein, das Live-Erlebnis lässt sich auf diesem Wege nicht ersetzen. Aber das Sommerblut-Festival könnte neue Formate im Netz zeigen, die für die Zukunft (sic!) Signale setzen. Damit steht das Festival vor nichts weniger als der Entscheidung, ob es in die Geschichte eingeht oder peinlich scheitert. Das ist mutig und verlangt schon jetzt Respekt. Vom Publikum darf man erwarten, dass es sich mit demselben Engagement einbringt.

Michael S. Zerban