Kulturmagazin mit Charakter
Hintergründe
Von Juni bis November findet jeweils am Ersten eines Monats ein Konzert zum Thema Ritual statt. Die Reihe wurde von Sophie Emilie Beha kuratiert und wird an drei Spielstätten in Köln durchgeführt. Vor Beginn der Konzerte gibt es einen „Hör-Spaziergang“, der auf das Thema einstimmen soll. Ein Ritual, an dem man nicht teilnehmen muss, das aber Spaß machen könnte.
Sophie Emilie Beha – Foto © Sophia Hegewald
Sophie Emilie Beha, geboren in Thüringen, studierte Musikjournalismus in Dortmund und ist seither damit beschäftigt, Festivals und Konzertreihen in Köln zu kuratieren, arbeitet als Journalistin, lyrische Autorin, als Musikerin und als Moderatorin. Ihr neuestes Projekt ist eine Konzertreihe unter dem Titel Ritual. Damit will sie „auf die unterschiedlichen Möglichkeiten innovativer Musikerlebnisse aufmerksam machen und kostbare Inseln im Alltag schaffen“.
Walter Burkert hat in Homo necans das Ritual als „kommunikative Handlung“ definiert. Ein wenig kurz gesprungen, möchte man meinen, denn es fehlen das Regelhafte und der hohe Symbolgehalt, die üblicherweise mit dem Begriff konnotiert werden. Was ein Ritual sonst noch ausmacht, damit wollen sich verschiedene Künstler in der sechsmonatigen Konzertreihe auseinandersetzen, die jeweils am Ersten eines jeden Monats ab Juni stattfinden wird. Drei Spielstätten hat Beha dazu ausgewählt. Da ist zunächst der Stadtgarten Köln, ein Konzertsaal an der Venloer Straße im Stadtteil Ehrenfeld, der sich im Ausbau zu einem „Europäischen Zentrum für Jazz und Aktuelle Musik“ befindet. Im Keller des Gebäudes findet sich das Jaki, ehemals Studio 672, das als Klub konzipiert ist. Und gleich gegenüber liegt die Christuskirche Köln, in der ebenfalls Konzerte geplant sind. Allen Konzerten gemein ist, dass sie mit einem „Hör-Spaziergang“ beginnen, der auch für blinde und sehbehinderte Menschen geeignet ist. Beha versteht die Spaziergänge als zusätzlichen Service, der keine Voraussetzung für den Besuch der Konzerte ist, aber auch nicht zum Besuch der Konzerte verpflichtet. Sie sollen das Gemeinschaftsgefühl der Besucher stärken.
Luise Volkmann stammt gebürtig aus Bielefeld und lebt heute in Köln. Als Jazz- und Improvisationsmusikerin ist das Saxofon ihr bevorzugtes Instrument. Im Konzertsaal eröffnet sie mit einem fünfköpfigen Ensemble die Konzertreihe. Volkmann sieht und betont in ihren gesellschaftlich motivierten Projekten das Potenzial der Kunst, rituell zu wirken. Das Programm Rites de Passage, zu Deutsch Übergangsriten, in dem es um Transformation und Rituale des Übergangs geht, knüpft an diesen Gedanken an und kombiniert klassisches Instrumentarium mit Synthesizer und Live-Elektronik zu einer futuristischen Klangwelt.
Florian Rynkowski komponiert Musik für den Kirchenraum. Am 1. Juli nach Sonnenuntergang vereint er in der Christuskirche Minimal Music mit neuer Kammermusik und Jazz. Das Hörerlebnis verstärkt er durch den Einsatz von Lichtkunst. Die spirituelle Kraft seiner Musik entsteht nicht nur durch die ungewöhnliche Besetzung des Ensembles mit Altsaxofon, Klarinette, Bassposaune, Viola da Gamba, Synthesizer, Zither, E-Bass, und Gambe, sondern vor allem auch durch die Idee, Verbindungen zwischen musikalischen Epochen und Stilen herzustellen.
Die größte organisatorische Herausforderung der Konzertreihe stellt sicher der Abend in der Christuskirche dar, den Komponist Wojtek Blecharz als Ritual der Selbsterfahrung gestaltet. Bei Field 5. Aura liegt jeweils ein Zuhörer inmitten eines Lautsprecherkreises und erlebt eine 15-minütige „Klangmassage“. Dazu muss im Vorfeld eine Zeiteinheit gebucht werden.
Hand Werk – Foto © Rebecca ter Braak
Die Komponistin Maria de Alvear wurde beauftragt, ein neues Stück zu schreiben. Prinzipien und Anfänge/Principios y comienzos kommt am 1. September in der Christuskirche zur Uraufführung. Die Komposition besteht aus kleinen miteinander verbundenen Miniaturen, die in fester Folge oder auch unabhängig voneinander gespielt werden können. Das Zusammenspiel der Miniaturen schlägt eine rituelle Reise vor – von den ursprünglichen Klängen der Kindheit hin zu einer fortschreitenden Abstraktion, die auf magische Weise wieder mit der kindlichen Unschuld in Verbindung tritt. Maria de Alvear, die Musikaufführungen stets als rituelle Handlungen sieht, zielt mit ihren Werken auch auf die Überwindung der Schranken zwischen Akteuren und Publikum. Auf der Bühne steht an diesem Abend das Kölner Ensemble Hand Werk.
Mit einem Soloprogramm tritt Yara Mekawei im Jaki auf. Sie erforscht die Überschneidung von Klang, Architektur und Stadtlandschaften. Ihre Arbeit verwandelt den Rhythmus von Städten in eindringliche Hörerlebnisse, in denen Klanggeschichten mit visuellen Formen verschmelzen. Auf der Grundlage tiefgreifender Forschungen schlägt Mekawei eine Brücke zwischen Altertum und Moderne. Sie schöpft aus der mystischen Sufi-Philosophie und dem altägyptischen Buch der Toten.
Die NRW-Premiere von Drag & Drum bildet den Abschluss der Konzertreihe im Konzertsaal. Heinrich Horwitz und Jonathan Shapiro experimentieren seit 2018 in wechselnden Konstellationen und Genres gemeinsam an den Schnittstellen Musik, Performance, Tanz und Sprache. Drag & Drum ist die zweite Zusammenarbeit mit Liedermacher, Opernsänger und Drag-Künstler Shlomi Moto Wagner. Sie thematisiert und transformiert jüdische und queere Rituale.
Ein interessantes und abwechslungsreiches Programm aktueller Musik hat Beha da zusammengestellt. Und sicher ist auch der eine oder andere Abend dabei, an dem Menschen einfach mal Gegenwartsmusik ausprobieren können. Ob es gelingt, den Spannungsbogen tatsächlich über sechs Monate zu halten, oder ob ein zusammenhängendes Festival im Sommer nicht noch attraktiver für das Publikum gewesen wäre, wird man erst rückblickend beantworten können. Bis dahin setzt Beha jedenfalls schon mal ein Zeichen für die aktuelle Musik, die in Köln auf eine lange Tradition zurückblicken kann, auch wenn die Stadt gerade dabei ist, das Neue-Musik-Festival Acht Brücken durch Entzug der finanziellen Förderung zu gefährden. Am Publikum liegt es nun, sich solidarisch zu zeigen. Und vielleicht auch mal über eigene Rituale nachzudenken.
Michael S. Zerban