O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Hintergründe

Konstruktive Weiterentwicklung

Harte Zeiten nicht nur für freischaffende Kulturarbeiter, sondern auch für das Publikum. Die geistige Nahrung wird auf ein Minimum zurückgefahren. Da ist es gut, wenn das Theaterkollektiv Wehr51 die Möglichkeit bekommt, sein Stück The Influencer noch einmal als Hörspiel zu präsentieren. Radio 674FM schafft Platz für Kulturschaffende, ihre Werke zu präsentieren. Zu hören wird ein Wirtschaftskrimi in der Zukunft sein.

Rosi Ulrich – Foto © Alessandro DeMatteis

Da hatte man sich eigentlich mehr Kreativität erwartet. Als das Aufführungsverbot in Deutschland erging, war die Hoffnung groß, dass die Kulturschaffenden sich nun endlich ernsthaft und über Marketing-Inhalte hinaus mit neuen Digital-Formaten beschäftigten. Seit einer Woche sieht man allerdings kaum mehr als Konserven, Hauskonzerte in mehr oder minder ausreichender Qualität oder Lesungen – von wenigen löblichen Ausnahmen abgesehen. Eine davon ist das Theaterkollektiv Wehr51. Rosi Ulrich und Andrea Bleikamp haben im November 2018 ihr Stück The Influencer in der Orangerie in Köln vorgestellt (O-Ton hat berichtet). Ein großer Erfolg vor vergleichsweise kleinem Publikum. Und damit war es das im Wesentlichen – wie es sich für die so genannte Freie Szene gehört. Vielleicht noch ein, zwei Aufführungen, ein paar Gastspiele, wenn es gut läuft. Und während des Aufführungsverbots sieht es ohnehin schlecht aus, das Stück noch einmal aufzuführen. Aber manchmal hat man nicht nur Erfolg, sondern es kommt auch noch Glück hinzu.

Die Website 674FM hat sich bei ihrer Gründung zum Ziel gesetzt, einen „facettenreichen Querschnitt Kölner Club-, Bar- und Wohnzimmersounds zu repräsentieren“. Damit steht sie nach eigenen Angaben für ein „frisches und authentisches Radioprogramm, das von Herzen kommt“. Als am 13. März das Aufführungsverbot kam, entschieden sich die Verantwortlichen, Sendeplätze für Kulturschaffende zur Verfügung zu stellen, um Solidarität zu zeigen. Und so gibt es jetzt die erfreuliche Nachricht, dass The Influencer am 7. April ab 19 Uhr für eine Stunde als Hörspiel zu hören ist. Maßgeblich dafür war sicher, dass ein gut Teil des Bühnenstücks bereits als Hörspiel konzipiert war.

Als aufwändiges Hörspiel. Und als ungewöhnliches dazu. Ulrich hat hier die Medea-Erzählung mit einem futuristischen Wirtschaftskrimi verwoben. Neun Stimmen und die Klänge von Sibin Vassilev, die das Geschehen permanent unterfüttern, sorgen für fesselnde Spannung, verlangen aber auch ein Höchstmaß an Konzentration. Schon bei der Uraufführung, bei der die Stimmen aus dem Off eingespielt wurden, musste man ganz bei der Sache sein – und gerne auch schon die Medea-Erzählung kennen – um den Feinheiten der Bühne folgen zu können. Hinten raus wurde es dann etwas entspannter. Da konnte man sich dann ganz auf die dystopische Entwicklung einlassen. Im Hörspiel wird man vermutlich auf den Titelgeber verzichten müssen: Die Influencerin, die Andrea Bleikamp so sorgsam inszeniert hat, wird wohl kaum vorkommen. Aber das Hörspiel funktioniert auch ohne sie.

Denkt man an die Aufführung zurück, dürfte besonders erfrischend sein, dass die neun Stimmen ein ganz neues Klangbild abseits der „öffentlich-rechtlichen“ Stimmen schaffen. Daran wird man sich vielleicht erst mal gewöhnen müssen, aber es dürfte ein besonderer Gewinn sein.

Es ist vielleicht ein Jahr her, dass die öffentlich-rechtlichen Sender erkannt haben, dass ein starkes Bedürfnis des Publikums nach Hörspielen besteht. Seitdem werden die Wellen von diesem wiederentdeckten Genre schier überschwemmt. Dass es sich gerade bei The Influencer lohnt einzuschalten respektive die Website aufzurufen, hat mehrere Gründe. Da ist zum einen das neue Klangbild. Daneben ist die Professionalität der Produktion beeindruckend. Nicht zuletzt kommt hier tatsächlich mal ein „neues Digital-Format“ zum Einsatz, dass die Theater und Opernhäuser wie auch die so genannte Freie Szene bislang schmerzlich vermissen lassen.

Und noch vor Ausstrahlung des Hörspiels ist klar, dass sie allenfalls Appetit auf neuerliche Aufführungen des Stücks auf der Bühne machen kann. Bis dahin dürfen sich die Hörer auf die Sendung des Hörspiels auf Radio 674FM freuen. Eine Stunde lang, ehe man sich im Hausarrest wieder dem üblichen Kram zuwendet.

Michael S. Zerban