O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Interim - Foto © Stadt Kassel GWG

Hintergründe

Es wird sportlich

Es trifft sie alle: die Opernhäuser in Deutschland – und zahlreiche Stadttheater obendrein – werden sanierungspflichtig. Jetzt hat es auch das Opernhaus am Friedrichsplatz in Kassel erwischt. Die Kasseler starten mit dem gleichen Optimismus wie ihre Vorgänger und ganz individuell, wie alle. Die kommende Spielzeit wird in der drittgrößten Stadt des Bundeslandes Hessen spannend. In der Umbruchsituation muss sich auch gleich noch der neue Generalmusikdirektor beweisen.

Ann-Kathrin Franke, Bernadette Binner, Thorsten Teubl, Florian Lutz, Ainārs Rubiķis, Kornelius Paede und Tobias Geismann – Foto © Sylwester Pawliczek

In den Jahren 1955 bis 1959 entstand nach den Plänen der Architekten Paul Bode und Ernst Brundig das Staatstheater am Friedrichsplatz in Kassel. Es ersetzte den 1943 zerstörten Vorgängerbau, das Hoftheater oder auch Preußische Staatstheater. Das Staatstheater wurde über die Jahre durchaus in Schuss gehalten. So fand 1990 bis 1995 eine grundlegende Sanierung der Bühnentechnik statt, der Brandschutz wurde 2001 auf den aktuellen Stand gebracht und 2007 wurde eine Gesamtsanierung abgeschlossen. Nun ist wiederum eine Instandsetzung vonnöten. Während man Anfang des Jahrtausends auf Ersatzspielstätten in unmittelbarer Umgebung des Staatstheaters setzte, hat sich die Stadt Kassel nun zu einer Ersatzspielstätte auf dem Gelände der ehemaligen Jägerkaserne entschlossen. Seit Juli vergangenen Jahres wird dort das „Interim“ gebaut, ein Theaterbau, der in seiner Wandelbarkeit Modellcharakter haben soll. Der rechteckige Theatersaal wird über eine umlaufende Galerie, einen abdeckbaren Orchestergraben, flexible Podesterien und eine Schwerlastendrehscheibe verfügen, während der Schnürboden Verwandlungen über der gesamten Fläche ermöglicht. Das Platzangebot wird mit 850 Sitzen im Vergleich zu jetzt 953 annähernd gleichgroß bleiben. Das Interim wird in Modulbauweise erstellt, so dass es nach der geplanten fünfjährigen Sanierungsphase unproblematisch weiterverkauft werden kann. Das Modell ist bereits in Genf erprobt worden. Dort wurde der Holzbau unmittelbar nach Ende der Sanierung nach China transportiert.

Da ist dem Staatstheater Kassel zu wünschen, dass die Umsetzung ihrer Planung so erfolgreich verlaufen wird wie in Genf. Vorbehalte oder Misstrauen gegenüber der Ausweichspielstätte sollten zumindest nicht zu befürchten sein. Dazu dürfte die Neugierde der Kasseler auf ihren Generalmusikdirektor zu groß sein. Im August tritt Ainārs Rubiķis sein neues Amt an. Der aus Lettland stammende Dirigent, der zuletzt als GMD an der Komischen Oper Berlin gearbeitet hat, wird gleich in seinen ersten Monaten auf diversen Bühnen der Stadt zu erleben sein: Seinen ersten Auftritt wird Rubiķis gleich am 23. August gemeinsam mit dem Staatsorchester Kassel und der Band Milky Chance beim großen Stadtsommer-Open-Air in der Karlsaue zelebrieren.

Am 31. Oktober gibt es dann die große Eröffnung des Interim mit einer multimedialen Inszenierung der Aida von Intendant Florian Lutz und der musikalischen Leitung von Rubiķis. Im Musiktheater stechen in der kommenden Spielzeit vor allem zwei Produktionen ins Auge. Am 20. Dezember wird Der Brand von Julia Mihály und Sina Ahlers uraufgeführt, das ebenso wie Zornfried von Philipp Krebs nach dem Roman von Jörg-Uwe Albig „um gestürzte politische Brandmauern und die beunruhigende Salonfähigkeit tiefrechten Gedankenguts“ kreist. Ergänzend fügt sich ein vokalsinfonisches Großwerk des antifaschistischen Widerstands zwischen Oratorium und politischem Lied ein. Das schuf Hanns Eisler mit seiner Deutschen Symphonie. Am Staatstheater Kassel kommt das Werk nun erstmals in der Regie von Paul-Georg Dittrich szenisch zur Aufführung.

Rund 30 Konzerte, die thematisch den Elementen und dem Menschen zugeordnet sind, umfasst der weitere Konzert-Spielplan unter der Leitung Rubiķis‘ und des Orchestermanagers Tobias Geismann. Die Programme reichen von sinfonischen Höhepunkten der Klassik und Romantik bis zur Gegenwart, von Mozart über Mahler und Ravel bis zu Tan Dun und Kaija Saariahos, und bieten neben Bekanntem und zu Unrecht Vernachlässigtem auch Entdeckungen aus der lettischen Heimat von Rubiķis, der fünf der Sinfoniekonzerte selbst dirigieren wird. Hinzu kommt ein Konzert im Rahmen der Kasseler Musiktage. Als Gastdirigenten konnten Moritz Gnann, Marco Comin und Jānis Liepiņš gewonnen werden.

Komplettiert wird die Spielzeit mit Theateraufführungen, und die Tanzkompanie wartet unter anderem mit Hofesh Shechters The Bad auf. Damit rückt in Zusammenarbeit mit dem Suzanne Dellal Centre Tel Aviv die israelische Tanzszene in den Fokus.

Es gibt also auch aus überregionaler Sicht gute Gründe, in der kommenden Spielzeit den Blick verstärkt einmal auf das Staatstheater Kassel zu richten.

Michael S. Zerban