O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Unter der Bühne des Freiburger Theaters - Foto © Matthias Kolodziej

Hintergründe

Oper unbekannt

Fünf Wochen lang haben sich die Freiburger Residenzkünstler by Proxy mit einem ihnen bis dahin unbekannten Medium auseinandergesetzt. Mit einem neuen Blick schauen sie jetzt auf die Oper und zeigen die Ergebnisse in einem viertägigen Festival, das an ungewöhnlichen Orten „andere“ Opernerlebnisse generieren soll. Bewusst setzt das norwegische Theaterkollektiv dabei auch auf die aktive Beteiligung der Freiburger Bürger.

Tamina Theiß – Foto © Marc Doradzillo

Es ist nicht vorbei, bis der Sopran stirbt – Sterbearien zum Abschied, Bingo-Spielen mit Barock-Musik, Rocksänger singen Oper und umgekehrt, Oper im Club und nicht zuletzt verschanzen sich ein paar Besucher während einer Opern-Aufführung unter der Bühne statt davor. Klingt ein bisschen verrückt, ist es vielleicht auch. Das wird man sehen.

Eine Oper auf die Bühne eines Stadttheaters zu bringen, gehört wohl zu den anspruchsvollsten Aufgaben, die ein Theaterbetrieb so zu bieten hat. In kaum einer anderen Aufführungsart werden so viele Kräfte in den Produktionsprozess eingebunden, so viele Spezialisten gebraucht – und wird so viel Zeit aufgewendet. Die wenigsten Stadttheater belassen es bei einem Musiktheater-Stück. Sechs oder mehr Premieren in einer Spielzeit sind keine Seltenheit. Am Freiburger Theater sind für die kommende Spielzeit sieben musiktheatralische Premieren geplant. Das ist prinzipiell löblich, auch wenn es die Häuser an die Grenzen ihrer Leistungsfähigkeit bringt. Schließlich wollen die Theater der Stadtgesellschaft eine kulturelle Grundversorgung bieten. Das steht in scheinbarem Widerspruch zu weiterführenden Aufgaben, die über die täglichen Strapazen auf der herkömmlichen Bühne hinausgehen, weiß Tamina Theiß. Sie ist seit dieser Spielzeit Dramaturgin für Schauspiel und Performances am Theater Freiburg und mit dem Intendanten Peter Carp von Oberhausen gekommen. „Wir beschäftigen uns in unserem Mehrspartenhaus natürlich intensiv mit der Produktion und Gestaltung aller Formen der darstellenden Künste, seien es klassische oder postdramatische, interdisziplinäre oder traditionelle Inszenierungsansätze. Und natürlich befragen wir auch die klassischen Formen – ästhetisch, inhaltlich und strukturell.“

Mit neuem, frischem Blick

Die Passage 46 ist einer der Spielorte – Foto © Matthias Kolodziej

Aber um wirklich von außen auf Oper zu schauen, mit professionell ungetrübtem Blick, um neue Wege, neue Formate, Aufführungsorte oder gänzlich andere Zugänge zu finden, die möglicherweise mit dem Theaterbetrieb gar nichts zu tun haben, dazu reicht es auch bei höchster Motivation nicht mehr. Das Leitungsteam am Theater Freiburg wollte es dabei nicht bewenden lassen. Und hat ein Künstlerteam als Residenz-Künstler eingeladen, das es bereits aus der Arbeit in Oberhausen kennt und das sich vorher garantiert noch nicht mit Oper beschäftigt hat. „Die jungen Performer schätzen wir für ihren sehr eigenen Blick auf die Welt und Gesellschaft. Es sind sehr liebenswürdige, nachdenkliche, vielschichtige und immer wieder sehr überraschende Künstlerpersönlichkeiten, die zu emotional und intellektuell starken Gegenwartsdurchdringungen kommen und immer außergewöhnlichen Formen zur Integration ihres Publikums in ihre Projekte finden“, sagt Theiß. Anders Firing Aardal, Matias Askvik, Marthe Sofie Løkeland Eide, David Jeensen, Ylva Owren und Heiki Riipinen sind by Proxy. Fünf Wochen hatte das norwegische Theaterkollektiv Zeit, sich mit dem Thema auseinanderzusetzen.

Herausgekommen ist dabei die Volksoper, ein „Pop-up-Festival“ – klingt schon mal ziemlich erfrischend, wenn man weiß, was eine Volksoper oder was ein Pop-up-Festival ist. „Mit dem Begriff des Pop-ups spielen wir bei diesem Projekt, um anzuzeigen, dass schnell und unerwartet kleine Formate, Aktionen und Performances ‚aufpoppen‘, wo man sie nicht erwartet“, freut sich Theiß vor allem darauf, dass die ungewöhnlichen Formate an ungewöhnlichen Orten stattfinden – und neue Publika erreichen sollen. Denn das steckt hinter dem Begriff der Volksoper. „Kostenfrei ist etwa die Hälfte der Veranstaltungen, die in den vier Tagen stattfinden. Es sind vor allem die, die im Anbau, der vor dem Theater aufgebaut wird, stattfinden. Sie sind deshalb kostenfrei, weil die Volksoper sich ja den Anspruch setzt, für alle zugänglich zu sein. Der Anbau soll wie eine Art Installation funktionieren, man soll neugierig sein, hineingucken, wiederkommen, wenn eine Veranstaltung stattfindet und zuhören und zusehen können, auch wenn man einfach nur vorbeigeht. Ich mag diese Idee sehr“, erzählt die Dramaturgin. Und meint dabei eigentlich doch eher die junge, möglicherweise theaterferne Zielgruppe, die sich „bis dato nicht für die Oper oder das Musiktheater interessiert, die aber vielleicht kultur- und oder musikaffin“ ist. „Oder die einfach Lust auf Bingo haben und dann eine Erfahrung machen, die sie hoffentlich stärker beeindruckt, als sie erwartet hätten“, sagt Theiß.

Vom ersten Augenblick an erfolgreich

Und noch ehe die Besucher sich auf den Sofas unter der Bühne niederlassen, um von dort aus bei Kaffee oder Tee Caroline zu verfolgen, genießt Theiß den Erfolg des Festivals, das am ersten Juli-Wochenende in und um das Theater Freiburg stattfindet. „Das Format war schon in dem Moment erfolgreich, als Mitglieder unseres Opernstudios und der Musikhochschule in Karlsruhe angefangen haben, gemeinsam mit einer norwegischen Performancegruppe zu arbeiten“, sagt sie. Ob die Volksoper eine Wiederholung erfahren wird, kann die Dramaturgin heute noch nicht abschätzen, zumal die Durchführung stark auf das Theaterkollektiv de Proxy abgestimmt ist. Man sollte sich also eher nicht darauf verlassen. „Aber wenn nur ein einziger Mensch, der vorher noch nie in einer Oper war, eines der Volksopern-Formate miterlebt und sich aufgrund der unglaublichen Schönheit des Gesangs unseres großartigen Ensembles dazu entschließt, danach noch eine Vorstellung zu besuchen, würde ich das als Erfolg werten“, findet Tamina Theiß. Das Theater Freiburg hat in der ersten Spielzeit von Intendant Peter Carp alles gegeben, um in der Stadt anzukommen. Die Volksoper kann das Sahnehäubchen werden, mit dem sich das Theater in die nächste Spielzeit verabschiedet.

Michael S. Zerban