O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Die Vorhänge bleiben bei dieser Kinoaufführung geschlossen - Foto © O-Ton

Hintergründe

Ohrenkino

Neue Hörerfahrungen? Kein Problem für ein Seminar des Instituts für Medien- und Kulturwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität in Düsseldorf. Zum zweiten Mal lädt Sound Cinema zu einem Hörerlebnis der ganz besonderen Art inklusive Wettbewerb ein. Ein großartiges Erlebnis, das auch das „Gschmäckle“ nicht auslässt.

Maximilian Haberer und Tomy Brautschek – Foto © O-Ton

Es gibt viele Gründe, warum O-Ton eigentlich nicht mehr über Wettbewerbe und deren Gewinner berichtet. Zu oft geht es nicht um Leistungen, sondern um Befindlichkeiten, zu selten stimmen die „Gewinner“ mit den gezeigten Leistungen überein. Solange Wettbewerbe zu PR-Zwecken ausgetragen werden, ist es Betrug am Leser, darüber zu erzählen. Im Fall von Sound Cinema scheint die Ausnahme zunächst angebracht.

Tomy Brautschek und Maximilian Haberer sind wissenschaftliche Mitarbeiter am Institut für Medien- und Kulturwissenschaft an der Heinrich-Heine-Universität zu Düsseldorf. In dieser Funktion arbeiten sie auch als Dozenten, das heißt, sie bieten Seminare für die Studierenden an. Bei einem solchen Seminar laufen zu Beginn des Semesters mehr oder weniger viele Studenten ein, sehen sich einem Dozenten gegenüber, der die Frage stellt: Was wollen wir denn in diesem Semester machen? Als die Uni noch nicht verlängerte Schulbank war, sondern Studenten ihr Studium nutzten, um Erfahrungen zu sammeln, zu forschen und sich auszuprobieren, war das die gängige Frage. Und daraus entstanden immer wieder herausragende Projekte. So war es auch bei Opernnetz, dem Vorläufer von O-Ton. Brautschek und Haberer stellten die Frage nicht, sondern boten den Studenten ein ungewöhnliches Projekt an: Einen Recorded-Sound-Wettbewerb für experimentelle Musik und Klangkunst. Der Clou: Ein neues Hörerlebnis.

Was bei der Einführung des Bachelor-Studiums völlig außer Acht gelassen wurde, war, was das deutsche Studium einmal ausgemacht hat. Heute lernen Studenten nach Lehrplan, früher erprobten sie sich in ihren Fähigkeiten. Da greifen die Studenten beim Angebot von Brautschek und Haberer begeistert zu. Einen Wettbewerb auszurichten, steht zwar so nicht im Vorschriftenkatalog zur Ausbildung, aber damit lernt man fürs Leben. Im zweiten Jahr von Sound Cinema seien immer noch viele Studenten der ersten Stunde dabei, erzählt Haderer, obwohl es dafür keine „Scheine“ mehr gebe. Mehr noch verkaufen sie Waffeln und Kaffee, um das Projekt zu finanzieren.

Und der Erfolg gibt ihnen Recht. Im zweiten Jahr von Sound Cinema ist das 1957 gegründete Cinema Filmkunstkino in der Altstadt von Düsseldorf ausgebucht. Obwohl es an diesem Abend keine Filme zu sehen gibt, der Vorhang vor der Leinwand bleibt geschlossen, sondern ausschließlich Ohren, Herz und Hirn – und Körper angesichts der durchgesessenen Plätze im Kino – der Besucher gefordert sind. Wochen vorher haben die Studenten öffentliche Aufrufe gestartet, sich an dem Wettbewerb zu beteiligen. Rund 80 Kostproben neuer Klangkunst sind eingegangen. Und die Studenten haben in einer Vorauswahl neun davon ausgewählt. Gerade auf die Vorauswahl ist Brautschek stolz. Hier sei es nicht darum gegangen, etwas „gut“ oder „schlecht“ zu finden, sondern die Studenten hätten sehr genau zu begründen gehabt, wie ihre Auswahl ausfiel. Die neun Klangarbeiten im Finale wurden zudem noch in drei Kategorien eingeteilt. Sehr „international“ aufgestellt, wurden die Kategorien Abstract Sounds, Akoustic Stories und Musical Composition ausgewählt. Deutschsprachige Besucher brauchen das nicht zu verstehen. Es reicht voll und ganz, sich dem Hörerlebnis hinzugeben.

Hörgenuss in höchster Konzentration

Im Kino werden die Finalteilnehmer präsentiert. Konsequent erfolgt die Moderation in Form von Audio-Clips im nahezu vollständig abgedunkelten Raum, in dem zusätzlich Schlafmasken ausgelegt sind. Dass die Moderationen mit Geräuschen unterlegt werden, ist eigentlich überflüssig, stört aber auch nicht weiter. Den Anfang macht Claustro (for Huw McGregor) von Nikos Stavropoulos in der Kategorie Abstract Sounds, also abstrakte Klänge. Zwar nimmt man wahr, dass Stavropoulos durchaus gekonnt mit Angsteffekten und Distanzen arbeitet, aber eigentlich steht das neue Hörerlebnis noch sehr im Vordergrund. Kino ohne Bilder funktioniert selbst bei älterer Technik sehr gut. Die Konzentration wächst, die klanglichen Eindrücke scheinen intensiver. Und die Bereitschaft ist groß, sich auch über einen längeren Zeitraum auf die gar nicht so abstrakten Klänge einzulassen. Das gilt auch für das folgende Stück Untitled von Ika Jojua. Hier verfestigt sich der Eindruck, dass oftmals mehr Geist auf die Beschreibung der Musik verwendet wird als auf das eigentliche Hörerlebnis. So will das Stück „akustische Koexistenzen, Widersprüche, Kollisionen und Momente der Desintegration“ erforschen. Dabei soll die „sonorische Textur“ erweitert werden. Das zehnminütige Stück ist nicht ganz so gewaltig und gerät alsbald wieder in Vergessenheit. Ein Fehler des Hörers, wie sich noch zeigen wird. Nathalie Brum wird mit ihrem Werk Umwälzpumpe Abschäumerkreislauf dann doch ziemlich konkret. Sie hat sich in die Keller des Aquazoos begeben, um die Geräusche der Pump-, Filter- und Spülanlagen aufzuzeichnen und sie anschließend zu einer neuen Klangwelt zusammenzufügen. Dabei gelingt es ihr, die Prioritäten richtig zu setzen, indem sie das Grundschwingen belässt und die für den Normalhörer ungewöhnlichen Zusatzgeräusche gekonnt hinzuzufügen. Und tatsächlich funktioniert hier das Kopfkino sehr gut.

Bei den Acoustic Stories, also den akustischen Geschichten, soll das narrative Moment im Vordergrund stehen. Den Anfang macht ein Umweltthema. Der Eisberg von Stephanos Alvertis und Dominik Biastoch will tonmalerisch den Weg eines personifizierten Eisbergs vom Gletscher zur so genannten zivilisierten Welt beschreiben. Das ist hübsch anzuhören, plätschert vor sich hin, überrascht aber mit einem ausgesprochen friedfertigen, ja, geradezu harmonischen Ende. Da hätte man in der derzeit herrschenden Klimahysterie doch mehr den Aufschrei erwartet. Das eindeutig beste Stück des Abends liefern Christoph Collenberg und Chris Erkal ab. Heimatkunde: Sängervereinigung 1866 erzählt in collagierter Form ein Stück Tradition im Ruhrgebiet. Da werden die Folgen des Bergbaus in Form einstürzender Häuser der Tradition eines Männergesangsvereins gegenübergestellt. Den Autoren gelingt dabei nicht nur, das Typische eines Probenabends herauszuschälen, sondern auch, mit hämmernden, düsteren Rhythmen die Bedrohung des Idylls herauszuarbeiten. Spannend, abwechslungsreich, kurzweilig, pointiert, handwerklich hervorragend gearbeitet, kurzum: Großartig, aber möglicherweise an der Zielgruppe vorbei, die zu solchen „Großvater-Themen“ kaum noch Bezug haben dürfte. Da kommt die dreieinhalbminütige Collage Bad Tommy von Johannes Ohde doch zeitgeistiger daher, die Feldaufnahmen aus New York zu einer Geschichte zusammensetzt. Ebenfalls hervorragend gearbeitet und sehr pointiert, ist es aber letztlich vielleicht doch zu sehr die Geräuschwelt, die wir allzu gut aus amerikanischen Dokumentarfilmen kennen. Trotzdem: Auch von Ohde möchte man gern mehr hören.

Die dritte Abteilung der musikalischen Kompositionen beginnt mit einem immer noch faszinierenden Klangbild von Simon Zimmermann. Er verdichtet in !Content Schreibmaschinengeräusche. Kein neues, vielleicht sogar ein längst überholtes Thema, trotzdem gelingt es ihm, dem doch noch mal neue Aspekte abzugewinnen und einen eindrucksvollen Vierminüter abzuliefern, der auch eine junge Zielgruppe begeistern kann. Bemerkenswert, dass Christoph Collenberg es gleich mit zwei Stücken in die Finalrunde schafft und so bringt er in dieser Kategorie Inner Circle zu Gehör. In fast zehn Minuten mischt er das Geräusch der Endlosrillen einer Vinylplatte auf dem Schallplattenspieler mit elektronischen und analogen Klängen zusammen, bis eine dichte Collage entsteht. Dass Collenberg sein Werk als Soundtrack zu Wim-Wenders-Filmen denkt, sei ihm zugestanden. So ganz nachzuvollziehen ist es nicht. Braucht es aber auch nicht zu sein, weil es durchaus als eigenständiges Stück Bestand hat. Prismes électriques von Antonio D’Amato schließlich setzt ein Gemälde in sphärische Klänge um. Das klingt nicht nur allzu bekannt, es hört sich auch so an.

Passend gemachte Ergebnisse

Angeregte Diskussionen vor dem Salon des Amateurs – Foto © O-Ton

Damit ist der Vortrag der Finalisten beendet. Und während sich einige der Gäste aus dem vollbesetzten Kino zum anderen Ende der Altstadt begeben, wo im Salon des Amateurs, einem Club, die Preisträger bekanntgegeben werden sollen, berät sich die Jury über das Gehörte. Und damit gehen zunächst einmal Komplimente an die ausrichtenden Studenten, die nicht nur eine sehr gute Organisation abgeliefert haben, sondern bei ihrer Vorauswahl ein hohes Niveau gezeigt haben. Eine rundherum gelungene Veranstaltung, die nicht nur ein ungewöhnliches Hörvergnügen bietet, sondern genau das erreicht, was beabsichtigt war: Die Besucher setzen sich intensiv mit dem Gehörten auseinander.

Die Jury, bestehend aus Christian Jendreiko, Swantje Lichtenstein und Anna Schürmer, indes scheint mit dem Ergebnis nicht so recht zufrieden. Und so passiert das, was bei Wettbewerben gerne hinter den Kulissen geschieht: Wenn das Ergebnis nicht passt, wird es passend gemacht. Da wird ein Werk kurzerhand in eine andere Kategorie verschoben, und schon stimmt es für die Jury. Für das Publikum ist der Gewinner eh klar. Das sehr gefällige !Content von Simon Zimmermann ertippt sich den Publikumspreis. Und damit wird Zimmermann dank der kleinen Verschiebung zum Doppelsieger, denn die Jury verleiht ihm den Preis in der Kategorie Acoustic Stories. In der Kategorie, in der er eigentlich angetreten war, die der Musical Composition, geht der Preis an Antonio D’Amatos Prismes électriques und bei den Abstract Sounds räumt Untitled von Ika Jojua ab. Damit haben an diesem Abend nicht die besten, aber die gefälligsten Werke gewonnen. Ein Signal, das man so eigentlich nicht stehen lassen möchte. Aber so ist das mit Wettbewerben.

Und so beginnt mit dem Ende des Wettbewerbs die Vorfreude auf den nächsten. Denn Sound Cinema soll weiterhin jährlich stattfinden. Und bei dem gezeigten Niveau wäre eine öffentliche Förderung sicher angebracht. Wünsche blieben hier kaum offen, allenfalls eine Website, die über die Einladung zum Wettbewerb hinausgeht und auch Informationen zu den Komponisten respektive Autoren bietet, könnte den Gesamteindruck abrunden.

Michael S. Zerban