Kulturmagazin mit Charakter
Hintergründe
Mit internationalen Austauschprojekten kennt sich das Theater der Klänge in Düsseldorf aus. Üblicherweise arbeitet es daran, die internationale Tanzszene zu vernetzen. Im Juni dieses Jahres wurde Jacqueline Fischer als Choreografin eingeladen, an einem Jugendaustauschprojekt zwischen Deutschland und Griechenland teilzunehmen. Der Gegenbesuch von zehn griechischen Jugendlichen fand in der vergangenen Woche statt. Arbeitszentrum war das Studio des Theaters der Klänge. Der Abschlussabend fand im Humboldt-Gymnasium statt.
Nein, früher war nicht alles besser, aber vieles fühlte sich besser an. Die nach 1960 Geborenen haben keinen Krieg im eigenen Land oder in den Nachbarländern erlebt. Stattdessen durften sie mit Fleiß Wohlstand erarbeiten, der gesichert erschien. Der Mensch schien in den Mittelpunkt gerückt. Sogar staatliche Behörden brachten ein Mindestmaß an Respekt gegenüber dem Bürger auf. Europa schien unter einem mehr oder minder einheitlichen Wertekanon zusammenzuwachsen. Auch im Rückblick war es nicht immer Schlaraffenland. Es gab Krisen. Es gab Kriminalität, und es gab weiterhin soziale Nöte. Aber es gab so etwas wie ein Urvertrauen, dass Politiker in der Lage waren, gesellschaftliche Schieflagen zu beherrschen. Wer früher die Tagesschau sah, hörte von politischen Lösungen für Probleme aller Menschen in der Bundesrepublik oder Europa.
Inzwischen geht diese Generation auf das Rentenalter zu, und es muss ihr erscheinen, als habe sich das, was sie für wichtig erachtete, in einen Berg Trümmer verwandelt. Die Jugend heute erlebt eine veränderte Welt. Eine Welt, in der Staaten Menschen offenbar ungestraft auf offener See ertrinken lassen dürfen. In der eine bundesdeutsche Regierung seit sehr vielen Jahren immer mehr Menschen in die Armut treibt und Existenzängste schürt. In der Europa wirtschaftlich in Not geratene Staaten nicht mehr solidarisch unterstützt, sondern mit Sanktionen in die ideologisch gewollte Richtung drängen will. Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen und endet sicher nicht mit einem einzelnen Mann, der offenbar die Macht besitzt, einen Krieg gegen ein anderes Land zu führen, in dem bislang in kürzester Zeit abertausende Menschen getötet wurden. Welch ein Befund.
Kultur soll im Mittelpunkt stehen
Helena Katsaviara und Antonius Papamichail – Foto © O-Ton
Die jungen Leute in dieser Situation allein zu lassen, ist gefährlich. Hier werden Lunten für die Zukunft gelegt, und es ist dringend nötig, neue Brücken zu bauen. Projekte zur Völkerverständigung sind uralt, aber sie wirken noch heute. Wer so etwas unternimmt, ist zum Beispiel die Fachstelle für internationale Jugendarbeit der Bundesrepublik Deutschland, kurz IJAB. Die hat in diesem Jahr ein Austauschprojekt zwischen griechischen und deutschen Jugendlichen initiiert. Im Juni ging es für eine Gruppe Jugendlicher aus Deutschland nach Monemvasia auf der griechischen Halbinsel Peloponnes. Das Besondere an dem Projekt Ich bin ein anderer: Die Kultur, speziell der Tanz, sollte hier im Mittelpunkt stehen. Deshalb war auf deutscher Seite die Choreografin Jacqueline Fischer vom Theater der Klänge in Düsseldorf und auf griechischer Seite der Choreograf und Filmemacher Antonis Bertos mit der Leitung beauftragt worden. In Workshops ging es für die Menschen im Alter von 19 bis 30 Jahren einerseits darum, mit der für sie überwiegend fremden Welt des zeitgenössischen Tanzes, und andererseits mit der Erstellung von Videofilmen auseinanderzusetzen. Im Mittelpunkt standen dabei die Begriffe Identität, Differenz und Rassismus. Am Ende der Woche stand ein Dokumentarfilm und ein Tanzfilm. Es war nicht alles Eitel Sonnenschein, wie man es etwa von internationalen Pfadfindertreffen kennt. Einige der griechischen Studenten hätten sich lieber konkrete politische Diskussionen über die Rolle Griechenlands in der Europäischen Union gewünscht. Schließlich gäbe es da noch genug zu bereden.
Ursprünglich sollte die Fortsetzung des Projekts bereits im September stattfinden. Wie in diesen Tagen schon fast üblich, verlangten Erkrankungen von Teilnehmern eine Verschiebung. Dem hohen Engagement aller Verantwortlichen war es zu verdanken, dass der Gegenbesuch endlich im Dezember stattfinden konnte. Der Campus war das Studio des Theaters der Klänge. Stand in Monemvasia noch die Individualität im Vordergrund, war es in Düsseldorf das Kollektiv, auf das Jacqueline Fischer hinarbeitete. Auch hier erloschen die kritischen Stimmen der jungen Menschen nicht, und so manches Murren war wohl in der Woche zu hören. Für gute Stimmung sorgten die deutschen Projektteilnehmer, wenn sie ihren griechischen Gästen am Abend ausgesuchte Orte in der Düsseldorfer Innenstadt näherbrachten. Die Verantwortlichen blieben bei ihrer Linie. Und so entstand in der Woche nicht nur ein weiterer Film, für dessen Vertonung der künstlerische Leiter des Theaters der Klänge, Jörg Lensing, verantwortlich zeichnete, sondern auch eine eigene Choreografie. Die Woche verflog mindestens eben so schnell wie die im Sommer in Griechenland.
Und so treffen sich die Teilnehmer des Projekts am Samstag zum großen Abschlussabend im Humboldt-Gymnasium. Eigentlich ist es der Tod jedes Abends, ihn mit zwei zwölfminütigen Videofilmen zu beginnen. Es sei denn, die Gäste erkennen sich im Film wieder. Dann wird es ziemlich spaßig. Im zweiten Teil des Abends endlich zeigt die deutsch-griechische Companie das Ergebnis ihrer Arbeit. Tatsächlich sind in der Gruppe nun vier professionelle Tänzer dabei, darunter zwei des Ensembles vom Theater der Klänge. Yunseo Choi und Sophia Otto nehmen allerdings bewusst keine besondere Rolle ein, sondern bleiben unter den vielen. Während Fischer bei den räumlichen Strukturen behilflich war, hat sich die Choreografin bei der Einzeldarstellung der Tänzer bewusst zurückgenommen. Und was die jungen Leute da auf die Beine stellen, ist außerordentlich beeindruckend. Sehr genau haben sie die vorgegebenen Begriffe umgesetzt, während auf der Leinwand im Hintergrund die Ergebnisse der filmischen Arbeit in Düsseldorf gezeigt werden. Für viele der jungen Leute ist dieser Abend ein Durchbruch. Weil sie verstehen, dass Kulturarbeit möglicherweise mehr im Bewusstsein der Menschen bewirken kann als allfällige politische Diskussionen. Eine wichtige Erkenntnis, mit der die Studenten am nächsten Morgen abreisen werden.
Und es gibt sie doch, die Vorbilder
Helya Katsaviara – Foto © O-Ton
Zuvor aber sorgt die Projektleiterin beim IJAB, Natali Petala-Weber, noch für einen weiteren Höhepunkt des Abends. Sie hat die Firma Eve went Event beauftragt, ein kleines Konzert zu veranstalten. Das ist in seiner Vielfalt klug zusammengestellt. Den Anfang machen Antonius Papamichail, auf Rhodos geboren, lebt seit 1996 in Düsseldorf, hat Musik und Literatur studiert, und Helena Katsaviara, die als Künstlerin und Kunsttherapeutin in Köln lebt. Unter dem Titel Lieder des Früher und Bilder des Danach erstellt Katsaviara ein Kunstwerk, während Papamichail dazu seine eigenen Lieder auf elektronisch verstärkter Gitarre und Mandoline aufführt. Die Mischung der Texte von Max Frisch, Petros Kyrimis und Heinrich Heine, darunter eine Neuvertonung der Loreley stellt im Grunde das dar, was Griechenland und Deutschland abseits der Politik tatsächlich verbindet. Es ist und bleibt Freundschaft zwischen den Menschen, auch wenn der Kapitalismus immer wieder seine Keile dazwischen zu treiben versucht. Dass Papamichail auch einen Text von Petala-Weber vertont und vorträgt, könnte man als Vetternwirtschaft betrachten, aber tatsächlich sind die Sirenen einer der Höhepunkte des Abends.
Dass es enge Verknüpfungen gibt, wird spätestens deutlich, wenn als nächstes Helya ebenfalls mit Gitarre auftritt. Sie ist die Tochter von Katsaviara. Mit ihren eigenen Kompositionen Puppet Show und Sun and Moon Shine erzielt sie einen achtbaren Erfolg. Warum noch ein Cover folgen muss, erschließt sich nicht ganz, aber geschenkt. Ein bisschen weniger laissez-faire, ein bisschen mehr Engagement für ihre Texte und eine Spur mehr Vertrauen in ihren Körper, den sie nicht auf einem Stuhl zusammenknicken muss, dann kann da noch ganz viel passieren. Jedenfalls vielversprechend, was sie dem Publikum zu Gehör bringt. Für den Abschluss des kleinen Konzertteils ist Konstantinos Angelopoulos zuständig, ein Liedermacher aus Athen, der es in Griechenland schon zu einiger Bekanntheit gebracht hat. An diesem Abend verlässt er sich auf Cover-Versionen. Mit Und wenn deine Augen, Erinnerungen des Wassers und Freelove, letzteres von Depeche Mode, sorgt er für ein fröhliches Finale, nach dem er alle Beteiligten noch einmal auf die Bühne ruft. Der Applaus währt lange. Es hätte noch eine rauschende Party werden können, aber da ist die Hausordnung des Gymnasiums vor. Was zu der Frage führt, warum der Abend nicht ohnehin besser im Studio des Theaters der Klänge aufgehoben gewesen wäre. Das hätte zwar an der verheerenden Parkplatzsituation nicht viel ändern können, aber vielleicht noch ein Quäntchen mehr Atmosphäre zaubern können.
Die Teilnehmer am Projekt Ich bin ein anderer sind es auch so zufrieden. Am nächsten Morgen wird noch ein Treffen auf dem Düsseldorfer Flughafen stattfinden, bei dem es Gelegenheit zur Reflexion geben wird. Jacqueline Fischer erzählt, dass die jungen Leute letztendlich verstanden haben, um was es bei dem Projekt ging. Wenn es Kritik daran zu äußern gibt, dann sicher die, dass hier vergleichsweise wenig Menschen erreicht wurden, die zudem nicht als Multiplikatoren ausgewählt waren. Dem darf man allerdings entgegenhalten, dass ein solches Vorhaben nur ein Ausschnitt von vielen sein kann. Und Fischer, Petela, Lensing und all den anderen, die viel Kraft und Zeit in das Projekt gesteckt haben, kann man gratulieren. Zumindest ein paar Jugendliche haben wieder Vorbilder.
Michael S. Zerban