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Hintergründe
Eine offene Probe ist ein probates Mittel, das Publikum für eine Aufführung zu interessieren. Also hat sich auch die Opernklasse der Robert-Schumann-Hochschule dazu entschieden, das Instrument einzusetzen, um auf ihr diesjähriges Projekt, die Oper La Calisto von Francesco Cavalli, aufmerksam zu machen. Wer allerdings erwartet, eine Durchlaufprobe mit großartigem Gesang zu erleben, wird enttäuscht.
Foto © Michael Zerban
Im Partika-Saal der Düsseldorfer Robert-Schumann-Hochschule ist bereits die Bühne aufgebaut. Keine Guckkastenbühne, sondern ein mittig angeordnetes Podium mit einer Traverse im Hintergrund und einem Metallgerüst auf einem Podest in der Mitte. Wie im April jeden Jahres wird im Konzertsaal der Musikhochschule eine Aufführung der Opernklasse stattfinden. Längst hat sich die Opernklasse unter der Leitung von Thomas Gabrisch ein festes Stammpublikum erarbeitet. Was die Studenten nicht daran hindert, neue Zielgruppen für ihr Projekt zu interessieren. Also wird in diesem Jahr eine offene Probe anberaumt, um möglichst vielen Menschen die Oper La Calisto von Francesco Cavalli schmackhaft zu machen. Eine sehr gute Idee, zumal die Hochschule nicht zwingend als Hochburg der alten Musik gilt, und die Barockoper damit wohl eher als ungewöhnliches Projekt einzuordnen ist. Gabrisch nimmt das Risiko bewusst in Kauf, um den Studenten die Auseinandersetzung mit der alten Musik zu ermöglichen.
Unter einer offenen Probe versteht man im Allgemeinen eine Durchlaufprobe oder die Präsentation von Ausschnitten, die einen Gesamteindruck des bevorstehenden Projekts vermitteln. Die Erfahrung zeigt, dass ein solches Vorgehen vom Publikum gut angenommen wird und allgemein für mehr Zulauf sorgt. Die Erwartung, auch im Partika-Saal nun einen solchen Einblick zu gewinnen, wird allerdings enttäuscht. Spricht ja auch gar nichts dagegen, neue Wege zu gehen und es einmal völlig anders zu versuchen. Oder – völlig anders vielleicht doch nicht. Eine Oper besteht aus Gesang und Schauspiel in Kostümen auf der Bühne, ergänzt um zumindest annähernd orchestrale Musik. Und davon möchte auch der Zuschauer in einer offenen Probe erfahren.
In Düsseldorf haben sich am sehr frühen Donnerstagabend nur wenige Zuschauer eingefunden. Sie werden von einer jungen Frau begrüßt, die glaubt, so bekannt zu sein, dass sie sich nicht vorzustellen braucht. Kim Holtappels und Luiza Bardan betreten die Bühne. Die beiden sind Master-Studentinnen im Operngesang. Holtappels trägt ein Krönchen im kurzgelockten Haar, von Kostümen ist ansonsten nicht viel zu sehen. Zur Cembalo-Begleitung – bei der Aufführung werden vierzehn Musiker für die nötige Untermalung sorgen – tragen sie ein Duett vor. Anschließend betritt Regisseurin Beka Savić die Bühne, die sie auch entworfen hat, um mit den Sängerinnen Bewegungsabläufe zu besprechen. Da es dabei auch um körperliche Berührung geht, kommt Hanna Werth hinzu, die eine Professur für Intimitätskoordination bekleidet. Und flugs wandelt sich die „Probe“ in eine Lehrveranstaltung darüber, wie wichtig es ist, dass die Akteure sich auch bei körperlichen Berührungen auf der Bühne wohlfühlen. Aha. Fünf Minuten Gesang, zehn Minuten Besprechung mit Regisseurin und Intimitätskoordinatorin über Bewegungsabläufe einschließlich redundanter Erläuterungen, dann ist die „Probe“ beendet.
Foto © Michael Zerban
Kein Grund, enttäuscht zu sein, schließlich findet anschließend eine Gesprächsrunde statt, bei der auf der Bühne die Moderatorin, Gabrisch, Savić, Werth und die beiden Sängerinnen Platz nehmen. Und damit kann auch die Lehrveranstaltung fortgesetzt werden. Gabrisch versucht noch zu retten, erzählt von der Oper, ihren ursprünglichen Aufführungsbedingungen, den Schwierigkeiten, eine solche Oper mangels umfassender Notation heute musikalisch aufzuführen – die Studenten haben extra noch einen Tisch vorbereitet, auf dem das Notenmaterial zu bestaunen ist – und den gesanglichen Herausforderungen für die Sänger, die dazu geführt haben, dass eigens Luca Quintavalle hinzugezogen wurde, um sie auf altes Italienisch einzustimmen. Der gebürtige Italiener mit einem Lehrauftrag für Korrepetition unterstützt die Studenten zudem mit seiner Expertise zur historischen Aufführungspraxis. Das interessiert die Moderatorin nun weniger, sie möchte viel lieber wissen, welche moderne Interpretation die Regisseurin gefunden hat und lässt Werth ausführlich erläutern, welche Theorien ihrer Arbeit zugrunde liegen. Auch die Begeisterung der Sängerinnen zum neuen Umgang mit körperlicher Berührung ist gefragt.
Nicht ganz so spannend ist dann wohl die Zuschauerbeteiligung. Da möchte man die Sängerinnen loben und wissen, wie lange sie studiert haben, um ihre Stimmen so eindrucksvoll zu formen. Immerhin gelingt es Gabrisch noch zu erwähnen, dass die Kostüme von Stefanie Salm, Leiterin der Kostümabteilung an der Deutschen Oper am Rhein, entworfen wurden, und das Licht in bewährter Weise von Volker Weinhart, Lichtdesigner und Leiter der Beleuchtungsabteilung an der Rheinoper, eingerichtet werden wird. Auch wenn auf der Bühne an diesem Abend nichts von den Kostümen zu sehen ist, versprechen Fotos, die im Hintergrund aufgehängt sind, viel Farbenfrohes und Extravagantes.
Nach knapp anderthalb Stunden darf man feststellen, dass man vermutlich noch nie so wenig Musik und Gesang bei einer offenen Opernprobe gehört hat wie an diesem Spätnachmittag im Partika-Saal. Das soll sich ab dem 9. April ändern. Dann findet die Premiere von La Calisto in der Robert-Schumann-Hochschule statt. Insgesamt sind fünf Aufführungen in wechselnden Besetzungen vorgesehen.
Michael S. Zerban