O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Jahrhunderthalle Bochum - Foto © O-Ton

Hintergründe

Schaler Geschmack bleibt

Die Absage eines Festivals ist dieser Tage so normal wie Sonnenschein. Aber hier und da wundert der Laie sich doch über die Geschwindigkeit, mit der die Absage erfolgt. Solch ein Fall ist die Ruhrtriennale 2020, die vom 14. August bis zum 20. September hätte stattfinden sollen. Am 22. April haben die Ausrichter beschlossen, das Festival ausfallen zu lassen. Das sorgt nicht nur bei der Intendantin, Stefanie Carp, für Stirnrunzeln. Die hat sich noch am gleichen Tag dazu geäußert.

Isabel Pfeiffer-Poensgen – Foto © Bettina Engel-Albustin

Der Ausfall der Ruhrtriennale 2020 ist ein herber Verlust für das kulturelle Leben in Nordrhein-Westfalen, der mich auch ganz persönlich schmerzt. Doch in bin fest überzeugt, dass gerade große Veranstaltungen wie die Ruhrtriennale in dieser Situation einer besonderen Verantwortung gerecht werden müssen. Der Schutz der Gesundheit des Publikums, der Künstlerinnen und Künstler sowie der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter steht für uns an erster Stelle. Daher ist eine Absage der Ruhrtriennale 2020 leider unumgänglich“, sagt Isabel Pfeiffer-Poensgen, Kultur- und Wissenschaftsministerin des Landes Nordrhein-Westfalen und Aufsichtsratsvorsitzende der Kultur Ruhr, nachdem der Aufsichtsrat die Absage einstimmig beschlossen hatte und die Gesellschafterversammlung diesen Beschluss bestätigt hat.

Die Absage kam überraschend früh in einem Bundesland, in dem der Ministerpräsident gerade wieder Möbelmärkte und Autohäuser – gleich welcher Größenordnung – hat öffnen lassen. Da die umfangreichen Planungen für das aufwändige Programm mit rund 700 Künstlern aus rund 40 Ländern in Kürze in die „heiße Phase“ gegangen wären, sei es notwendig, die Entscheidung über die Absage zum jetzigen Zeitpunkt zu treffen, heißt es zur Begründung. Eine Begründung, die Fragen aufwirft.

Mit einem Budget von rund vierzehn Millionen Euro sollten ursprünglich 33 Produktionen an 17 Spielstätten verwirklicht werden, davon zwölf Ur- und Erstaufführungen. Das mit einem Handstreich vom Tisch zu wischen, ist ein großer Akt. Und man mag sich kaum vorstellen, dass eine solche Alles-oder-nichts-Lösung die ultima ratio sein muss. Auch Stefanie Carp, für die Spielzeiten 2018 bis 2020 Intendantin der Ruhrtriennale, ist skeptisch. „Ich halte die Entscheidung für viel zu verfrüht“, äußert sie in einer schriftlichen Stellungnahme, die sie am gleichen Tag veröffentlicht hat. „Wir arbeiten seit Wochen an einem Spielplan für eine Ruhrtriennale, der alle Hygienemaßnahmen berücksichtigt hätte.“ Das macht die Entscheidung von Aufsichtsrat und Gesellschafterversammlung umso unverständlicher. Zumal die Vorbereitungen nach Angaben von Carp längst weit fortgeschritten waren. Und auch die Künstler und Mitarbeiter hatten sich längst auf die veränderte Situation eingestellt.

„Es war beeindruckend, mit welcher Kreativität und Sensibilität jeder von ihnen die Erfahrungen, die wir derzeit machen, in ihre Arbeiten hineinnahmen“, resümiert die Intendantin. „Wir hätten erstaunliche und unvergessliche Kreationen erleben können“, fügt sie hinzu. Dieses Versprechen kann Carp nun nicht mehr einlösen. Oder wenigstens nicht ganz. Denn im Gegensatz zu den Ausrichtern wird sie die Spielzeit nicht ungenutzt verstreichen lassen. „Ich werde versuchen, für einige Projekte neue Aufführungsorte in Nordrhein-Westfalen zu finden, um so ein paar der Produktionen dennoch zu zeigen“, gibt sie sich zuversichtlich.

Es ist das falsche Signal, was Veranstalter und Politik hier in Sachen Kultur senden. Zumal zum jetzigen Zeitpunkt, zu dem bislang lediglich feststeht, dass Großveranstaltungen bis zum 31. August nicht durchgeführt werden dürfen. Können also die Türen ab September auch für Aufführungen wieder vorsichtig geöffnet werden, werden sie ausgerechnet im Ruhrgebiet geschlossen bleiben. Das wird beim bekanntermaßen kulturell interessierten einheimischen Publikum für viel Unmut und Unverständnis sorgen, denn die Spielstätten sind bekannt. Und da kann man sich auch als Laie schwer vorstellen, dass nicht zumindest an einigen hygienisch einwandfreie Aufführungen hätten stattfinden können.

Am Veranstalter Kultur Ruhr liegt es nun, Schadenbegrenzung zu betreiben. Das Geringste wäre, Intendantin Carp auch für die Spielzeit 2021 zu verpflichten, schon um klarzustellen, dass die Absage tatsächlich volksgesundheitliche Gründe hatte. Außerdem täte Pfeiffer-Poensgen gut daran zu verdeutlichen, warum es keinen Plan B gab, der das Desaster hätte verhindern können. Den Künstlern und Mitarbeitern die versprochenen Honorare zu zahlen, sollte ebenso selbstverständlich sein, denn Ersatzeinnahmen wird es mit Sicherheit nicht geben. Und Geld ist ja nun genügend da.

Michael S. Zerban