O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Miriam Papastefanou

Hintergründe

Alles unter einem Hut

Dank der Initiative Neue Musik ist die Szene der zeitgenössischen Musik in Berlin gut miteinander vernetzt. Seit dem vergangenen Jahr soll dieser Umstand auch ins Bewusstsein des Publikums rücken. Deshalb wurde der Monat der zeitgenössischen Musik installiert. Vom 31. August bis zum 30. September findet er zum zweiten Mal statt. Und die Kommunikation scheint zu funktionieren.  

Lisa Benjes – Foto © John Zachau

Das ist eigentlich eine Idee, die aus einem Witz entstanden ist. Wir wollten mit den Spätis eine Möglichkeit eröffnen, wie man auch analog unsere Publikationen findet. Und das auch mal gesammelt“, erinnert Lisa Benjes sich. Zur zeitgenössischen Musik ist sie schon während ihres Studiums der Philosophie und französischen Philologie gekommen. Nach dem Abschluss machte sie einen Zwischenstopp beim Fonds Impuls neue Musik, wo sie für die Vergabe von deutsch-französischen Projekten im Bereich der zeitgenössischen Musik verantwortlich war. Bei der Initiative Neue Musik, die sich seit 1991 um die Vernetzung der zeitgenössischen Musik-Szene kümmert, ist sie verantwortlich für die Kampagne field notes. Zunächst auf zwei Jahre angelegt, soll die Kampagne die Sichtbarkeit der zeitgenössischen Musik in Berlin fördern.

Die klassischen Säulen der Kampagne sind schnell gefunden. Eine Website, Flyer, ein zweimonatlich erscheinendes Magazin und als zentrale Veranstaltung der Monat für zeitgenössische Musik. Alles gut. Aber der Kick fehlt. Ja, wenn man so will, die Bodenhaftung. Aber da gibt es ja noch die Spätis. Eingeführt zu Zeiten der Deutschen Demokratischen Republik, waren das Läden mit erweiterten Ladenöffnungszeiten. Heute ist das eine Spezialität Berlins, vergleichbar mit den Büdchen im Rheinland. Eine eigene Welt, in der sich die Menschen im Kiez – oder im Rheinland im Veedel – treffen, miteinander tratschen, Bier trinken und einkaufen. Was hier passiert, ist authentisch, was man hier findet, ist die ganz eigene Wahrheit, die persönliche Sicht auf die Welt. Und hier präsentieren die Mitarbeiter von field notes ihre Flyer, Taschen und sonstigen Gimmicks. „Ganz ungezwungen. Weil ja der zeitgenössischen Musik auch immer das Klischee anhaftet, im Elfenbeinturm zu verharren. Und da finde ich diesen Kontrast zum Späti eigentlich ganz nett“, freut sich Benjes.

Berliner Spezialitäten am laufenden Band

Ob es nun an den Spätis liegt, weiß die Managerin nicht, aber sie hat die Förderbescheide aus den Vorjahren mit den Auslastungszahlen des ersten Monats der zeitgenössischen Musik verglichen und festgestellt, dass es da eine Steigerung um rund 30 Prozent gab. Das entspricht den persönlichen Erlebnissen von Benjes im vergangenen Jahr. Die Eröffnungsveranstaltung hat sie noch wie heute vor ihrem geistigen Auge. „Das war mit dem Ensemble Mosaik unter der Leitung von Enno Poppe. Es war eine wirklich schöne Atmosphäre, die auch dadurch verstärkt wurde, dass man viele neue Gesichter gesehen hat, die die Neue-Musik-Szene sonst vielleicht nicht erreicht hätte.“ Unter den 50 Veranstaltungen des Vorjahres gab es etliche hervorragende Ereignisse. Die Kommunikationsexpertin greift ein Beispiel heraus. „Wir veranstalten eine Gesprächsreihe, die wir Perspektivwechsel nennen. Während des letzten Monats der zeitgenössischen Musik haben sich die Komponistin Rebecca Saunders und der Videokünstler Ed Atkins auf dem Podium getroffen, die sich auf Anhieb gut verstanden haben und über gemeinsame Referenzen tiefe Einblicke in ihr künstlerisches Schaffen geboten haben.“ Insgesamt war der erste Monat der zeitgenössischen Musik also ein echter Erfolg. „Also, wenn noch mal jemand behauptet, Neue Musik kommt nicht an: Zum Teil mussten Leute wieder nach Hause gehen, weil es so voll war. Echt schön“, erinnert sich Benjes.

Foto © field notes

Und so ist die Vorfreude auf den nächsten Monat der zeitgenössischen Musik, der vom 31. August bis zum 30. September in ganz Berlin stattfindet, entsprechend groß. Die Zahl der Veranstaltungen, die unter dem Oberbegriff zusammengefasst werden, ist auf über 150 angewachsen. Und in diesem Jahr werden rund 1.500 Künstler an dem Ereignis teilnehmen. Da fällt es schwer, den Überblick zu bewahren. Wer sich nicht direkt in den „Festival-Zentren“, das sind die Spätis, die sich bereit erklärt haben, das Material auszulegen, mit Werbematerial oder dem Spezialmagazin von field notes, das anlässlich des Festivals veröffentlicht wurde, eindecken will, kann das Geschehen auch online mitverfolgen. Auf der Website der Initiative Neue Musik gibt es das vollständige Programm mit Erläuterungen. Dort erfährt man auch, wie man an Eintrittskarten kommt. Reizvoll an dem Programm ist, dass alle Veranstaltungen gleichberechtigt eingetragen sind. „Es gibt keinen größeren Programmeintrag, wenn die Berliner Philharmoniker spielen, als wenn jetzt im Ackerstadtpalast jemand auftritt. Dadurch wird man, glaube ich, von der einen Seite zur anderen auch so ein bisschen aufmerksam auf das gegenseitige Angebot“, ist Lisa Benjes überzeugt. Und findet möglicherweise auch Zugang zu Musikszenen in der Bundeshauptstadt, von denen man bislang gar nichts wusste.

Programmvielfalt ohne Grenzen

So findet zum ersten Mal im September das Berliner Festival für aktuelles Musiktheater statt, mit dem der Verein Zeitgenössisches Musiktheater Berlin auf innovative Musiktheaterformen aufmerksam machen will. Vierzehn Premieren und über 30 Aufführungen stehen hier auf dem Programm. Als Unterszene der Szene noch nicht so ausdifferenziert ist die extrem hohe Zahl an Klangkünstlern, die aber ebenfalls mit ihren Kollagen im Monat der zeitgenössischen Musik präsent sind. Längst arriviert ist hingegen die Echtzeit-Musikszene, die sich in den 1990-er Jahren in Berlin gegründet hat. „Echtzeitmusik bewegt sich im Feld musikalischer Avantgarde, Free Jazz, Geräuschmusik und Improvisation. Bei der Praxis sind die Performer gleichzeitig Composer, sodass im Moment des Spielens eine Komposition entsteht“, beschreibt Benjes den Begriff Echtzeit-Musik.

Davon können sich die Besucher des Monats der zeitgenössischen Musik gleich am Eröffnungsabend ein eigenes Bild machen. „Das Splitter-Orchester, das sind tatsächlich 24 Composer-Performer aus der Berliner Echtzeit-Musikszene, die sich zusammenfinden zu einem großen Orchester, das basisdemokratisch organisiert ist“, erzählt Lisa Benjes, die stolz auf ihr Team ist, weil es dem gelungen ist, das Orchester zu organisieren. „Die werden verschiedene Improvisationen spielen, auch eine raumspezifische. Im Heimathafen wird der Raum mitbespielt und -gedacht.“ Eine Uraufführung von Ignaz Schick ergänzt das Konzert. Und später wird Felix Kubin DJ-Sets spielen. „So dass wir dann ein bisschen tanzen können.“ Es ist also ein glänzender Auftakt eines Monats der ungewohnten und ungewöhnlichen, auf jeden Fall Neuen Musik zu erwarten, der im Übrigen auch für Nachwuchsmusiker hochinteressant ist.

Zwar hat der ganz große Ansturm junger Musiker auf Berlin nachgelassen und viele Musiker sind auch schon wieder weitergezogen, weil sich ihre Erwartungen nicht erfüllt haben, trotzdem mag Benjes die Bedeutung der Hauptstadt in Sachen Musik nicht relativieren. „Bei der Förderlandschaft bleibt natürlich noch viel Luft nach oben, aber es gibt doch diverse Möglichkeiten. Gerade, weil man hier so breit aufgestellt ist, und gerade für jüngere Leute, die erst mal versuchen zu lernen, ist es auf jeden Fall ein spannendes Feld“, sagt sie. Und da kann sich der Monat für zeitgenössische Musik schon mal als Kontaktbörse erweisen. Nach den Konzerten ist man schnell im Gespräch, und bei einem Bier vor dem Späti im sommerlichen Berlin ist man schnell dabei, über das nächste Projekt zu sprechen. Und was für Berliner zum Alltag gehört, kann für Touristen auch mal eine schöne Erfahrung sein.

Michael S. Zerban