O-Ton

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Hintergründe

Festival für Genießer

Kaum zu glauben, dass das Festival in Bergen heuer zum 71. Mal stattfindet. Wer hätte voraussagen können, damals 1953, als es von der Opernsängerin Fanny Elsta mitbegründet wurde und gerade mal 22 Aufführungen gab, dass 2022 mehr als 70.000 Besucher weit über 100 verschiedene Aufführungen in der ganzen Stadt besuchen werden? In diesem Jahr werden es sicherlich noch mehr sein.

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Gefragt nach den zukünftigen Aussichten und Zielen des Festivals, erklärt der neue künstlerische Leiter und Komponist Lars Petter Hagen: ganz einfach „Erinnerungen schaffen und die Welt bewegen“. Damit hat er mit der diesjährigen Ausgabe des Festivals begonnen. Es gibt einen breiten Regenbogen an Veranstaltungen von großer Oper in Anwesenheit des Königspaares bis hin zu Kinderveranstaltungen, über Uraufführungen im E- und U-Musikbereich, Softrock, Metal, klassische Liederabende, Tanz und Selbstdarstellungen, ein Konzert mit Isabell Faust und der Akademie der Alten Musik und vieles anderes mehr während, wie immer, der zwei Wochen Ende Mai bis Anfang Juni. Diese Zeit fällt übrigens auch mit der Blütezeit der vielen Tulpen, Rhododendren, Flieder und sonstigen Frühlingsblüher zusammen. Bergen zeigt sich somit von seiner schönsten Seite, Wind und Regen nicht ausgeschlossen.

Über das Parade-Ereignis zu Beginn des Festivals – die konzertante Aufführung von Giacomo Puccinis Oper Tosca – mit der großartigen Lise Davidsen in ihrem Rollendebüt, Freddie de Tommaso als Cavaradossi und Bryn Terfel als dramatisch fesselnder Scarpia, unter der Leitung von Edward Gardner und dem Bergen Philharmonisches Orchester und Chor ist ausführlich berichtet worden.

Man darf nicht vergessen, dass der norwegische Komponist Edvard Grieg in Bergen gelebt hat – die Wohnräume seines Hauses sind jetzt ein Museum. Troldhaugen heißt es und ist idyllisch etwas außerhalb des Stadtzentrums gelegen, auf einem steinigen Vorsprung mit Blick auf eine Bucht. Hier hat Grieg das Haus für sich und seine Frau Nina 1885 bauen lassen. Es ist kein hochherrschaftliches Domizil. Im Gegenteil, es besticht durch gemütliche und schlichte, holzgetäfelte Räume, weitab von jedem Protz. Das Wohnzimmer wird von einem Steinway-Flügel beherrscht, der ein Geschenk zur Silbernen Hochzeit 1892 war. Auf ihm dürfen heute noch auserwählte Künstler wie Leif Ove Andsnes gelegentlich spielen.  Ähnlich wie Gustav Mahler und Johannes Brahms, hat auch Grieg sich ein kleines Komponierhäuschen auf dem Grundstück bauen lassen, komplett mit einer Chaiselongue, wo er ein Nickerchen machen konnte, und einem Schreibtisch mit dem atemberaubenden Blick auf die nahe Bucht. 1985 wurde ein kleiner Konzertsaal neben dem Haus errichtet. Mit gerade mal 150 Plätzen bietet er eine ideale Möglichkeit für einen Liederabend oder ein Solorecital, zumal auch hier die Besucher über die Künstler hinweg durch das große Panoramafenster die Aussicht genießen können. Dieses Jahr trägt die junge süd-koreanische Geigerin Bomsori Kim, begleitet von Julia Okruashvili am Klavier, ein virtuos gespieltes Programm mit Stücken von Henryk Wieniawski, Claude Debussy und Jean Sibelius vor. Zierlich und mit einem bezaubernden Lächeln kann sie in dem Saal einen direkten Kontakt zum Publikum aufbauen und so jede Nuance ausdrücken, von der grandiosen Geste bis hin zur subtilen Note.

Ortswechsel zu den gewaltigen, steinernen Håkonshallen aus dem 13. Jahrhundert mit bester Akustik für Chöre sowie einem Konzert der Multimedia-Künstlerin Camille Norment. Sie spielt die Glasharfe, zentral platziert, mit dem Publikum rundum sitzend, umgeben von ihrem zwölfköpfigen Ensemble, bestehend aus Sänger, Cello, Kontrabass, Flöte, elektrischer Gitarre und Geige, in einer Komposition, die zwischen abgrundtiefer Melancholie bis zu ekstatischer Heiterkeit schwingt. Wenn die Halle nicht gerade für musikalische Events genutzt wird, dient sie als Speisesaal für das Königspaar, da sie sich in royalem Besitz befindet.

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Als nächstes ein Besuch im Nygarden Park mit seinen gigantischen alten Bäumen und dem nahegelegenen Universitätsgelände: Die Performance mit und von dem französischen Theaterkollektiv Superamas und der polnischen Tanzkünstlerin Agata Maszkiewicz beginnt mit einem herzlichen Empfang mit Decken und heißem Tee oder Kakao. Das Thermometer zeigt zehn Grad an, und es nieselt. Dafür kommen etwa hundert Besucher, um die kostenlose Performance Zero to Infinity in der Dämmerung im Freien zu erleben. Es werden Ballons aufgeblasen und mit ihnen getanzt, ab und zu platzt auch einer. So werden die „Dimensionen des menschlichen Körpers und unseres Wahrnehmungssystems in den Mittelpunkt winziger und unendlich großer Netzwerke gestellt“, sagt die Tanzkünstlerin.

Am nächsten Abend geht es zum ehrwürdigen Nationale Scene Theater mitten in Bergen, erbaut 1909 im nordischen Art-Nouveau-Stil und schönstens restauriert. Hier tritt der junge Elektropop-Künstler Nils Bech auf. Es ist ihm wichtig, dass queere Liebe in der Kunst dargestellt wird, hier bringt er Lieder zu diesem Thema unter Mitwirkung von Mitgliedern des Norwegischen Balletts. In Norwegen ist er ein bekannter Künstler mit seinen soften Liedern und Erzählungen. Im Ausland – obwohl er meistens auf Englisch singt – muss man ihn noch entdecken.

Ein Zimmer mit Aussicht ist in Bergen nicht schwer zu finden – immerhin geht es überall steil die Berge hinauf rund um den Hafen. Ganz bequem kommt man an einen Gipfel mit der Standseilbahn Fløibahn, die braucht etwa acht Minuten vom Vetrlidsallmenningen unten bis zur Spitze des Fløyfjellet Berg und verkehrt mehrmals pro Stunde. Während der gesamten Festivalzeit tragen junge Sänger kurze Lieder oder Arien in der Kabine vor, kleine OperaUp!-Minikonzerte, sehr zum Vergnügen der Fahrgäste. Oben angelangt kann man sich eine leckere Zimtschnecke gönnen und zu Fuß wieder in die Stadt gehen. Wenn man Glück hat, wird man einen Teil des Weges von den dort oben lebenden Kaschmirziegen begleitet, die sich sogar streicheln lassen.

Es gibt noch so viel zu entdecken, eine Reise von drei Tagen reicht noch lange nicht aus – fest steht schon, es wird nächstes Jahr ein Wiedersehen geben … Bergen kann gerne zum Lieblingsort werden.

Zenaida des Aubris