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Hintergründe
Das Fazit der Bayreuther Festspiele fällt trotz erfreulicher Neuerungen wenig berauschend aus. Einmal mehr kann die Regie-Arbeit an vielen Werken kaum noch handwerklich überzeugen. Steht die Situation der Oper damit in Bayreuth stellvertretend für die bundesdeutsche Opernlandschaft? Sicher nicht. Aber hier wird vieles aufgezeigt, was auch in anderen Häusern dringend der Verbesserung bedarf.
Mit dem Tannhäuser gibt Nathalie Stutzmann ihren Einstand als Dirigentin. – Foto © Enrico Nawrath
Mit der heftig umjubelten Wiederaufnahme des ekstatischen Liebesdramas Tristan und Isolde fand der Premieren-Reigen der Bayreuther Festspiele einen gediegenen Abschluss. Mit acht Werken war diesmal mit Ausnahme des Lohengrin und der Meistersinger der komplette Werkkanon der Festspiele vertreten. Quasi als Vorübung zum 150. Jubiläum in drei Jahren, wenn alle zehn Werke und zusätzlich der an sich aus Bayreuth verbannte Rienzi auf dem Programm stehen werden.
Die im letzten Jahr in extrem kurzer Zeit aus dem Boden gestampfte Tristan-Inszenierung von Roland Schwab wird bereits im nächsten Jahr durch eine Neuinszenierung des Norwegers Thorleifur Örn Arnarsson ersetzt. Eigentlich nicht nötig, vertraut doch Schwab in den atmosphärisch dichten Bühnenbildern Piero Vinciguerras als einziger der vertretenen Regisseure dem Libretto und enthält sich eigenmächtiger Eingriffe und Umdeutungen. Wozu auch der Verzicht auf logische Erklärungsversuche irreal-fantastischer oder utopischer Visionen gehört, einhergehend mit einer Entmythisierung der Stoffe.
Das muss nicht so krachend schief gehen wie in der Banalisierung des Herzstücks der Festspiele, dem Ring des Nibelungen, durch Valentin Schwarz, der Wagners Warnung vor einem empathielosen Materialismus und einer rücksichtslosen Zerstörung der Umwelt durch eine selbst konstruierte, provinziell kleinbürgerliche Familien-Saga ersetzt, die in keinem Takt dem Sinn und der Bedeutung des Werks gerecht wird.
Professioneller und einfühlsamer, auch was das handwerkliche Niveau in Sachen Personenführung angeht, geht Dmitri Tcherniakov mit dem Fliegenden Holländer um. Gespenster haben auch bei ihm keinen Platz. Bei ihm kehrt der Holländer in seine Geburtsstadt zurück, um sich, wie Claire Zachanassian in Dürrenmatts Besuch der alten Dame, fürchterlich für die Verbrechen der Bewohner an seiner Mutter zu rächen. Was sich erstaunlich gut mit Libretto und der Musik verbinden lässt.
Es entspricht wohl dem Zeitgeist, dass die religiösen Dimensionen des Parsifal und des Tannhäuser völlig eliminiert werden. Auch in Jay Scheibs neuer Inszenierung, in der der Gral von effektvoll, aber vordergründig durch den virtuellen Raum schwirrendem Umweltmüll zermalmt wird. Und Tobias Kratzer begnügt sich damit, Tannhäuser als Kleinkünstler darzustellen, der in die weihevolle Welt des Festspielhauses eindringt und dort scheitert. Eine grenzwertige Deutung, bei der Katzer mittlerweile wenigstens auf die unpassendsten humoristischen Einlagen verzichtet.
Der Abschied Christian Thielemanns vom Grünen Hügel hinterlässt musikalische Lücken, die in diesem Jahr nur teilweise geschlossen werden konnten. Gewiss nicht von Pietari Inkinen, der im Ring keine nennenswerten Akzente setzen konnte. Ob es Philippe Jordan im nächsten Jahr gelingen kann, wird sich zeigen. Besser machten es Pablo Heras-Casado mit seinem glänzenden Parsifal-Debüt und die beiden Damen im Orchestergraben: die mittlerweile Bayreuth-erfahrene Ukrainerin Oksana Lyniv im Holländer und Nathalie Stutzmann mit ihrem Einstand beim Tannhäuser. Ein Beweis, dass man Frauen durchaus auch die zentralen Werke des Kanons, den Ring und den Parsifal, anvertrauen könnte.
Die vielen Umbesetzungen auch und gerade der großen Partien signalisiert das dünne Reservoir an verfügbaren Stimmen. Dass Andreas Schager beide Siegfried-Partien und den Parsifal mit Anstand stemmt, dass Catherine Foster die Brünnhilde und die Isolde bewältigt, beeindruckt konditionell, aber nicht immer stimmlich. Selbst Elisabeth Teige mit ihrem jugendlich frischen Sopran tut sich keinen nachhaltigen Gefallen, wenn sie die Sieglinde, Elisabeth und Senta in Folge absolviert. Klaus Florian Vogt sprang als Tannhäuser ein, womit er an seine stimmlichen Grenzen geriet. Allerdings überzeugte er sowohl in dieser Partie als auch als Siegmund mit einer glasklaren Diktion und Textverständlichkeit, die auszusterben scheint. Ihm ebenbürtig war allenfalls noch Publikumsliebling Georg Zeppenfeld als Gurnemanz, Hunding, Marke und Daland.
Dass viele Sänger aus der Puste geraten und kaum identifizierbare Laute von sich geben, ist nicht nur ihnen anzulasten, sondern auch den paradoxen Vorstellungen etlicher Regisseure, die Möglichkeiten der modernen Licht- und Bühnentechnik so rücksichtslos ausschöpfen zu müssen, dass die gesamte Tiefe der riesigen Bühne ohne Rücksicht auf die Belange der Sänger genutzt wird. Wenn man Siegfrieds Schmiedelieder aus der hintersten Ecke schmettern lässt und der Dirigent, völlig unnötig, das Orchester bis zum Anschlag aufdreht, geraten selbst stimmliche Kraftpakete wie Lauritz Melchior und Franz Völker, die es heute nicht mehr gibt, an ihre Grenzen. Ebenso wie die legendäre Akustik des Festspielhauses. Richard Wagner hat zwar selbst mit dem Gaslicht die neueste Technik seiner Zeit genutzt. Dennoch waren die Sänger gezwungen, überwiegend an der Rampe zu singen. Das müssen sie heute nicht mehr. Aber ein wenig mehr Sensibilität und Rücksichtnahme von Seiten der Regisseure käme allen zugute.
Das nächste Jahr wird nicht nur einen neuen Tristan unter der Leitung von Semyon Bychkov bringen, sondern auch Licht in die Zukunft der Festspielleiterin Katharina Wagner, wenn die entsprechende Vertragsverlängerung ansteht. Für Spannung sorgt der Grüne Hügel allemal.
Pedro Obiera