O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Cavalleria russkicana

JEWGENI ONEGIN
(Pjotr Tschaikowski)

Besuch am
28. September 2017
(Premiere am 24. September 2017)

 

Opernhaus Zürich

Als zum Saisonende 2016/2017 Intendant und Regisseur Andreas Homoki am Opernhaus Zürich Franz Lehárs Das Land des Lächelns inszenierte, schrieb O-Ton Das Beste zum Schluss. Nun startet das Haus am Bellevue nicht minder brillant ins neue Opernjahr. Barrie Kosky, der in Zürich Verdis Macbeth aufs Maximum reduzierte, vertraut auch bei Tschaikowskis ländlichem Ritterlichkeits-Epos auf das komplexe Seelenleben seiner Figuren. Der Regisseur, der 2012 in Berlin die Nachfolge von Homoki an der Komischen Oper antrat, macht bei der Co-Produktion mit dem Zürcher Haus und seinem Spielleiter Jan Essinger das einzig Richtige mit der Konzentration aufs Wesentliche. Die dichte Verflechtung von Konstantin Schilowskis und Tschaikowskis Libretto mit der emotionalen Musik des russischen Romantikers brauchen keinen intellektuellen Überbau.

Im Zentrum dieser bewegenden Geschichte steht mit Jewgeni Onegin ein Mann, der auf den ersten Blick egozentrisch und abweisend wirkt. Das Gegenüber zu verletzen, scheint ihm folglich leichter zu fallen, als die Liebe einer Frau zu erwidern. Wenn der Panzer von seinem Herzen fällt, ist es zu spät. Die Fallhöhe im Stück bildet jedoch der Tod seines Freundes Lenski, den er im Duell erschießt. Lenski ist der Verlobte von Olga und deren ältere Schwester Tatjana ist die Frau, die Onegin ihre Sehnsucht offenbart. So einfach die Konstellation, so dicht der Stoff. Barrie Kosky verlässt sich auf die intimen Ingredienzien und gibt der Symbolik eine klare Absage. Seine Lesart mit dem naturalistischen Bühnenbild von Rebecca Ringst und schlicht designten Kostümen von Klaus Bruns entwickelt sich im satten Grün eines Eichenhains. Die punktuelle Lichtgestaltung von Franck Evin trägt zum filmischen Charakter der Inszenierung bei. Kein Männlein steht im Walde, hier tobt das Leben.

POINTS OF HONOR

Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Mit feinem Gespür führt der Regisseur seine Protagonisten durch das Sittenbild einer vergangen Epoche, in der dumme Eifersucht und falsche Ehre den Alltag auf den Kopf stellen können. Kosky verleiht den vielschichtigen Figuren Tiefgründigkeit, indem er sie mittels Spot an die Bühnenrampe stellt, was ähnlich funktioniert wie ein Close-up beim Film. Damit gelingt ihm eine nahezu veristische Sichtweise, die ohne übertriebenen Pathos auskommt. Die ungefilterten Nahaufnahmen des Regisseurs erinnern in ihrer Direktheit denn auch an die Oper Cavalleria rusticana von Pietro Mascagni. Ein Opus, das elf Jahre jünger ist als Tschaikowskis Lyrische Szenen, die 1879 in Moskau als Dreiakter uraufgeführt wurden.

Dass der Abend in Zürich auch musikalisch und gesanglich höchsten Genuss bietet, erschließt sich bereits nach den ersten Takten und Tönen. Die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Stanislav Kochanovsky tut es Barrie Kosky gleich und befreit die Partitur von erstickender Elegie. Der junge Dirigent verpasst diesem Werk, das nicht selten in russischer Schwermut ertränkt wird, eine Frischzellenkur. Mit gutem Tempo und eindringlicher Dynamik geht er kurvenreich in die Zielgerade und lässt dabei immer wieder einzelne Instrumente transparent aufblitzen.

Olga Bezsmertna als Tatjana – Foto © Monika Rittershaus

Mit Peter Mattei konnte das Opernhaus Zürich einen angesagten Onegin-Darsteller gewinnen, sein agiler Bariton bebt in allen Schattierungen. Mattei überzeugt auch darstellerisch. Seine Verzweiflung am Schluss, wenn das Leben und die Liebe in Trümmern liegen und der Regen vom Schnürboden prasselt, lässt keinen kalt. Das gleiche gilt für Olga Bezsmertna als Tatjana. Man nimmt ihr die blinde Verliebtheit im ersten Akt gerne ab, auch wenn man sich bei der Briefszene … und wär‘s mein Untergang stimmlich mehr Feinheiten wünschte denn die Strahlkraft einer Tosca.

Pavol Breslik, der wie Jonas Kaufmann seine Karriere in Zürich in Bewegung brachte, präsentiert feinste Nuancen in der Phrasierung und versteht es ebenso geschickt, in der Reduktion zu betören. Die Lamento-Arie des Lenski Wohin, wohin seid ihr entschwunden kurz vor seinem Bühnentod ist ein großer Moment. Breslik erntet mit der sentimentalen wie süffigen Darbietung tosenden Applaus. Ksenia Dudnikova als Olga ist eine wogende Wucht. Ihr sonorer Mezzosopran kommt aus dunklen Tiefen und bewegt sich in den höheren Tonlagen souverän. Das macht Lust auf mehr. Mezzosopranistin Liliana Nikiteanu überzeugt als Gutsbesitzerin Larina durchwegs und Bariton Christoph Fischesser hinterlässt mit seiner Parade-Arie als Früst Gremin einen soliden Eindruck. Das stimmliche Volumen von Mezzosopranistin Margerita Nekrasova als Amme ist ein Genuss, ihre Bühnenpräsenz ganz nah bei Puschkin. Einzig Martin Zysset als Triquet fällt gegenüber der glanzvollen Ensembleleistung etwas ab. Sein luzider Tenor kommt beim Hochhinaus zittrig daher. Dafür schafft es Ernst Raffelsberger, den Chor der Oper Zürich auf Höchstleistung zu trimmen, die Personenführung und der Gesang haben prickelnde Präzision und sorgen für atemberaubende Spannung.

Das Publikum honoriert diesen nahezu orgiastischen Onegin am Opernhaus Zürich mit entsprechend großem Jubel und lang anhaltendem Applaus.

Peter Wäch