O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Ensemble Courage

DIE WALKÜRE
(Richard Wagner)

Besuch am
15. Januar 2017
(Premiere)

 

Hessisches Staatstheater Wiesbaden

Nein, Reminiszenzen an Das Rheingold, den erst vor wenigen Wochen herausgekommenen Vorabend zum Ring des Nibelungen, sind in Wiesbaden kaum auszumachen. Allenfalls die überdimensionierte Skulptur des Adlers und die als simples Zelt hergerichtete militärische Kommandozentrale der Kohorten Wotans erinnern noch an das orientalische Ambiente der Inszenierung des Einstiegsstücks. Von den Göttern, die als Nomaden in Walhall einziehen, nun in der Walküre keine Spur. Loge, der erst deren Sesshaftigkeit ermöglicht, ist bereits von Wagner aus dem Verkehr gezogen worden. Sein Part ist jetzt auf die Rolle des Feuerzauberers im Finale der Tragödie um Macht und Liebe beschränkt. Nein, im Archaischen will Uwe Eric Laufenberg seine Ring-Inszenierung ganz und gar nicht verfestigen. Vielmehr drängt es ihn, schon mit dem ersten Tag des Bühnenfestspiels die mythische, die überzeitliche und mithin auch immer moderne Sicht auf die Welt als Ganzes ins Spiel zu bringen. Auf eine Welt, die mit der Götter- und ihrer Menschheitsdämmerung der letzten Utopie Wotans entgegentaumelt: dem Ende. Ein ambitioniertes Regiekalkül,  fürwahr. Ob es auch aufgeht? Die Bilanz fällt zwiespältig aus.

Für Laufenberg, Regisseur und Hausherr der Wiesbadener Bühne, der Libretti zu lesen und adäquat in Aktionen und Bilder umzusetzen versteht, scheint Wagners Tetralogie die künstlerische Verführung per se zu sein. Eignet sie sich für ihn augenscheinlich als optimale Folie, auf der sich Menschheitsgeschichte mit den Mitteln des Kolossalgemäldes abbilden lässt. Im ersten Anlauf vor drei Jahren in Linz, jetzt in einer überarbeiteten Form am Hessischen Staatstheater, die vor allem durch eine durchdachte, intensiv erarbeitete Personenführung überzeugt. Eine großen Respekt verlangende Leistung. Kommen doch die einzelnen Teile des Rings innerhalb weniger Monate heraus. Schon für die Mai-Festspiele sind komplette Aufführungsserien terminiert.

Von der überwölbenden Programmatik erfährt der Besucher eine Menge bereits durch Gisbert Jäkels Bühnenbilder und Antje Sternbergs Kostüme. Was bei Wagner das „Innere eines Wohnraums“, ist hier eine niedrige Bauernschänke mit integriertem Tresen. Praktischerweise ist im Zentrum des Anwesens ein Baum, eine Esche, eingelassen. In deren Stamm fixiert ist Nothung, das Schwert, Wotans Hinterlassenschaft und Schlüssel zur Restaurierung der verlorenen Macht. Über der Szene verläuft eine Fensterbatterie. Durch deren Luken spähen immer mal wieder Uniformierte, vermag auch Brünnhilde der Begegnung der Wälsungen zu folgen. Noch nicht unmittelbar in Aktion, ist so die Walküre von Beginn an die Bewahrende, die Achtsame, die Empathische. Und der Kontrapunkt zu Wotans destruktiver Strategie um Macht und Herrschaft.

POINTS OF HONOR

Musik
Gesang
Regie
Bühne
Publikum
Chat-Faktor

Im zweiten Aufzug gibt es eine Wiederbegegnung mit dem Topos Zelt, das allerdings nur noch entfernt an das Wüstenzelt im Vorabend zum Zyklus erinnert.  Militärisch geht es zu, mit unverkennbaren Anleihen an die Insignien von NS-Kommandeuren. Rätselhaftes nimmt seinen Lauf. Ein riesiger Tisch, anfänglich Besprechungen dienend, wird von Mädchen in einem paradiesischen Habitus um 90 Grad gedreht und wie bei einem Hochzeitsbankett drapiert. Doch die Zeremonie wird nicht stattfinden, kurze Zeit später Siegmund getötet, ausgestreckt zwischen den Kerzen liegend. Szenerie des dritten Aufzugs schließlich ist eine nach oben hin offene Reiterhalle, die Assoziationen mit der Spanischen Hofreitschule weckt. Zum Erstaunen wie Ergötzen des Publikums springt, geritten von Walküren, ein veritables Pferd durch das Geviert. Die Halle ist dann auch Schauplatz von Wotans Abschied und Feuerzauber. Auf die hintere Wand werden von Falko Sternberg produzierte Bilder projiziert. Loges Flammen verfremden sich zu Weltkriegsbildern mit Kampfflugzeugen, die über Städten ihre tödliche Fracht abwerfen. Ein Menetekel, das in eine Videosequenz von Manhattan übergeht, dem Fixpunkt für den modernen Terror seit Nine Eleven. Ein Parforceritt durch die Geschichte. Schon zur Hälfte des Ganzen ist Laufenbergs Ring-Deutung in der Gegenwart angekommen. Die Verletzlichkeit, wie sie Sieglinde und Brünnhilde vermitteln, ist auch unsere. Der Terror von Hunding und seinen Vasallen so aktuell wie nah.

So bezwingend die Grundidee, so uneinheitlich, so bisweilen ungereimt die Umsetzung. Ihre stärksten Momente bringt die Inszenierung in den psychologischen Bindungen und Verstrickungen hervor, in denen sich die Protagonisten der Apokalypse bewegen. Der menschliche Blick – ein Urelement der Kunstform Oper, um nur auf Salome oder Tristan zu verweisen – ist hier das Medium der Durchdringung, auch der Enträtselung. Schon in ihren ersten Blicken, erst verstohlen, dann offen Annäherung bahnend, ist das geschwisterliche Erkennen von Sieglinde und Siegmund angelegt. Kaum misstrauischer, abweisender kann der Blick ausfallen, mit dem Hunding den Eindringling mustert. So wird das Fremde an sich zum Fall, auch ein Reflex des  aktuellen gesellschaftlichen Klimas. Fabelhaft zudem Positionierung und Aktionen der Walküren im Raum. Kein passives Verweilen wie so häufig. Dieses Kampfgeschwader im Dress von Pilotinnen der 1930-er Jahre engagiert sich mit Verve, Körpereinsatz und vokaler Wucht für Brünnhilde, die Inkarnation der Liebe. Solange wie möglich bilden sie für sie einen Schutzwall gegen Wotan. Als das Aufbegehren aussichtslos wird, wendet sich eine nach der anderen der Bühnenbegrenzung zu. Die schlichte Wand wandelt sich so symbolisch zur Klagemauer.

Vage bis befremdlich hingegen etliche andere Bilder dieser Inszenierung. Ja, richtig, Sieglinde träumt im zweiten Aufzug vor der Ermordung Siegmunds von Angstszenen ihrer Kindheit. Auch richtig, Sieglinde, für Wotan bloß Mittel zum Zweck, ist Opfer einer Vergewaltigung, bevor sie mit dem Finsterling Hundig verbandelt wird. Doch warum muss Laufenberg eine neuerliche Vergewaltigung Sieglindes durch die Soldateska auf der rohen Tischfläche so zeigen, als würde sie just in time geschehen? Das ist weder mit Wagners Text kompatibel noch verständlich, gar nötig. Warum, ein weiteres Beispiel, wird Brünnhilde zu den Sphärenklängen des Feuerzauber-Motivs in eine Art Germania-Statue eingeschlossen? Eine Anspielung auf die Renationalisierungstendenzen heute, die Symbolwelt der neuen Rechten?

GERD GROCHOWSKI

Er sang an allen großen Bühnen dieser Welt. Zur Premiere der Walküre wurde er in Wiesbaden als Wotan vom Publikum frenetisch gefeiert. Am 16. Januar, einen Tag später, starb Gerd Grochowski in Mainz. Wir werden ihn vermissen.

Unter Besetzungsaspekten ist die Wiesbadener Produktion ein Ereignis. Bei Ausklammerung von Gerd Grochowski als Wotan und Margarete Joswigs Fricka – beide arriviert und schon im Rheingold mit sicherem Part –  ist ein weitgehend junges Ensemble zu erleben, das mit Selbstbewusstsein und Courage Neuland erobert. Dabei verkörpern Richard Furman als Siegmund und Sabina Cvilak als Sieglinde, beide strahlend blond, das Paar der Wälsungen geradezu paradigmatisch. Furmans Tenor wirkt zwar seltsam reduziert, den bringt er jedoch in den dramatischen Höhepunkten glänzend zur Geltung. Gesanglich wie spielerisch ist von beiden Cvilak die größere Entdeckung. Sie leidet, lodert, lechzt eindringlich und berührend. Ihr Sopran hat lyrische Melodik und robuste Tiefe. Ein mehr als vielversprechender Anfang einer Rollenkarriere. Um dieses Attribut muss sich Sonja Gornik als Brünnhilde gewiss keine Gedanken machen. Sie wartet mit starker physischer Präsenz und stimmlicher Akkuratesse auf, bringt die fordernde Partie zwischen den Polen Rebellion und Verinnerlichung souverän zu Ende. Als Hunding nicht zuletzt komplettiert Young Doo Park mit packender Grimmigkeit in Stimme und Auftreten den insgesamt großartigen Gesamteindruck der Sängerdarsteller.

Seit Eröffnung der Hamburger Philharmonie könnte es eine Selbstverpflichtung von Rezensenten sein, ihren Platz in einer Aufführung konkret zu benennen. Aus der zweiten Reihe des Wiesbadener Hauses mit seinem offen klaffenden Orchestergraben ist vom Hessischen Staatsorchester unter seinem musikalischen Leiter Alexander Joel ein weitgehend eindrucks- und effektvoller Wagner-Klang zu vernehmen. Wenn allerdings die Blechbläser die Oberhand gewinnen – so beispielhaft mit dem Aufwallen von Hundings Stierhorn – ist nur eingeschränkt vernehmbar, was oben auf der Bühne gesungen oder rezitiert wird. Das mag im Siegfried mit seinen langen kammermusikalischen Passagen problemlos sein, in der Götterdämmerung alsdann eher weniger.

Das übrigens höchst disziplinierte, fast hustenfreie Publikum feiert das Sängerensemble und die Orchestermusiker mit anhaltender Emphase, etwas zurückhaltender auch das Regieteam. Einige Buh-Rufe, offenkundig gegen Laufenberg gerichtet, verhallen rasch. Ärgerlich nimmt sich hingegen der Beifall eines einzelnen Besuchers aus, der heftig in das finale Orchestermotiv des tiefen Schlummers einfällt, noch ehe die berückenden Töne verhallt sind. Eine halbe Minute Stille – zu viel verlangt? Eine ganze? Mutmaßlich schon wahres Opernglück.

Ralf Siepmann