O-Ton

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Der Troubadour als Treppenwitz

(Giuseppe Verdi)

Besuch am
24. Oktober 2021
(Premiere)

 

Opernhaus Zürich

Wo ist der Troubadour? Die Bühne von Regisseurin Adele Thomas mit der Ausstattung von Annemarie Woods gleicht oft einem Wimmelbild. Wenn sich der Chor auf der bühnenbreiten Freitreppe versammelt, herrscht wildes Treiben wie auf einem Pausenhof. Erst wenn die Solisten an der Reihe sind, kehrt einigermaßen Ruhe und Ordnung ein. Dafür werden die Auftritte vom Conte di Luna von drei hibbeligen Höllenhunden begleitet, die dem Reich eines Hieronymus Bosch entstiegen sein könnten. Die Oper spielt im Spanien des 16. Jahrhunderts. Die Regie hält sich mehr oder weniger an die kriegerische Zeit, taucht aber gleichzeitig ab in eine groteske Sagen- und Märchenwelt, die mehr mit Robin Hood und seiner Maid Marian zu tun hat als mit verfeindeten Brüdern, die um die gleiche Braut buhlen.

Giuseppe Verdis Opus nach der literarischen Vorlage von Antonio García Gutiérrez und dem Libretto von Salvadore Cammarano wurde 1853 in Rom uraufgeführt, die Story ist starker Tobak. Eine Frau wird als Hexe verbrannt, ihre Tochter, die Zigeunerin Azucena, rächt den barbarischen Tod, in der Folge kommt es zu einem wüsten Gerangel zwischen dem Conte di Luna und dem Troubadour Manrico. Erst am Schluss wird das tragische Geheimnis einer vertuschten wie verkannten Verwandtschaft gelüftet, denn die Gegner sind in Wahrheit Brüder. Die Oper endet mit einem traurigen Sieger, zwei Toten und einer Rächerin, die mit dem Scheiterhaufen das gleiche Schicksal ereilt wie ihre Mutter.

Verdi komponierte für sein lyrisches Drama kontrastreiche Klänge, die er geschickt mit der Tradition des Belcantos verwob. Der Trovatore ist auch eine starke Choroper, bei der sich jedem Regieteam die leidige Platzfrage stellt: Wohin mit all den Mannen? Thomas entscheidet sich für eine Freitreppe, die die gesamte Bühne einnimmt. Das Requisit eignet sich sowohl für Massenszenen als auch für Einzelauftritte, Lichtmagier Franck Evin gelingen intensive Momente. Doch wie jede Stiege ein Ende hat, kommt auch die Regie an ihre Grenzen. Mehr als rauf und runter und etwas seitwärts geht nun mal nicht, und es zeigt sich spätestens nach der Pause, dass starr angelegte Konzepte die Opernlänge von mehr als zwei Stunden meist nicht tragen.

Eine dezidiert reduzierte Anschauung, die ausnahmslos eine Perspektive zulässt, ist eine Gratwanderung. Thomas bedient obendrein eine humoristische Sichtweise und sie tut das ausgerechnet für ein hochdramatische Werk. Fazit: Der Klamauk erstickt das Drama. Die Helden verkommen zu fixen Figuren wie auf einem Schachbrett. Das stellenweise überbordende Kasperletheater erinnert an Monty Pythons Ritter der Kokosnuss und nicht an ein zutiefst erschütterndes Drama, bei dem ein Kindsmord die Schlüsselrolle spielt.

Viel Energie steckt im agilen Chor und den Komparsen, die von Emma Woods und Jonathan Holby auf Hyperagilität getrimmt werden. Lästiges Getrippel und Getrampel inklusive. Dem entgegengesetzt wird die Personenführung bei den Solisten weitgehend außer Kraft gesetzt. Die zum Teil kindischen Kostüme mit Totenkopf-Sujets gehören mehr ins Fantasiereich eines Tim Burton, der Graf in seinem rosafarbenen Wams mit rotem Herzen auf der Brust könnte dem erfolgreichen Animationsfilm Shrek entsprungen sein. Die Ritter im unverkennbaren Don-Quichote-Look haben mehr scherzhafte als traurige Gestalt.

Wenn etwas in Schieflage gerät, reißt dieser Zustand oft das große Ganze mit sich in den Abgrund. Bei der Premiere in Zürich wird diese Annahme bittere Realität. Die Einsätze sind wiederholt nicht synchron und als ob das nicht genug wäre, strauchelt noch der Titelheld vokal. Piotr Beczała ist der angesagte Tenor unserer Zeit, und ausgerechnet mit seinem Rollendebüt als höhensicherer Manrico passieren ihm ein paar Patzer. Verpasster Einsatz mit dem Graben, geschenkt. Doch wenn er bei der Stretta im vierten Akt den alpinen Ton verfehlt, dann ist das schon mächtig Autsch und bedauernswert zugleich. Beczała gelingt nämlich stimmlich eine prächtige Rollengestaltung mit hinreißendem Schmelz und ebenso viel Atem für langanhaltende Kantilenen bis hin zu filigransten Pianissimi.  

Eine Sopranistin von Weltformat ist Marina Rebeka, die ähnlich wie Cecilia Bartoli auch mit raffinierten Konzeptalben auf sich aufmerksam macht. Zu Beginn klingt ihre unverwechselbare Stimme im Debüt als Leonora etwas verhalten, doch dann steigert sie sich zunehmend in punkto Ausdruckskraft und Volumen in den Opernolymp, wo sie längst hingehört. Ihr sattes Timbre darf man ruhig vergleichen mit dem einer jungen Netrebko, ihre Legati und die Reduktion haben das Zeug, das es für eine Weltkarriere braucht. Für ihre von der Regie oktroyierte einsilbige Darstellung einer Verzweifelten eine zusätzliche Meisterleistung. Brava!

Quinn Kelsey ist als Conte di Luna mehr als ein sicherer Wert und sein süffiger Bariton vermag sogar das lächerlich rosafarbene Outfit seines Antihelden zu übertünchen. Punktgenau besetzt ist die heimliche Hauptfigur Azucena mit Agnieszka Rehlis. Ein Mezzosopran wie ein später Burgunder mit samtweichen Noten und einer beeindruckenden Tiefe, die in dunkelste Abgründe führt. Ihre Darstellung einer hassenden Frau: Extraklasse! Der Ferrando von Bass Robert Pomakov klingt etwas angestrengt, Bożena Bujnicka befindet sich in der Nebenrolle als Ines mit ihrem filigranen Sopran mehr auf Augenhöhe.

Den Einstand des neuen Generalmusikdirektors Gianandrea Noseda, der am Opernhaus Zürich auf Fabio Luisi folgt, wünschte man sich glücklicher. Dem Maestro gelingt am Pult mit der Philharmonia Zürich ein vielschichtiges und funkensprühendes Dirigat, das die kantigen Forti der Partitur mit deutlichem Paukenschlag auskostet und bei den Pianostellen wohltuende Abkühlung beschert. Die manchmal gar in die Länge gezogenen Tempi sind gewöhnungsbedürftig, die wiederholt verpassten Einsätze wohl premierengeschuldet.

Das Publikum im 3G-Modus honoriert die durchzogene Produktion mit satten Bravorufen. Zu lange währte der Verzicht. Vereinzelt hört man den einen oder anderen Buhruf, der wohl am ehesten der wahnsinnig lustigen Regie geschuldet ist.

Peter Wäch