O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Opernhaus Zürich

Aktuelle Aufführungen

Fulminantes Finale

OPERETTENGALA
(Diverse Komponisten)

Besuch am
12. Juli 2020
(Einmalige Aufführung)

 

Opernhaus Zürich

Es hat absoluten Seltenheitswert, dass eine Gala mit Staraufgebot nicht mal zur Hälfte besetzt ist und preislich ähnlich zu Buche schlägt wie zwei Kinotickets für einen Blockbuster in Überlänge. Der Grund für die vielen Lücken im Zuschauerraum ist allseits bekannt. Das neue Coronavirus, das im schlimmsten Fall die Lungenkrankheit Covid19 auslösen kann, hat dem Kulturbetrieb eine schmerzende Dornenkrone aufgesetzt. Ein Finale ohne glanzvolles Ende wollte das Opernhaus Zürich, wie viele andere Stätten, aber nicht hinnehmen. Darum setzte das Haus am Bellevue dem Trauerspiel mit all den ausgefallenen Vorstellungen eine besonders strahlende Krone in Form eines üppigen Schlussbouquets auf: Eine Operettengala mit Fabio Luisi am Pult der Philharmonia Zürich und den beiden Opernstars Piotr Beczała und Camilla Nylund, die mit befreiter Kehle begeistern.

Das flugs zusammenstellte Programm lässt sich hören und sehen. Die Philharmonia Zürich spielt mit eingehaltenem Sicherheitsabstand auf der Bühne, und der gedeckte Orchestergraben dient dem Dirigenten und den beiden Stars als zusätzliches Podium. Ein schlichtes und in Schwarz gehaltenes Deckenkonstrukt mit leicht funkelnden Elementen sorgt für den festlichen Gala-Rahmen. Bis auf einen Mann hinter seinem Bassinstrument ist niemand mit einer Maske auszumachen bei den Orchestermitgliedern. Und über das Mikrofon-Wirrwarr eines Schweizer Radiosenders sieht man geflissentlich hinweg.

Piotr Beczała – Foto © Johann Ifkovits

Bevor die zwei Sänger-Herzen im Dreivierteltakt schwelgen können, lässt Luisi Franz Lehárs Walzer Gold und Silber mit entfesselter Kraft erklingen und legt mit diesem prächtigen Auftakt gleich das Fundament, auf dem sich während zwei Stunden bekannte und weniger bekannte Glückseligkeiten aus der Operettenwelt ausbreiten können. Nylund, eine der angesagtesten Wagner- und Strauss-Sopranistinnen, beginnt stimmlich auffallend zurückhaltend mit der Schmachtballade Du sollst der Kaiser meiner Träume sein aus der Operette Der Favorit von Robert Stolz. Auch bei Lehárs sehnsüchtigem Vilja-Lied aus Die lustige Witwe taucht kurz der Gedanke auf, wo bleibt die Kraft? Ganz anders Piotr Beczała: Sein Lehàr mit Gern hab ich die Frau’n geküsst aus Paganini jagt wohlige Kälteschauer den Rücken rauf und runter. Die Stärke im Forte ist gezielt und ausgewogen zugleich, seine Melodiebögen sind elegant charmant und der samtene Schmelz in seinem unverkennbaren Strahletenor hat den perfekten Wärmegrad. Erste Jubelrufe sind ihm sicher.

In Franz Lehárs Das Land des Lächelns, in Zürich szenisch unlängst mit Beczała besetzt, begegnen sich die beiden Künstler mit dem Duett Wer hat die Liebe uns ins Herz gesenkt auf Augenhöhe. Nylund dreht im Volumen hörbar auf, ohne dabei in Kundrys schrille Welten abzudriften, und setzt beim Csárdás aus Johann Strauss‘ Die Fledermaus noch einen oben drauf, ein satter Juchzer inklusive. Der Saal kocht, und Nylund lächelt siegesgewiss. In der Folge entsteht ein kleiner neckischer Wettbewerb zwischen dem Zaubertenor und der stimmstarken Sopranistin. Piotr Beczała legt für Komm, Zigány aus Emmerich Kálmáns Gräfin Mariza ein Scheit nach und lässt seine Stimme förmlich glühen vor Leidenschaft. Im Uhrenduett aus der Fledermaus singen sich beide in Hochform wie zwei Sparringpartner im nicht ganz ernst gemeinten Boxring. Der Clou ist dann eindeutig das Angebot einer jener blauen Hygienemasken von Beczała an Nylund, die die Auserwählte unter lautem Gelächter des Publikums mit den Worten Wir sind absolut maskenfrei dankend ablehnt.

Die gut informierten Zuschauer sorgen in der Pause selbst für den Prosecco, indem sie ihn im Handtäschchen ins Haus schmuggeln. Die Gastronomie ist nämlich Corona-bedingt geschlossen.  Die zweite Hälfte dieses auserlesenen Potpourris lässt ebenso wenig eine Verschnaufpause aufkommen. Höhepunkt reiht sich an Höhepunkt, darunter Beczałas inbrünstig vorgetragene Hymne Freunde, das Leben ist lebenswert aus Lehárs Giuditta oder der einstige Richard-Tauber-Klassiker Dein ist mein ganzes Herz. Umso feuriger dann Nylunds sprühender Einsatz für Hör ich Zigeunergeigen aus Kálmáns Gräfin Mariza. Auch selten Gehörtes hat Platz in diesem aufreizenden Finale wie etwa das lyrische Duett Warum hast Du mich wachgeküsst aus Franz Lehárs Operette Friederike. Ein schöner Kontrapunkt zur vorangegangenen schnellen Polka Unter Blitz und Donner von Johann Strauss.

Maestro Luisi präsentiert während des ganzen Abends einen luziden und breit aufgefächerten Klangkörper, der vor Verve und Esprit nur so sprüht. Die beiden Ausnahmetalente Piotr Beczała und Camilla Nylund sind in derart bester Sängerlaune, dass so manchem im Saal der Atem stocken dürfte. Bei den jubelreichen Szenenapplause und erst recht am Schluss kann man akustisch den Eindruck gewinnen, das Opernhaus sei bis auf den letzten Platz ausverkauft. Diese Operettengala hat in mancher Hinsicht Seltenheitswert. Mögen sich die Bedingungen trotzdem schnellstmöglich ändern, auch wenn das zur Folge hat, dass die Ticketpreise wiederum in die Höhe steigen. Andreas Homoki versprüht bei seiner Ansage vor der Gala jedenfalls Optimismus, wenn er verkündet: „Wir freuen uns auf Sie im September, bleiben Sie gesund.“  

Peter Wäch