O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Herwig Prammer

Aktuelle Aufführungen

Der dressierte Mann

LE NOZZE DI FIGARO
(Wolfgang Amadeus Mozart)

Besuch am
19. Juni 2022
(Premiere am 29. Juni 2018)

 

Opernhaus Zürich

Das Opernhaus Zürich serviert zum Saisonschluss bei hochsommerlichen Temperaturen Wolfgang Amadeus Mozarts Le nozze di Figaro, und die rasant in Szene gesetzte Lesart von Jan Philipp Gloger bietet für die Hochzeit mit Hindernissen die perfekte Abkühlung. Die Regie arbeitet die Figuren in der von Testosteron getriebenen Opera buffa minutiös heraus und jagt die Protagonisten dabei durch ein nobles Patrizierhaus. Das Dirigat von Stefano Montanari ist der prickelnde Aperol Spritz, die vornehmlich jungen Solisten überzeugen hingegen nicht alle auf gleichem Niveau.

Das Erste, was man auf der Bühne sieht, sind auf schwarzen Grund gebeamte Leitlinien, wie sie heute im Zeitalter von Wokeness und MeToo schulmeisterlich vorgegeben werden. Ein Herr im Zuschauerraum enerviert sich sogleich und schimpft in spitzem Züritüütsch: „Müssen wir uns jetzt auch noch in der Oper belehren lassen?“ Schnell stellt sich jedoch heraus: Der Verhaltenskodex gehört zur Inszenierung, und er wird in den folgenden dreieinhalb Stunden noch öfters überarbeitet. Mozarts Opernspaß mit dem süffigen Libretto von Lorenzo Da Ponte wurde 1786, drei Jahre vor der Französischen Revolution, am Wiener Burgtheater uraufgeführt und wie damals herrscht auch heute eine große Verunsicherung und Instabilität und das nicht nur zwischen den Geschlechtern.

Regisseur Jan Philipp Gloger, Bühnenbildner Ben Baur und Kostümdesignerin Karin Jud entführen uns nicht in die Zeit der Guillotinen und Reifröcke, sondern in eine moderne Upperclass-Familie, die mit ihren Bediensteten irgendwo zwischen Zürichberg und Herrliberg die alte Ständeordnung aufleben lässt und mit ihr auch die Umgehung der Moral. So, wie sich damals der Adel um Etikette und Gebote foutierte und sich top-down am Personal vergriff, scheint auch in diesem Setting die implizite „Nein-heißt-Nein-Lösung“ keine Bedeutung zu haben. Regeln sind zum Brechen da, so lautet jedenfalls die Losung des getriebenen Villen-Besitzers, wäre da nicht die List und Tücke seiner gekränkten Frau, die ihn mit Hilfe des Stubenmädchens zu dressieren weiß.

Mozarts Nozze passt wunderbar ins aktuelle Zeitgeschehen, und Gloger kostet die Parallelen zwischen ehemals feudalistischer und zunehmend neojakobinischer Gesinnung aus. Im Zentrum steht der Conte di Almaviva, der ein Auge auf Susanna geworfen hat und den es keinen Deut schert, dass seine Angestellte den Diener Figaro ehelichen will. Gleichsam von der Libido gesteuert ist auch Cherubino, der bei jedem Rock in Wallung gerät und später bei einem Komplott mithelfen muss, das den untreuen Gebieter entlarven soll.

Das Tempo, das Gloger bis zum Schluss des Vierakters durchzieht, ist beeindruckend und erinnert an die irrwitzigen Komödien von Pedro Almodovar, wie er sie in den Achtzigern im Genre der Screwball-Komödie zelebriert hat. Die Damen und Herren im Stück befinden sich alle am Rande eines Nervenzusammenbruchs, denn sie werden von der Regie ohne Atempause in einem herrschaftlichen Haus vom Hinterhof über den Dienstboteneingang bis hin zum noblen Salon und hinauf aufs schummrige Dachgeschoss getrieben, wo endlich Licht ins Dunkel der offensichtlichen und geheimen Begierden eines jeden einzelnen kommt.

Gloger ist bekannt dafür, dass er seine Figuren alle Schattierungen des menschlichen Irrsinns durchleiden lässt. Schonungslos und mit Akribie legt er die Schwachstellen der Protagonisten bloß: Die Gräfin, die ihren Liebeskummer mit Wein und Tabletten ertränkt, der Graf, der sich mit seiner Libido zum Affen macht oder der Musiklehrer Basilio, der sich nur im Griff hat, wenn er seine Atemübungen kontinuierlich durchzieht. Gloger schont auch die Zuschauer nicht: Es geht unverblümt hart zur Sache, wenn Almaviva seine Hände plump auf Susannas Busen presst oder der Versöhnungssex zwischen Figaro und Susanna rhythmisch zu Mozarts Klängen stattfindet.

„Wir tun, was wir sagen“, so lautet das Motto, das anfangs mittels Kodex festgelegt wurde, doch die Regeln ändern sich wie die Wetterlage im April. Den Banneraufruf „Kampf dem Patriarchat“ nehmen sich indes die Frauen zu Herzen und setzen ihn auch um. Am Ende stehen die Herren der Schöpfung mit heruntergelassenen Hosen da und geben kleinlaut bei. Selbst der tolldreiste Cherubin muss einsehen, dass er nicht mehr weiß, was er ist und was er macht. Non so più cosa son, cosa faccio. Die Moral von der Geschicht’: Nur im Schoß einer liebenden Frau kehrt letztlich Ruhe ein. In Glogers ungestümer Lesart dürfen es auch zwei Männer sein, die ihr gemeinsames Glück finden.

Morgan Pearse startet als Figaro stimmlich verhalten mit seiner Cavatine Se vuol ballare Signor Contino, sein Bariton gewinnt jedoch mit der Zeit deutlich an Volumen und Charakter. Nuanciert ist auch sein Spiel, wenn er zum eifersüchtigen Gatten mutiert, der um die Treue seiner Susanne bangt. Der Bassbariton von Daniel Okulitch kommt nicht richtig in Fahrt, er bleibt stimmlich matt als Conte und spielt die Schattierungen dieser dankbaren Partie zu wenig aus. Pointiert sind seine Auftritte als triebhafter Adliger, wenn er vom Polo mit Helm und Reiterstiefeln nach Hause kommt und den vermeintlichen Liebhaber seiner Frau mit der Motorsäge des Gärtners aus dem Versteck aufschreckt.

Für die Sopranistin Louise Alder ist die Susanna eine dankbare Partie. Ihre Stimme hat die richtige Dosis Leichtigkeit, um Mozarts filigrane Melodielinien auszuschmücken. Selbstbewusst spielt sie die Intrigen mit und die Kerle an die Wand. Mit Anita Hartig steht der jungen Sängerin eine Sopranberühmtheit gegenüber, die im spätromantischen Fach angekommen ist. Das mag der Grund sein, warum ihre sehnsüchtige Arie Dove sono i bei momenti nicht im üblichen Maß betört, denn in Zürich hört man über weite Strecken Puccinis kraftvolle Tosca und nicht die leichtfüßige Contessa di Almaviva.

Umso empfindsamer, fast schon zerbrechlich, sind die – manchmal etwas zu leisen – Töne von Sopranistin Lea Desandre in der Hosenrolle des zappeligen Jungspunds Cherubino. Großen Applaus gibt es zurecht für die Arietta Voi che sapete che cosa è amor und danach herzhafte Lacher für die Transgender-Travestie auf Plateau-Stöckelschuhen und mit Trash-Perücke. Gloger setzt den Slapstick als Stilmittel zum Glück wohldosiert ein.

In guter Spiel- und Singlaune sind die Darsteller in den Nebenrollen. Tenor Spencer Lang ist der Musiklehrer und Hipster mit Dutt-Frisur und Hang zur Esoterik, Bassist Yorck Felix Speer gibt den aufgeblasenen Arzt Bartolo und Sopranistin Malin Hartelius hat als Marcellina viel damit zu tun, gut auszusehen in ihrem edlen Zwirn und den dazu passenden Glamour-Sabots. Formschön und glockenhell singt die junge Sopranistin Ziyi Dai als Barbarina die Arie L’ho perduta. Der Chor der Oper Zürich unter Ernst Raffelsberger gibt im vollen Personaleinsatz für den Grafen den stimmigen Ton an.

Dirigent Stefano Montanori sorgt am Pult mit der leicht erhöhten Philharmonia Zürich für einen durchweg transparenten Klangkörper und legt gleichzeitig ein atemberaubendes Tempo an den Tag. Besonders beeindruckend sind des Maestros moderne, aber durchaus stimmungsvolle Variationen der Rezitative oder wie er die Dynamik jederzeit im Griff hat und das Orchester sachte ins Piano zurückfährt. Es ist ein hochspannendes und lebendiges Dirigat, das zum verrückten Geschehen auf der Bühne passt und dieser langen Mozartoper die nötige Kurzweil verleiht.

Der Schlussapplaus ist stürmisch, aber kurz. Die einen Zuschauer wollen raus in die Sommernacht, die anderen freuen sich auf ein Glas Wein und belegte Brötchen, die diesmal zur Premierenfeier im angrenzenden Bernhard-Theater kredenzt werden. Das macht Sinn, denn Beaumarchais Der tolle Tag oder die Hochzeit des Figaro könnte genauso gut ein Stück für Volksschauspieler Erich Vock sein, der dort regelmäßig für gute Laune sorgt. Die Komödie geht nämlich problemlos als Schwank durch.

Peter Wäch