O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Aktuelle Aufführungen

Zwischen Witz und Katastrophe

DIE CSÁRDÁSFÜRSTIN
(Emmerich Kálmán)

Gesehen am
27. November 2020
(Premiere am 25. September 2020)

 

Opernhaus Zürich

Wenn ein Regisseur sich heute entscheidet, eine Operette zu inszenieren, dann bleiben ihm nur zwei Möglichkeiten des Handelns, um nachhaltigen Erfolg zu haben. Er wählt den klassischen Weg und versetzt das Publikum in Operettenseligkeit durch opulente Kostüme, reiche Ausstattung, schwülstige Libretti, champagnerselige Melodien und Pointen, die zum Schenkelklopfen einladen. Oder er fährt einen radikalen Ansatz, befreit das Werk von allem Kitsch und Dünkel, überarbeitet die Sprache und transponiert das Werk zu einer aktuellen oder zeitlosen Aussage. Nicht alle Operetten eignen sich für diesen Schnitt, die Csárdásfürstin von Emmerich Kálmán tut das zweifelsohne. Entstanden am Vorabend des Ersten Weltkrieges, steht es auch musikalisch als Sinnbild für den Fin de Siècle, dem Tanz auf dem Vulkan, dem finalen Zusammenbruch. Und genau diese Stimmung, diese Atmosphäre fängt Regisseur Jan Philipp Gloger ein, indem er den Fin de Siècle in die heutige Zeit verlegt. Es dominiert eine oberflächliche, auf materielle Vorteile bedachte Gesellschaft, in der tiefergehende Gefühle nichts mehr bedeuten. Die Welt steht am Rande des wirtschaftlichen Kollapses, immer neue Kriegsschauplätze bestimmen das aktuelle Tagesgeschehen. Der Nürnberger Schauspiel-Chef Gloger zeigt mit seiner Neuinterpretation der Csárdásfürstin am Opernhaus Zürich, dass die vermeintlich altmodische Operette durchaus ein Genre ist, dem man mit modernen Inszenierungsideen und aktueller Gesellschaftskritik begegnen kann, auch wenn Gloger die Grenzen des guten Geschmacks manchmal schon sehr weit ausdehnt. Seine Inszenierung spielt auf einer Luxusjacht namens Csárdásfürstin, auf der eine Clique von Superreichen um den Globus reist und sich die Feierlaune von den Krisen der Welt nicht verderben lassen will.

Edwin, der adlige Spross, ist ein Multimillionär, der standesgemäß mit Anastasia verheiratet ist – im Unterschied zur Originalvorlage, da sind Edwin und Stasi „nur“ verlobt. Doch seine Stasi ist eine depressive, dem Alkohol zugeneigte, hysterische Zicke, und Edwin ist ihrer überdrüssig. Sein privates Liebesglück findet er in Sylva Varescu, die zur Crew der Csárdásfürstin gehört und nebenbei mit Gesang- und Tanzeinlagen die High Society erfreut. Boni ist hier ein cooler Draufgänger-Typ amerikanischer Surfer, der für die Crew zuständig ist und sie nach Belieben auswechselt. Feri Baci, kurz Feri genannt, ist in dieser Inszenierung ein alternder Playboy, der mehr zum Zyniker geworden ist. Kein Wunder, denn Pandemien, Klimakrise, verschmutzte Meere, Überbevölkerung, Hungersnöte, all das beherrscht das aktuelle Tagesgeschehen. Warum dann nicht mit einer Luxusyacht dem Elend entfliehen, wenn man es kann? Und so düst die Yacht los, das vermeintliche Elend hinter sich lassend. In tropischen Gewässern angekommen, gibt es eine von Edwin inszenierte Südseehochzeit, in der eine Tänzertruppe den reichen Gästen eine fragwürdig touristische Südseeromantik vorspielt. Der Fruchtbarkeitstanz der Maori aus Neuseeland lässt grüßen. Und so läuft die Handlung auf zwei Ebenen in die Katastrophe. Zuerst gibt es eine Unterwasserballettnummer vor dem geschlossenen Vorhang, die durch die passende Lichtregie von Martin Gebhardt und die Videoinstallationen von Tieni Burkhalter fast wie echt wirkt und einen mit Plastikmüll verseuchten Ozean zeigt. Auch die Luxusjacht ist an einem Eisblock gestrandet, der Motor irgendwie explodiert, Titanic grüßt vielmals. Auf einer schmelzenden Eisscholle treiben Menschen vorbei, und Feri Baci gibt mit dem Arche Noah Couplet aus Kálmáns Nachfolgeoperette Die Faschingsfee mit Drehorgelbegleitung eine herrliche Einlage. Das Arche-Noah-Prinzip wird weitergeführt, und putzige, vom Aussterben bedrohte Tierpaare dürfen am Ende zusammen mit Sylva und Edwin Walzer tanzen, bevor sie alle am Plastikmüll ersticken. Eigentlich fehlt hier nur noch eine Einblendung von Greta Thunberg.

Mit dem firmeneigenen Hubschrauber sollen Edwin und Stasi gerettet werden und an einer Seilwinde hochgezogen werden, am Ende verzichtet Edwin und bleibt bei Sylva. Und das ist das krude an dieser Inszenierung. Die Dialoge sind zwar gekürzt und verändert, aber weitestgehend am Original-Sprechtext orientiert, einige Nummern sind einfach nur umgestellt. Doch die Musik und die Texte passen nicht wirklich zu diesem Setting. Das Bühnenbild von Franziska Bornkamm besticht zwar durch die gut gebaute Luxusjacht, ansonsten aber ist viel Leere auf der Bühne. Die Kostüme von Karin Jud sind teilweise exotisch, teilweise flippig, teilweise aber auch wieder konventionell. Am meisten begeistern da noch die witzigen Tierkostüme. Das Konzept von Gloger geht teilweise gut auf, teilweise ist es aber zu überdreht, weil er zu viel Gesellschaftspolitik und sozialkritische Themen auf einmal miteinander verwurschtelt, und die eigentliche Dreiecksgeschichte zwischen Edwin, Stasi und Sylva geht da im Dickicht unter.

Es ist immer die gleiche Problematik, wenn man mit aller Gewalt die Operette entstauben will und gleichzeitig dem Publikum den Gesellschaftsspiegel vorhalten will. Dann ist die Gratwanderung zwischen alberner Blödelei und ernster Kunst sehr schmal.

Gesungen wird übrigens auch noch, und das gar nicht schlecht. Annette Dasch ist eine leidenschaftliche, nach Liebe und Anerkennung suchende Sylva Varescu. Mit großer Intensität singt und spielt sie die Csárdásfürstin, und die dramatischen Ausbrüche bewältigt sie zwar mit Leichtigkeit, doch manchmal ist sie zu dramatisch, dann wirkt es mehr wie aufgesetzt. Wer große Oper singen kann, ist damit nicht zwangsläufig auch die große Operettendiva. Manchmal hat man den Eindruck, die Dasch mit dieser Partie fremdelt. Ganz anders Pavol Breslik, der mit lyrischem Tenor und viel Operettenschmelz gesanglich und optisch eine Idealbesetzung dieser Rolle darstellt. Spencer Lang gibt den Boni als Hipster, der alles cool findet, mit großem Nachhall. Kein Buffo, sondern ein ebenbürtiger Tenor mit einer sauberen und sicheren Stimmführung. Rebeca Olvera spielt als Anastasia eine eigene Persönlichkeit mit einem starken Willen, und nicht nur das liebreizende und naive Anhängsel, wenn auch neurotisch veranlagt. Ihr lyrischer Sopran kommt vor allem im Schwalbenduett mit Pavol Breslik wunderbar zur Geltung, und sie darf auch als gebürtige Mexikanerin herzhaft auf Spanisch fluchen, gar nicht Komtessen-like. Martin Zysset überzeugt als alternder Playboy mit wohltönendem Bariton und intensivem Spiel und verleiht dieser Rolle großen Ausdruck.

Die Philharmonia Zürich unter der Leitung von Lorenzo Viotti spielt einen leichten, beschwingten Kálmán, mit Dynamik und Leidenschaft, allerdings wechselt Viotti manchmal sehr stark die Tempi. Das Vorspiel ist zunächst sehr langsam und breit gedehnt, dann zieht er plötzlich wie ein Sprinter das Tempo an. Auch hier ein durchaus moderner musikalischer Interpretationsstil, der aber im Einklang zur Inszenierung steht. Janko Kastelic hat den spielfreudig agierenden Opernchor bestens eingestellt.

Die Premiere hätte eigentlich im April dieses Jahres stattfinden sollen, und zwar unter der musikalischen Leitung von Leipzigs GMD Ulf Schirmer. Dann kam Corona, alles stand still. Im Spätsommer wurden die Proben wieder aufgenommen, aber zur Premiere am 25. September konnte Schirmer aus terminlichen Gründen nicht mehr, und Viotti übernahm den Taktstock. Die Aufzeichnung zeigt ein fast voll besetztes Opernhaus, allerdings mit Maskenpflicht während der Aufführung für die Zuschauer, aber ohne Sicherheitsabstand. In Deutschland undenkbar. Dafür sind Orchester und Chor nicht im Opernhaus, sondern im etwa einen Kilometer entfernten Probenhaus Corona-gerecht aufgestellt. Die Übertragung ins Opernhaus via Glasfaserkabel erfolgt in Echtzeit, die Musik ertönt aus Lautsprechern. Ein durchweg interessantes Konzept, das die Oper Zürich da präsentiert, denn dadurch ist doch so etwas wie Live-Feeling auch für den Zuschauer am Bildschirm zu verspüren.

Am Ende bleibt ein zwiespältiges Gefühl zurück. Einerseits durchaus Anerkennung für den interpretatorischen Ansatz und die musikalische und sängerische Umsetzung, andererseits hat man das Gefühl, diese Operette ist thematisch so ausgequetscht worden wie eine Zitrone.

„In der Csárdásfürstin tauchen Zeilen auf wie Mag die ganze Welt versinken, hab ich dich oder Hurra, man lebt ja nur einmal, und einmal ist keinmal. Das Stück weiß um die nahende Katastrophe, überspielt sie aber und thematisiert gleichzeitig die Verdrängung. Sorglos über die Verhältnisse zu leben, ist für mich ein markantes Kennzeichen unserer Gegenwart. Und die Pandemie lehrt uns jetzt, dass solche Sorglosigkeit völlig unangemessen ist angesichts der globalen Probleme, denen wir uns gegenüber sehen. In der Csárdásfürstin wird alles Krisenhafte vom Tisch gewischt, wenn Graf Boni singt Ganzes Dasein ist ein Schmarren, Freunderl sei gescheit, heut’ in fünfzig Jahren leben andere Leut’. Das heißt doch nichts anderes als: Lasst uns jetzt leben und nicht an zukünftige Generationen denken. Das ist genau das, was Greta Thunberg und ihre Bewegung den politisch Handelnden vorwerfen. Zur Entstehungszeit der Csárdásfürstin war die Katastrophe der Erste Weltkrieg, heute werden wir von Pandemien heimgesucht, an deren Ausbruch die Zivilisation ja nicht ganz unschuldig ist. Es schmelzen die Polkappen, die Ozeane sind vermüllt, mächtige Männer veranstalten politischen Irrsinn, die Schere zwischen Arm und Reich geht immer weiter auseinander, ein entfesselter Finanzkapitalismus entzieht sich der gesellschaftlichen Verantwortung usw. Als wir uns das Inszenierungskonzept ausgedacht haben, gab es Corona natürlich noch nicht.“ Hat Gloger selbst über seine Inszenierung im Vorfeld gesagt.

Das sind starke Worte und sicher gut gemeint, aber mit politischen und sozialkritischen Statements kann man nicht jede Operette in ein Sozialdrama verwandeln. Der eigentliche Kern, eine tiefsinnige Unterhaltung, sollte und darf nicht zu kurz kommen. Überspitzte Blödeleien dürfen sein, aber bitte schön alles im Rahmen. „Tolle Csárdásfürstin, aber nicht von Kálmán, bittschön das Eintrittsgeld zurück!“, hätte wahrscheinlich Marcel Prawy gesagt.

Andreas H. Hölscher