O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Harmonischer Chorklang

WEIHNACHTSORATORIUM
(Johann Sebastian Bach)

Besuch am
3. Dezember 2023
(Einmalige Aufführung)

 

Wuppertaler Kurrende, Historische Stadthalle Wuppertal

In Wuppertal ist seit Generationen zur Advents- und Weihnachtszeit die Aufführung von Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium – ganz oder in Teilen – Kult. Es sprüht vor Freude und Jubel, ist das Startzeichen für festliche Stimmung. Aber nicht nur deswegen sind die sechs Kantaten so populär. Der Komponist verarbeitet nämlich darin meisterhaft die damals gängigen Stile wie Rezitativformen, den Umgang mit Chormusik von Chorälen bis hin zu Turba, also Gesang von Menschengruppen, Gestaltung von Arie und Arioso, die zusätzlich in ihren Bann schlagen. Man kennt sich also aus und hat nur ein müdes Lächeln dafür übrig, wenn wie in diesem Jahr ein Ankündigungstext für eine andere Aufführung dieser vertonten Weihnachtsgeschichte in der Stadt im Internet veröffentlicht ist, der abfällig anmutet: „Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium gehört zu Weihnachten, ja wie Last Christmas von Wham! oder Mariah Careys All I want for Christmas is you … Bach greift hier tief hinein in die barocke Kompositions-Trickkiste … Dass ausgerechnet der berühmte Eingangschor Jauchzet, frohlocket eine Zweitverwertung von Bachs eigener weltlicher Kantate Tönet, ihr Pauken! Erschallet, Trompeten! ist, tut der mitreißenden Wirkung der Musik keinen Abbruch. Zumal das Weihnachtsoratorium auch sonst zahlreiche Hits bereithält, darunter der virtuose Wettstreit von Bass und Trompete in der Arie Großer Herr, o starker König. Frohes Fest!“ Wird darin also das gehaltvolle Opus des barocken Meisters auf die gleiche Stufe mit Pop-Gassenhauern gestellt, die mit komplexer Polyphonie und einem kunstvollen Umgang mit Harmonien nichts zu tun haben? Auch war damals eine Zweitverwertung en vogue. Dabei handelt es sich um das sogenannte Parodieverfahren. Nicht nur Bach, ebenfalls Georg Friedrich Händel oder Joseph Haydn benutzten diese Technik, um eigene Kompositionen abzuändern, für andere Intentionen zu verwenden. Auch wurden sie mit einem anderen Text ausgestattet. Das Fachwort dafür lautet Kontrafaktur. Rund ein Drittel der Nummern des Weihnachtsoratoriums stammt aus anderen Tondichtungen. Das Großartige daran ist, dass sämtliche Umgestaltungen wie die Faust aufs Auge zu den Gemütsbewegungen und Bildern im Weihnachtsoratorium passen.

Lukas Baumann – Foto © O-Ton

Kurzum: Die Wuppertaler lassen sich von solchen Beiträgen nicht beeindrucken. So ist der Große Saal der Historischen Stadthalle fast ausverkauft, als pünktlich am ersten Advent die Wuppertaler Kurrende die Kantaten eins bis drei und sechs des bedeutenden Werks aufführt und für schöne Festtagsstimmung sorgt. Dafür hat sich der Knabenchor, der im März nächsten Jahres seinen 100. Geburtstag feiert, mächtig ins Zeug gelegt, indem er namhafte Instrumentalisten und Sänger für das Projekt verpflichtet hat. Zum einen ist aus Breslau der von Malgorzata Podzielny vorzüglich einstudierte NFM Boys‘ Choir angereist. Beide Chöre präsentieren sich als große harmonische Einheit, singen bis auf kleine Ungenauigkeiten bei der vertrackten Turba-Passage „Lasset uns nun gehen gen Bethlehem“ sehr ausgewogen. Adäquat festlich werden die Eingangs- und Schlusschoräle vorgetragen, schlicht-elegant die Kirchenlieder inmitten der Kantaten. Traumhaft schön kommt im Pianissimo Ich steh an deiner Krippen hier von der Bühne.

Für gediegen-barocke Klänge sorgt aus der benachbarten Domstadt das Concerto Köln. Es wird seinem exzellenten Ruf, abgesehen von einer etwas zu lauten Pauke am Anfang und kleinen Tonungenauigkeiten seitens der Blechbläser bei ein paar schnellen Abschnitten, voll gerecht. Mit einem geschmeidigen musikalischen Fluss bringen die Musiker mit ihren barocken Instrumenten etwa die Sinfonia eingangs der zweiten Kantate nuanciert zu Gehör und begleiten Chöre wie Gesangssolisten sehr sensibel.

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Marie Henriette Reinhold glänzt mit einem warm-beseelten, verständlich artikulierten, stets tragfähigen Mezzosopran. Stimmungen und Textinhalte bringt sie elegant und packend zur Geltung. Etwa rührt ihr Vortrag der Arie Schließe, mein Herze ungemein an. Markus Schäfer kann mit seinem kräftigen Tenor als Erzähler überzeugen. Nur sind die Registerübergänge nicht immer geschmeidig. Auch klingen die Sprünge in die Höhe angestrengt. Seriös ist der Bariton von Thomas Laske. Souverän und mit klarer Diktion gestaltet er seine Partien angemessen nachdrücklich. Ausdrucksstark ist auch Julia Sophie Wagners heller Sopran, doch nicht immer mustergültig hörbar und im hohen Register ein wenig fest. So kommt sie im Duett Herr, dein Mitleid wegen Laskes ausgewogen-kräftiger Stimme nicht voll zur Geltung.

Dabei lotst Lukas Baumann, musikalischer Leiter der Wuppertaler Kurrende, umsichtig durch die Partitur. Dank seines mitatmenden Dirigats können sich die Choristen und Solisten jederzeit bei ihm aufgehoben fühlen und gelassen ihre Partien darbieten.

Die Besucher zeigen sich hellauf begeistert und bedanken sich für die überwiegend schlüssige Aufführung zurecht mit langanhaltenden stehenden Ovationen.

Am Ersten Weihnachtsfeiertag schließt sich der Kreis in der Historischen Stadthalle. Dann stehen neben den Kantaten eins und sechs die am heutigen Abend nicht gespielten Nummern vier und fünf des Weihnachtsoratoriums auf dem Programm. Aufgeführt werden sie von Sinfonieorchester Wuppertal und Konzertchor Wuppertal unter der Leitung von Thorsten Pech, ein ausgewiesener Experte bezüglich historischer Aufführungspraxis. Bestimmt ist dann das Auditorium erneut ausgezeichnet besucht. Denn so war es schon immer an diesem Feiertag, wenn Musik von Bach präsentiert wird.

Hartmut Sassenhausen