O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Björn Hickmann

Aktuelle Aufführungen

Stimmiger Gegensatz

VORSPIEL ARIADNE AUF NAXOS/HERZOG BLAUBARTS BURG
(Richard Strauss, Béla Bartók)

Besuch am
8. Mai 2022
(Premiere)

 

Wuppertaler Bühnen, Opernhaus

Groß besetztes Musiktheater war wegen Corona und den damit verbundenen strengen Abstandsregeln seit über zwei Jahren nicht drin. Also mussten während dieser Zeit Konzepte umgeschmissen und neue Programme entwickelt werden. Mit Béla Bartóks Einakter Herzog Blaubarts Burg wurde man fündig, kommt es doch mit wenig Personal auf der Bühne und im Orchestergraben aus. Landauf, landab wurde er auf die Bühnen gehoben. In Wuppertal war man sogar noch fleißiger, indem dem Stück das Vorspiel der Oper Ariadne auf Naxos von Richard Strauss vorangestellt werden sollte. Doch aus der Premiere im Oktober 2020 wurde wegen der Pandemie nichts. Die Türen mussten wegen des Lockdowns geschlossen bleiben. Aber getreu der Redensart „Was lange währt, wird endlich gut“ ist der Doppelabend mit zwei unterschiedlichen Regie-Handschriften nun verspätet zu erleben.

Es ist viel los auf der Bühne bei dem Strauss-Vorspiel, die neben zwei Tischen mit Gläsern nur aus den haushohen Buchstaben N-A-X-O-S besteht. Dass N besteht aus Tonnen, die schwarz angestrichen werden. Am meistens flach liegenden goldenen A wird herumgewienert. Das X setzt sich aus Absperrgittern zusammen, auf denen Konterfeis angebracht sind. Das O entpuppt sich ovales Schlauchboot. Und das S ist mit grün-blauem Glitter überzogen. Drumherum legen elfengleiche Tänzerinnen im weißen Ballett-Outfit eine anmutige Sohle aufs Parkett. Comic-Figuren kommen und gehen. Auch die Protagonisten stehen nicht still. Dabei kommt Zerbinetta, die dem männlichen Geschlecht zugetan ist, lebenslustig und selbstsicher daher. Die Primadonna ist ganz eine affektierte Diva, wie sie im Buche steht. Musiklehrer, Tanzmeister und in dieser Sichtweise die Komponistin tragen gestenreich den großen Konflikt zwischen E- und U-Musik aus. Nicht aus der Ruhe bringen lässt sich der seriöse Haushofmeister, der die Anordnungen des Grafen verkündet. Zunächst ist es die bekannte Entscheidung, die seriöse Oper und das Tanzspiel gleichzeitig aufzuführen. Neu ist, dass schließlich die Vorstellung komplett gestrichen wird, was die sofortige Entfachung des Feuerwerks zur Folge hat. Diese Änderung macht Sinn. Denn sie macht deutlich, dass das Ariadne-Vorspiel nichts mit dem anschließenden Geschehen zu tun hat.

Ist die Inszenierung von Bernd Mottl unterhaltsam und kurzweilig, geht es anschließend nachdenklich, tiefgründiger, viel ruhiger weiter. Auf den Zeitgeist gemünzt hat Philipp Grigorian Bartóks einzige Oper. Schummrig beleuchtet ist das dunkle Gemach mit einem Krankenbett und einer Sitzgelegenheit, in dem der sterbenskranke greise Blaubart haust. Er hängt zwischenzeitlich am Tropf und wird von einer Krankenschwester betreut. Judith entpuppt sich als seine verloren geglaubte Tochter, die natürlich alles von und über ihn wissen will. Es gibt nur eine Tür, durch die gekommen und gegangen wird. Statt der sieben anderen Eingänge zu den Zimmern mit ihren Geheimnissen sind es Aktenordner, aus denen alles hervorgeht. Deren Inhalte befinden sich hinter einer Fensterwand, die an den betreffenden Stellen hochgefahren wird. In der Folterkammer befinden sich viele Tote. Die Waffenkammer ist der Abschussschacht einer Interkontinentalrakete, in dem sich ein Kinderwagen befindet. Eine Erdölpumpe kommt zum Vorschein, über der in einem Netz von einer Ölpest getöteter Vogel projiziert wird. Eine Herrlichkeit ist ein prunkvolles weißes Blumenkleid unter einem edlen Kronleuchter. Dann badet Blaubart mit ausgebreiteten Armen in grell-weißem Lichterglanz. Die drei Frauen sind hier die Mutter und Frau Blaubarts sowie die Mutter Judiths. Sie sitzen am Ende einträchtig an einem Servierwagen zu denen sich Judith hinzugesellt und mit ihnen mit Schnaps anstößt. Der vom Komponisten in der Partitur veröffentlichte gesprochene Prolog passt nicht zu der ganzen Tragik und Andeutungen vom schrecklichen Krieg dazu. Denn darin wird darauf hingewiesen, dass eine Bühne mit Menschen, Ort, Zeit und Topografie nicht wichtig sind. Dagegen spiegelt die schlüssige, moderne Sichtweise Aktualitäten wider. Also verliest stattdessen ganz zu Anfang Blaubarts Mutter alias Christine Kättner ein von ihr verfasstes Schreiben, in dem sie ihren Sohn – wie es Mütter halt so tun – über den grünen Klee lobt, ihn zu einem guten Jungen erzogen hat und sich wahnsinnig über das undankbare Pack und den ganzen über ihn geschriebenen Mist aufregt. Tja, es stellt sich aber heraus, dass das Pack Recht hat.

Sämtliche Sänger zeigen sich bestens disponiert. Der Mezzosopran von Catriona Morison ist strahlend ausdrucksstark und vermittelt glaubhaft eine selbstbewusste Komponistin, die sich nicht von ihrem Standpunkt abbringen lässt. Die Sopranstimmen von Mercy Malieloa als Primadonna und Anne Martha Schuitemaker als Zerbinetta sind sicher und ausgewogen in allen Stimmlagen. Bariton Simon Stricker ist der Haushofmeister, Tenor Mark Bowman-Hester der Tanzmeister. Beide und die Personen der kleineren Rollen sind diesen stimmlichen Qualitäten ebenbürtig. Ralf Lukas ist ein profunder Bassbariton, der als Musiklehrer hartnäckig mit einer fest zupackenden Tongebung die ernste Musik vertritt. Außerdem bringt er dank seiner beweglichen Stimme die vielschichtigen Seelenzustände Herzog Blaubarts überzeugend zum Ausdruck. Auf dem gleichen hohen sängerischen Niveau von Lukas bewegt sich Mezzosopranistin Khatuna Mikaberidze. Darstellerisch und gesanglich ist sie leicht verständlich die suchende Tochter Judith mit all ihren Emotionen von himmelhochjauchzend bis abgrundtief betrübt.

Das Sinfonieorchester Wuppertal spielt fein auf, lässt nuancierte, klangfarbenreiche, ausgewogene Klänge aus dem Graben kommen, die die große Vielfalt der musikalischen Strukturen deutlich zum Ausdruck bringen. Dabei lotst Wuppertals Generalmusikdirektor Patrick Hahn die Musiker umsichtig durch die Partituren. Der junge Dirigent könnte nur etwas sensibler an der dynamischen Balance zwischen Bühne und Graben feilen. Denn bei lauten Passagen dominiert die Musik gegenüber den Sängern, die ihre durchweg tragfähigen, sattelfesten Stimmen forcieren müssen, um sich durchzusetzen. So geraten notgedrungen die Gesänge manchmal ein wenig schrill.

Mit begeistertem Beifall wird das Ariadne-Vorspiel honoriert, gespickt mit lauten Rufen von etwa einer Handvoll Fans, die denen von Claqueuren ähneln. Und für die außergewöhnliche Blaubart-Sichtweise gibt es sogar verdientermaßen langanhaltende, stehende Ovationen. Es lohnt sich, diese nicht alltäglichen Inszenierungen kennenzulernen. Es ist dem Doppelabend zu wünschen, dass bei den nächsten Vorstellungen mehr Freunde des Musiktheaters das Wuppertaler Opernhaus als bei der Premiere aufsuchen.

Hartmut Sassenhausen