O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Björn Hickmann

Aktuelle Aufführungen

Gesangliche Galavorstellung

LA TRAVIATA
(Giuseppe Verdi)

Besuch am
26. Februar 2023
(Premiere)

 

Wuppertaler Bühnen, Opernhaus Wuppertal

Wuppertals scheidender Opernintendant Berthold Schneider fällt ein Stein vom Herzen, dass die die Tragödien letzten drei Jahre vorbei sind: „So etwas möchte ich nie wieder erleben“. Es waren nicht nur die Corona-Beschränkungen, die bereits komplett fertig gestellte und geprobte Produktionen an Aufführungen auf der Opernbühne hinderten. Hinzu kam das Hochwasser im Juli 2021, das unter anderem den Orchestergraben des Opernhauses in einen Swimmingpool verwandelte. Als Notlösungen dienten Ausweichspielstätten oder konzertante Aufführungen, wie die der Traviata im vorletzten Jahr in der Historischen Stadthalle. Doch was lange währt, wird endlich gut: Endlich ist Giuseppe Verdis populäre Oper im altehrwürdigen Haus im Stadtteil Barmen zu sehen und zu hören. Und um es gleich vorwegzunehmen: Man kommt voll auf seine Kosten.

Nigel Lowery, in Personalunion Regisseur, Bühnen- und Kostümbildner, belässt die Handlung in der Entstehungszeit des Stücks, also Mitte des 19. Jahrhunderts. Ein edler Salon eines Prunkbaus und eine prächtige Flaniertreppe im Hintergrund sind die Orte, an denen die High Society ausgelassen rauschende Partys feiert und dem Glücksspiel frönt. Als krasser Gegensatz dazu entpuppt sich Violettas und Alfredos Landhaus als ein Zentrum einer sozialistischen revolutionären Vereinigung, als wolle Lowery dadurch an den Komponisten als einen politischen Menschen in der Epoche des Risorgimento – also die Zeit Italiens zwischen 1815 und 1870 mit dem Bemühen um eine Bildung eines unabhängigen Nationalstaats – gemahnen. Historiker und Musikwissenschaftler sind noch zu keinem eindeutigen Schluss gekommen, ob Verdi in seinen Werken solche Bestrebungen verarbeitet hat. Seine Oper Nabucco wird deswegen oft in diesem Zusammenhang als Beispiel angeführt. Es überwiegt jedoch die Meinung, dass viel zu viel Politik hineininterpretiert wird.

Neben dem opulenten Bühnenbild und den dem damaligen Zeitgeist entsprechenden, schön anzusehenden schillernden, bunten Kostümen geht es aber in der Hauptsache um das menschliche Drama. Wenn Dottore Grenvil als Tattergreis gleich zu Beginn wie auch zwischendurch von links nach rechts auf einen Stock gestützt über die Bühne lahmt, so als wäre Freund Hein ganz in seiner Nähe, wird latent das tragische Ende vorweggenommen. So ist es konsequent, dass Violetta in seinen Armen ihren letzten Lebenshauch von sich gibt. Die an Edvard Munchs Gemälde Der Schrei erinnernden, an die Wände gemalten Köpfe kommen hinzu. Der auf den Feiern durch die Gegend wuselnde Schmetterling als bekanntes Synonym für die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, weist ebenfalls unnachgiebig auf das Ende hin. Auch das Erscheinen eines Dämons in einem roten Mantel als Stellvertreter des Satans überrascht angesichts der bigotten Gesellschaft nicht.

Die Charaktere werden wunderbar detailgetreu nachgezeichnet. Die Personenführung ist exzellent. Nie lässt die Spannung auf der Bühne nach. Sämtliche Akteure lassen darstellerisch und gesanglich keine Wünsche offen. Bereits konzertant lieferte Ralitsa Ralinova ein brillantes Rollendebüt als Violetta ab. Auch jetzt nimmt man ihr die an Schwindsucht leidende Kurtisane voll ab. Einfühlsam taucht sie ein in die mannigfaltigen Seelenzustände. In allen Registern locker ist ihr variabler Sopran. Absolut sauber, wie spielerisch leicht kommen ihre Koloraturen daher. Dieser hohen Güte steht Simon Stricker mit seinem Rollendebüt als Giorgio Germont in nichts nach. Sein seriöser Bariton spiegelt glaubhaft einen alles und jeden bestimmen wollenden, kompromisslosen Patriarchen wider, für den der gute Leumund der Familie über alles geht. Sein in Violetta unsterblich verliebter Sohn Alfredo ist Sangmin Jeon. Glaubhaft taucht er ein in die Wechselbäder der Gefühle und zeigt heißblütige Liebesbekundungen, tatkräftige Entschlossenheit oder abgrundtiefen Schmerz. Profund, strahlend, nuanciert ist sein Tenor, der vorzüglich zu der komplexen Rolle passt. Auch die anderen Partien überzeugen ausnahmslos mit tragfähigen und ausgewogenen Stimmen: Hyejun Kwon als Flora, Anna-Christine Heymann als Annina, Mark Bowman-Hester als Gastone oder Sebastian Campiona als Dottore. Vortrefflich von Ulrich Zippelius einstudiert, glänzen außerdem stimmgewaltig Chor und Extrachor der Wuppertaler Bühnen.

Jederzeit können sich die Sänger dank seines mitatmenden Dirigats bei Johannes Witt aufgehoben fühlen. Akribisch achtet er auf eine ausgewogene, dynamische Balance zwischen ihnen und dem Sinfonieorchester Wuppertal. Schlank, differenziert und fein phrasiert kommt die Musik aus dem Graben, der hin und wieder getrost ein etwas festerer Zugriff nicht schadete.

Das Premierenpublikum im voll besetzten Auditorium spendiert zu Recht nach etlichen der großartigen sängerischen Leistungen viel Zwischenapplaus. Schließlich sind nicht enden wollende stehende Ovationen der verdiente Dank für hohe Gesangskunst und eine kurzweilige Inszenierung.

Nach dieser gesanglichen Galavorstellung des Wuppertaler Opernensembles kann man gespannt darauf sein, was ab der nächsten Spielzeit kommt. Denn die designierte Opernintendantin Rebekah Rota hat angekündigt, so gut wie alle Verträge nicht verlängern zu wollen.

Hartmut Sassenhausen