Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
TALES
(Diverse Komponisten)
Besuch am
4. Februar 2023
(Einmalige Aufführungen)
Seit 1996 wird in Wuppertal allmonatlich, abgesehen von den Theaterferien, an einem Samstag zum „Nachtfoyer“ eingeladen. Damals gab der Jazzliebhaber Holk Freytag – bis Ende der Spielzeit 1995/96 Generalintendant der Stadt und anschließend bis 2001 Schauspielintendant des Schillertheaters NRW – Wolfgang Schmidtke sein Einverständnis für die beliebte Konzertreihe. Damals begannen im Foyer des Schauspielhauses die Veranstaltungen getreu des Namens recht spät um 22 Uhr. Selten war vor Mitternacht Schluss. Trotz der vorgerückten Stunde zog es die Jazzfreunde in Scharen dorthin, die so oft für ein ausverkauftes Haus sorgten. Ende Juni 2013 wurde das unter Denkmalschutz stehende Gebäude an der Kluse geschlossen. Das Nachtfoyer blieb am Leben, zog nach einer Interimsphase in der Kulturgastronomie Café Ada ins Kronleuchterfoyer des Opernhauses um, wo es bis heute, nun ab 21 Uhr, für hochkarätige Events sorgt. Manche sprechen nicht zu Unrecht von Meisterkonzerten des Jazz. Nach wie vor zeichnet der renommierte Saxofonist und Komponist Schmidtke dafür verantwortlich, der in der Szene ausgezeichnet vernetzt ist. Unter anderem gaben sich weltberühmte Künstler der improvisierten Musik die Klinke in die Hand, darunter Joachim Kühn, Louis Sclavis, Aki Takase, Horace Parlan, Alan Skidmore, Alexander von Schlippenbach, Gerd Dudek oder Peter Brötzmann. Dazu gehört nun auch seit dem jüngsten Konzert der Trompeter und Komponist Markus Stockhausen, der mit seiner Band für spannende Kurzweil sorgt.
Das drei Silberscheiben umfassende Album Tales, erschienen Ende August 2021, hat er mit im Gepäck. Sind auf zwei von ihnen reine Improvisationen verewigt, besteht der erste Silberling aus Kompositionen Stockhausens. Davon stellen der weltweit berühmte Flügelhornist und Trompeter sowie seine drei ebenfalls hoch angesehenen Kollegen vier Titel vor. Außerdem sind neue Stücke aus der Feder des Pianisten Jeroen van Vliet und des Cellisten Jörg Brinkmann dabei, die an den Aufbau, die musikalische Form und Sprache von Tales anknüpfen. Wie im tradierten Jazz üblich, werden nach einem Intro oder direkt am Anfang Themen vorgestellt. Doch improvisieren hier die Musiker weniger nach bekanntem Muster nacheinander darüber, um ihre musikalische Kreativität und virtuose Klasse zu demonstrieren. Klassisch ist nur, dass sich bei A smile Stockhausen und Schlagzeuger Christian Thomé mehrmals hintereinander gegenseitig musikalische Spielbälle zuwerfen. Vielmehr geht das Quartett gemeinsam ad hoc wie in einer Durchführung der klassischen Sonatenhauptsatzform mit dem Ausgangsmaterial, entwickelt und verarbeitet es klanglich, rhythmisch, variationsreich bis hin zur Reprise. Wie Kammermusiker interagieren die vier Musiker und achten konzentriert aufeinander. Basis sind überwiegend sangliche Melodien, die Reibungen, Gegensätze, Kontraste und Konflikte vermeiden, dennoch keine schöne, heile Welt vorgaukeln. Mal nehmen sie meditative, kontemplative, schlicht-verträumte wie freudig-beschwingte Züge an. Dann wiederum muten sie schwerelos, transzendent, entrückt an.
Dabei ist für den Sohn des legendären Komponisten Karlheinz Stockhausen, der für ihn viele Werke komponierte, seine brillante, hochvirtuose Trompetentechnik nie Selbstzweck. Seine glasklare Tongebung an den drei Blechblasinstrumenten – Trompete, Piccolotrompete und als Hauptinstrument das Flügelhorn – ist selbst in rasend schnellen Passagen entspannt, vom Pianissimo bis zum Fortissimo stets rund-sonor in der Tiefe und ohne schrille Schärfen in den höchsten Tongefilden. Auch spielt er, der nach einer rund 25-jährigenr Zusammenarbeit mit seinem Vater seit 2001 hauptsächlich mit eigenen Projekten außerordentlich erfolgreich unterwegs ist, sich nie in den Vordergrund. Einhergehend mit über ein Mikrofon angeschlossene und über einen Computer gesteuerte Effektgeräte wie Hall, Delay oder Sampler spielt er zwischendurch mit sich selbst oder führt den Trompetenklang auf eine höhere Ebene. Er kooperiert, interagiert, harmoniert kammermusikalisch, integriert jenseits seiner Soli die Trompetenklänge sensibel in die musikalischen Entwicklungen seiner Kollegen, die ebenfalls Meister ihres Fachs sind.
Cellist Jörg Brinkmann sorgt mit seiner stupenden klassischen und modernen Spieltechnik für ein gediegenes Bassfundament. Dank seiner sensiblen Bogenführung oder der Aneinanderreihung von Flageolett-Tönen wie Pizzicati kreiert er packende musikalische Linien. Jeroen van Vliet sorgt für dezente Klangflächen und sorgfältige Akkordrückungen teils in Sekundschritten, die hin und wieder Tonalitäten auflösen hin zu rein sphärischen Klangteppichen. Last but not least ist es Christian Thomé, der seinen Trommeln, Becken und dem mannigfaltigen Perkussionsinstrumentarium mittels Händen, Fingern, Bogen, Drumsticks und Besen feingliedrige, schattierungsreiche Geräusche, Töne, komplexe rhythmische Strukturen entlockt.
Kongenial harmonieren die vier Musiker. So kommen die insgesamt zehn Nummern wie Sunday morning, Falling Stars, Grace oder Warmes Licht wie in sich geschlossene, intime Geschichten aus einem Guss daher. Nur einmal, ganz zum Schluss, geht es mit viel Groove und Drive rockig-wild zur Sache.
Für den nicht enden wollenden, frenetischen Beifall bedankt sich die Markus Stockhausen Group mit There is always hope von der ersten Tales-Scheibe als Zugabe. Der Titel ist Programm. Wie Stockhausen anmoderiert, ist es, „egal, wie es aussieht auf der Erde“, die Hoffnung, die nicht stirbt. Also kommt zu guter Letzt das Stück schlicht, friedvoll, wie ein schönes Abendständchen von der Bühne.
Hartmut Sassenhausen