Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
QUEMPAS
(Diverse Komponisten)
Besuch am
16. Dezember 2023
(Premiere)
Die Adventszeit ist in Wuppertal ohne den Quempas nicht vorstellbar. Dafür, dass sich der rund fünfhundert Jahre alte Brauch auch heute noch allgemeiner Beliebtheit erfreut, sorgt seit Generationen die Wuppertaler Kurrende an vier Tagen vor Weihnachten. In diesem Jahr sind die Veranstaltungen jedoch um die Hälfte reduziert, weil der Knabenchor kurz zuvor ein großes Konzert mit vier Kantaten aus Johann Sebastian Bachs Weihnachtsoratorium gegeben hat. Angesichts des immensen Andrangs am ersten der beiden Tage kann durchaus empfohlen werden, dass es bei der Ausnahme bleibt. Rappelvoll ist die Unterbarmer Hauptkirche. Vom kleinen Kind bis hin zu stark ergrauten Erwachsenen sind sie alle gekommen, um daran teilzunehmen.
An vier Stellen am linken und rechten Rand des Kirchenraums nehmen die jüngsten Kurrendaner, also Mitglieder der Nachwuchschöre, mit brennenden Kerzen in der Hand Aufstellung. Sie singen nacheinander je eine Zeile der ersten Strophe des Weihnachtslieds Den die Hirten lobete sehre – auf Lateinisch im Original: Quem pastores laudavere. Übrigens setzt sich das Wort Quempas aus den ersten beiden Silben des altsprachlichen Anfangs zusammen. Dann stimmt der Konzertchor den ersten Vers des zweiten Weihnachtslieds Heut sein die lieben Engelein – auf Latein: Nunc angelorum gloria – an. Anschließend psalmodieren die Besucher den „Tropus“ genannten Refrain „Gottes Sohn ist Mensch geborn“ – im Original: „Christus, nate hodie ex virgine“. So geht es weiter mit den anderen drei Strophen. Genau wie anno dazumal wird dieses Brauchtum gepflegt. Die Wuppertaler kennen die Überlieferung aus dem Effeff und machen beseelt eifrig mit. Anschließend dürfen sich die ganz jungen Gesangsschüler vor den Konzertchor stellen und haben nun ihren ersten großen öffentlichen Auftritt. Unter der engagierten Leitung ihrer Lehrerin Caroline Huppert bringen sie in Anwesenheit ihren stolzen Familienangehörigen Maria durch ein Dornwald ging und Das Licht einer Kerze stimmlich zwar noch nicht perfekt, aber außerordentlich ergreifend zu Gehör.
Davor überzeugt der Konzertchor mit einer großen Palette an Liedern von der Gregorianik bis zur Moderne – allseits bekannte, aber auch weniger geläufige vorwiegend sakrale Weisen. Drei O-Antiphone, die der zeitgenössische englische Komponist Robert Page in ein neues musikalisches Gewand gekleidet hat, sind darunter. Benjamin Brittens A Hymn to the Virgin wird nicht außer Acht gelassen. Werke von Melchior Vulpius, Michael Praetorius, Gustav Brand oder Peter Janssens sind mit dabei. Alles, was ihr tut aus der Feder von Michael Schronen wird aus der Taufe gehoben. Und, und, und. Sind es anfangs bei dem Vespergesang Felix Mendelssohn Bartholdys nur die Tenöre und Bässe, danach der komplette Konzertchor mit und ohne Instrumentalbegleitung: Die Kurrendaner faszinieren mit ausgewogenen Gesängen. Selbst komplexe Arrangements kommen differenziert aus dem Altarraum. Harmonisch klingt jede Chorgruppe in sich. Fließend sind dynamische Übergänge und sich ändernde Dynamiken. Leise Passagen rühren an. Im Fortissimo beeindrucken kultiviert-stimmgewaltige Gesänge.
Die klangschönen Vorträge, die ganz im Gegensatz zu denen im Vorjahr stehen, sind wohl, seit Beginn der Tätigkeit von Lukas Baumann als Künstlerischer Leiter letztes Jahr im Sommer, Resultat eines intensiven Feilens an den Gesangsqualitäten der Kurrendaner. Denn in den Jahren zuvor ließen sie kontinuierlich nach. Intonationsprobleme oder unausgewogene Stimmen waren letztes Jahr noch unüberhörbar. Außerdem gab es große Nachwuchsschwierigkeiten. Es ist zwar noch nicht alles Gold, was glänzt. Etliche neue Kinder frequentieren aber wieder die Gesangsklassen, beginnend von der musikalischen Früherziehung über die Singschule bis zur Chorschule. So können bestimmt die noch existierenden Lücken in den Sopran- und Altstimmern in absehbarer Zeit gefüllt werden und folglich der Konzertchor wieder sein einstiges hohes Niveau erlangen.
Wird nicht a cappella gesungen, wird die Kurrende sensibel von Violinistin Karin Kutzke und Geiger Ralf Winkler, Bratschist Georg Baumann, Cellistin Bettina Baumann, Kontrabassist Andrew Lee, Oboist Andreas Heimann und Jens-Peter Enk am Orgelpositiv begleitet. Außerdem brilliert Heimann bei zwei Sätzen einer Oboensonate Georg Philipp Telemanns mit sehr virtuosen und hochmusikalischen Tönen. Als Solist sorgt Enk bei seinem professionellen Spiel an der großen Orgel für prunkvolle Klänge. Nur ist dem Magnificat in d-Moll BWV 733 für Orgel solo von Johann Sebastian Bach eine nuancenreichere Registrierung zu wünschen, um die kunstfertigen polyphonen Strukturen besser zum Ausdruck bringen zu können. Baumann ist während des gesamten Quempaskonzerts allen Choristen und Instrumentalisten ein stets umsichtiger, mitatmender und verlässlicher Dirigent.
Bei Macht hoch die Tür und zu guter Letzt O du fröhliche darf das Publikum mitsingen. Doch ohne zwei Zugaben – Der Morgenstern ist aufgedrungen sowie ein Medley aus Kyrie eleison, Dona nobis pacem und Stille Nacht – werden die Kurrendaner nicht von der Bühne entlassen. Erst als die Sänger die Bühne Richtung Orgelempore verlassen, ebbt der frenetische Beifall allmählich ab.
Hartmut Sassenhausen