O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Jens Großmann

Aktuelle Aufführungen

Glattgebügelter Humor

DIE PIRATEN
(Arthur Sullivan)

Besuch am
9. Januar 2022
(Premiere)

 

Wuppertaler Bühnen, Opernhaus Wuppertal

Der Schriftsteller William Schwenck Gilbert und der Komponist Arthur Sullivan – kurz: Gilbert und Sullivan – waren im 19. Jahrhundert ein kongeniales britisches Duo. Ihre insgesamt vierzehn komischen Opern beeinflussen bis heute zahlreiche Künstler, wenn es um das topsy-turvydom – auf Deutsch: Durcheinander, völlige Unordnung, Kuddelmuddel – geht. Das Wort kennzeichnet das Handlungswirrwarr mit seiner Nonsens-Logik in ihren Stücken. Die Welt der Bühne steht symbolisch auf dem Kopf. Diese Stilistik floss ein unter anderem in Literatur, Werbung, Fernsehen und Film. Gilberts Satire diente Komödientextern wie Cole Porter und Ira Gershwin als Vorbild. Von Sullivan schauten sich etwa George Gershwin und Andrew Lloyd Webber viel ab, um nur die bekanntesten zu nennen. Die legendäre sechsköpfige britische Komikergruppe Monty Python ist die wohl berühmteste Formation, die an Gilbert und Sullivan absurden, grotesken, schwarzen, skurrilen Humor anknüpfte. Die Fernsehserie Monty Python’s Flying Circus, von 1969 bis 1974 von BBC ausgestrahlt, schrieb Geschichte. Kult und Legende sind die Filme Monty Pythons wunderbare Welt der Schwerkraft, Die Ritter der Kokosnuss oder allen voran Das Leben des Brian.

Gerade im englischsprachigen Raum sind die komischen Opern von Gilbert und Sullivan äußerst beliebt. In deutschsprachigen Regionen setzen sie sich jedoch nicht so ohne weiteres durch. Vielleicht mag es daran liegen, dass der andernorts lockere Umgang mit dem Wort Nonsens und allem, was dazugehört, hier zu kopflastig hinterfragt wird. Etliche Regisseure wagen sich erst gar nicht an Inszenierungen dieses speziellen britischen Humors. Cusch Jung hingegen hat sich getraut und brachte im Oktober 2016 The Pirates of Penzance or The Slave of Duty auf die Bühne der Musikalischen Komödie in Leipzig. Diese Version des 1879 uraufgeführten Stücks mit dem deutschen Titel Die Piraten von Penzance oder der Sklave der Pflicht ist nun im Wuppertaler Opernhaus zu erleben.

Ständig wuselt es über dem Orchestergraben vor und neben der schräg aufgestellten Drehbühne, die im ersten Akt eine Sonnenuhr und anschließend einen düsteren Friedhof mit Ahnengräbern darstellt. Ruhige Momente wie das Liebesduett zwischen Mabel und Frederic können an den Fingern einer Hand abgezählt werden. Ständig in Bewegung sind die abgedrehten Piraten im schwarzen Korsarenkostüm. Quirlig wie aufgescheuchte Hühner geben sich die Töchter, gewandet in Reifröcken. Selbstverständlich kommen die feigen Polizisten alias Extraballett der Oper Wuppertal very british als Bobbys mit weißen Gamaschen daher, die eine heiße Sohle aufs Parkett legen. Jung bietet so leichte Kost, heitere Unterhaltung, wie sie von alten Piraten-Blockbustern bekannt sind. Der Spaß, Übertreibungen der Charaktere stehen im Vordergrund, die keine Überraschungen mit sich bringen. Man weiß im Voraus, was als nächstes kommt. Dank der großen Spielfreude des Ensembles gelingt der Klamauk vortrefflich.

Nur ist es fraglich, ob diese Sichtweise im Sinne der beiden Urheber ist. Denn setzte man auf die verqueren Persönlichkeiten mehr Gewicht, reduzierte man die quirligen Bewegungen, entstünde eine Spannung, die so von selbst derart komisch, absurd, grotesk und auch tiefsinnig ist, dass automatisch die Lachmuskulatur des Publikums aktiviert wird. Stattdessen gibt es nur weniges Gekicher im zweiten Akt, wenn beispielsweise als Gag um 11 Uhr 11 die Bande, sprich Polizei, erledigt werden soll oder zum Schluss statt Queen Victoria Queen Elizabeth II. für einen guten Ausgang der Geschichte sorgt.

Stimmlich gibt es keine Ausfälle. Die beiden Protagonisten Ralitsa Ralinova als Mabel mit ihrem sicheren und unverkrampften Koloratursopran und Sangmin Jeon als Frederic mit seinem tragfähigen und beweglichen Tenor überzeugen auf ganzer Linie. Auch Sebastian Campione als Piratenkönig, Simon Stricker als General-Major, Yisae Choi als Polizeisergeant und Joslyn Rechter als Ruth und Queen als weitere Hauptdarsteller machen großen Eindruck wie die Nebenrollen sowie der von Markus Baisch und Ulrich Zippelius glänzend einstudierte Opernchor. Doch nur Rechter und Jeon werden dem Operetten-Genre voll gerecht, indem ihre Vorträge stets textverständlich sind. Bei allen anderen Darbietungen bieten sich wie bei Opernaufführungen Übertitel an, auch wenn auf deutsch gesungen und gesprochen wird.

Aus dem Orchestergraben kommt ausgewogene Musik. Die eigentlich nuancierte Partitur, die das Libretto mal untermalt, mal betont, mal überspitzt mit all seinen Bezügen zu bekannter Musik seiner Zeit spricht zwar für sich, ist aber trotzdem ein wenig bearbeitet. Das ist jedoch nicht weiter schlimm. Vermisst wird nur die ersatzlos gestrichene rund achtminütige Ouvertüre mit ihren musikalischen Vorwegnahmen, die eigentlich die Erwartungshaltung des Publikums steigern soll. Dessen ungeachtet spielt das Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung von Johannes Witt harmonisch, differenziert und mit sensiblen Dynamiken auf. Dank seines umsichtigen und mitatmenden Dirigats ist der Erste Kapellmeister des Hauses außerdem den Sängern eine verlässliche Stütze.

Langanhaltend ist der Schlussapplaus, der in stehenden Ovationen mündet. Jubel und Bravi bleiben jedoch aus. Das liegt wohl an der zu gefälligen Inszenierung, die ohne Ecken und Kanten auskommt, so den bissigen britischen Humor nicht formvollendet zum Tragen kommen lässt. Auch die deutsche Übersetzung aus den Federn von Inge von Greifenhagen und Bettina von Leoprechting ist ein Kompromiss. Denn einige spitzfindige englische Idiome sind schwer oder gar nicht in eine andere Sprache übersetzbar.

Hartmut Sassenhausen