O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Aktuelle Aufführungen

Jazz und Latin vom Allerfeinsten

PAQUITO D’RIVERA & PAUL HELLER ALLSTAR BIGBAND
(Diverse Komponisten)

Besuch am
26. September 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Multiphonics-Festival, Zentrum Immanuel, Wuppertal

Im professionellen Musikbusiness gilt eigentlich das ungeschriebene Gesetz, dass zwischen den Auftritten von ein und demselben Musiker in einer Region rund ein Jahr vergehen soll. Denn man hat Sorge um eine nachlassende Publikumsresonanz. Bei Paquito d‘Rivera gilt die goldene Regel nicht. Am 28. Juni trat er nämlich im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr in der Philharmonie Essen auf. Und nach nur drei Monaten ist er exklusiv für das Festival Multiphonics wieder aus New York über den Großen Teich ins benachbarte Wuppertal gereist, um im Kulturzentrum Immanuel – bekannt unter dem Namen Immanuelskirche – im Stadtteil Oberbarmen die Jazzfans mit seinem Spiel zu erfreuen. Von nachlassendem Publikumsinteresse kann in diesem Fall keine Rede sein, sind doch das Parkett und die mittlere Empore sehr gut besucht.

Der 74-jährige, in Kuba geborene und aufgewachsene Klarinettist und Saxofonist wird mit Fug und Recht als lebende Legende bezeichnet. Zahlreiche Grammys heimste er bislang ein. Im Jahr 2005 wurde er mit der höchsten offiziellen Ehrung für Jazzmusiker für seine bisherige Lebensleistung in den USA ausgezeichnet, der NEA Jazz Masters Fellowships. Viele Jazzer verneigen sich vor Ehrfurcht vor ihm. Mit tosendem Applaus wird er vom Publikum begrüßt, als er zur Musik von Paul Hellers All Star Big Band mit Klarinette und Altsaxofon in den Händen die Bühne betritt. Und los geht es mit Dizzie Gillespies Hit Night In Tunesia, womit er sich sofort als großer Meister am Altsaxofon vorstellt. Witzig und ironisch moderiert er außerdem das Konzert mit seinem ihm eigenen Slang, den er scherzhaft als „columbenglish“ bezeichnet. Er hat den Schalk im Nacken, als er etwa Tipps gibt, wie man Kompositionen anderer als seine eigenen verkauft, ohne bestraft zu werden. Man widmet sie einfach dem eigentlichen Urheber. Als Beispiel pfeift er Eine kleine Nachtmusik. Er stellt sie als eigenes Stück vor, das er folglich Wolfgang Amadeus Mozart gewidmet hat. Auch mit solchen Anekdoten hat er die Jazzfreunde voll auf seiner Seite. Song For Maura stammt dagegen in der Tat von ihm. Hier verzaubert d’Rivera mit einem unglaublich warm-weichen, lyrischen Klarinettenklang. Geschickt lässt er die Nummer in den 1962 von Tito Puente geschriebenen populären Klassiker Oye Como Va münden, dabei tatkräftig singenderweise von den Zuhörern und den anderen Musikern unterstützt. Mit seinem Stück I Remember Diz zollt er seinem ehemaligen Wegbegleiter Gillespie großen Respekt. Oliver Silvers Jazzstandard Sister Sadie aus dem Jahr 1969, hervorragend arrangiert vom ehemaligen Chefdirigenten der WDR Big Band, Michael Abene, ist auch mit dabei. Des Weiteren kommt Duke Ellington mit seinem berühmten Standard C Jam Blues aus dem Jahr 1942 zu Wort.

Paquito d’Rivera und Paul Heller – Foto © Karl-Heinz Krauskopf

Seine ganz große Klasse, die ihn weltberühmt gemacht hat, präsentiert Paquito d‘Rivera an diesem Abend: höchst virtuoses Spielvermögen, variable Tongestaltung, sensible Entwicklung von musikalischen Linien und exzellenter Aufbau von Soli. Er ist die Hauptperson, derentwegen alle gekommen sind. Aber auch die anderen Musiker, die ihm zur Seite stehen, brillieren. Deren Namen lesen sich ein Who’s Who der deutschen Jazzszene. Einige von ihnen sind Mitglieder der Big Bands des Westdeutschen und Hessischen Rundfunks. Die anderen spielen mit Kollegen von Weltruf zusammen. Die alten Hasen und Musiker der jüngeren Generation schart der mitspielende Bandleader und Tenorsaxofonist Paul Heller um sich, der auch zwei ausgezeichnete Latin-Stücke aus seiner Feder spielen lässt. Laut seiner Aussage benötigten sie nur eine Nachmittagsprobe, um sich mit dem Konzertprogramm zu beschäftigen. Das zeugt davon, dass sie ausnahmslos die tradierten Jazz- und Latin-Stile in allen Facetten perfekt beherrschen. Der Name All Star Big Band kommt also nicht von ungefähr.

Dementsprechend präsentiert sich die Band in allen Belangen äußerst homogen. Jede Bläsergruppe ist in sich absolut intonationsrein. Jeder Einsatz sitzt. Die markanten Fill Ins kommen höchst präzise daher. Die Soli lassen an Virtuosität keine Wünsche offen. Kongenial spielen die 17 Musiker mit d’Rivera zusammen. Es kommt lateinamerikanische Musik und klassischer Jazz von der Bühne, die vor Power, Groove, Swing, Drive und balladesken Momenten nur so sprüht.

Das Publikum ist nach jeder Nummer ganz aus dem Häuschen. Letztendlich will es die Musiker nicht gehen lassen. Doch nach einer ganz kurzen Zugabe ist endgültig Schluss mit der Kurzweil von erster Güte, die wohl etlichen Besuchern nachhaltig in Erinnerung bleiben wird.

Ferner ist hervorzuheben, dass an diesem Abend eine städteübergreifende Zusammenarbeit zwischen zwei Musikinstitutionen einwandfrei funktioniert. Multiphonics aus Köln ist der Veranstalter, während sich der Jazzverein openSky aus Wuppertal um die Organisation und den reibungslosen Ablauf vor Ort kümmert.

Hartmut Sassenhausen