O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © Björn Hickmann

Aktuelle Aufführungen

Im kalten Krieg

DIE LUSTIGE WITWE
(Franz Lehár)

Besuch am
27. August 2022
(Premiere)

 

Oper Wuppertal

Potthässlich ist das Großraumbüro in Paris, in dem noch schnell mit einem Staubsauger herumgefuhrwerkt wird, bevor der realsozialistische Botschafter eines bankrotten Staats eintrudelt. Ja, so war es anno dazumal, als während des kalten Kriegs im Ostblock Funktionalität vor Geschmack stand. Auch das Wort Mode hätte dort noch erfunden werden müssen. Genauso wie bis zum Fall des Eisernen Vorhangs erscheinen dort die Damen und Herren, die vielleicht allein wegen ihrer überaus geschmacklosen, uneleganten Kleider, Anzüge, Krawatten und Farben aber nur kurz ein Blickfang hätten sein könnten, um sich dann schnell abzuwenden. Täuschend echt haben Bühnenbildnerin Blanca Añón und Kostümbildnerin Kaye Voyce die damaligen Outfits, wie sie etwa in der ehemaligen DDR alltäglich waren, nachgebildet. Just in diese Zeit verlagert Regisseur Christopher Alden im Wuppertaler Opernhaus Franz Lehárs Operette Die lustige Witwe.

Während des ersten Akts geht es zu wie einst, wenn etwa die Herrschaften brav in Reih und Glied stehen beziehungsweise auf Stühlen sitzen und erst dann wagen zu klatschen, wenn auch der Chef des Hauses damit anfängt. Es wird wie vor über 30 Jahren gekatzbuckelt. Natürlich ist man linientreu. Am Anfang des zweiten Akts gelingt Alden ein geschickter Schachzug: Denn das Lied vom Waldmägdelein Vilja gehört nicht zum eigentlichen Handlungsstrang, Es singt in der Regel Hanna Glawari in ihrem Schloss. In manchen Inszenierungen wirkt es so deplatziert. Er hingegen verlagert die Szene wie einen sehnsuchtsvollen Traum der Witwe in das Gebirgsmassiv ihrer Heimat. Dort ist es selbstredend bitterkalt. Kein Wunder, dass dabei der von Ulrich Zippelius glänzend einstudierte Opernchor mit weißen Pelzmützen und Handschuhen daherkommt. Das passt. Und das Chambre séparée, in dem sich Camille und Valencienne herumtreiben, sie schnell mit der Witwe ausgetauscht wird, entpuppt sich als Liebesnest mit feudalem Bett. Wie zu Lehárs Zeiten ist man auch jetzt in Paris. Im Maxim geht genauso hoch her wie damals. Vor von der Decke bis auf den Boden herabreichenden Lamettastreifen ziehen während des Schlussakts im schillernden Blau die Grisetten ihre Schau ab.

Das Beziehungsgeflecht zwischen Danilo und Hanna Glawari einerseits sowie Mirko Zeta, Valencienne und Camillo de Rasillon andererseits ist zeitlos, kann sich also durchaus in einem der Länder des Warschauer Pakts ereignet haben. Die werden verständlich nachgezeichnet. Es fehlt natürlich der Pomp, den sich viele auf einer Operettenbühne vorstellen. Doch das macht gar nichts, da es damals im Osten wie in seinen Botschaften im Westen schmucklos zuging. Es sind die Damen der Schöpfung, die das erreichen, was sie von Anfang an wollen: Die Millionärswitwe bekommt schließlich ihren Danilo. Und Valencienne ist nach allem hin und her doch eine anständige Frau. Der Regisseur setzt noch einen drauf, indem er den Part des Njegus mit einer Frau besetzt. Diese Hosenrolle spielt vortrefflich Schauspielerin Philippine Pachl mit viel Witz und Ironie, obwohl einige bewusste Versprecher ein wenig billig sind. Müssen dagegen final Männer Grisetten darstellen? Soll damit die derzeit aktuelle Genderthematik zu Wort kommen? Muss das in diesem Zusammenhang sein? Ist das im Sinn des Komponisten und der Librettisten?

Im Gegensatz zu der mit Fragezeichen versehenen schlüssigen Deutung der wegweisenden Tanzoperette lassen die gesanglichen Qualitäten ein paar Wünsche offen. Eleonore Marguerre überzeugt zwar als Witwe im ersten Akt mit einem tragfähigen, sicheren Sopran. Auch der Vilja-Akt kommt anmutig von der Bühne, Danach wird die Stimme immer müder bis zum zu leisen Lippen schweigen. Dagegen ist Mezzosopranistin Hyejun Kwons vom Opernstudio NRW als Valencienne immerfort stimmlich und darstellerisch quicklebendig. Gelungen ist auch das Duett Zauber der stillen Häuslichkeit von Marguerre und Tenor Theodore Browne als Camillo packend vorgetragen. Doch generell sind gerade die Männerstimmen gemäß dem Genre Operette entweder ein wenig blass, in der Höhe nicht immer unverkrampft oder ohne nötige „Stütze“. Der Opernchor der Wuppertaler Bühnen kann dagegen stimmgewaltig wie aussagekräftig überzeugen.

Wuppertals Generalmusikdirektor Patrick Hahn entlockt dem städtischen Sinfonieorchester ausgewogene Klänge, wenn auch manchmal die dynamischen Verhältnisse zwischen den Streichern und dem Rest des Orchesterapparats ein klein wenig Feinschliff nötig haben können. Schwungvoll kommen die mannigfaltigen Tänze aus dem Graben. Auch achtet der junge Senkrechtstarter der Dirigentenszene, den seine Agentur ohne Unterlass zu Produktionen und Konzerten durch die Gegend schickt, aufmerksam auf ausgewogene Lautstärkepegel zwischen Bühne und Orchester. Nicht ganz, aber über große Strecken gelingt ihm die Balance.

Das Premierenpublikum im gut besuchten, doch nicht ausverkauften Haus zeigt großen Gefallen an der Inszenierung, bei der sich etliche Gäste zwischendurch Lacher nicht verkneifen können. Dafür sprechen schließlich die frenetischen, langanhaltenden, stehenden Ovationen, die bei den Verbeugungen der Gesangssolisten keinen von ihnen besonders hervorheben.

Landauf landab stand Die lustige Witwe in den rund letzten fünf Jahren in Deutschland auf zig Bühnen, darunter etlichen in Nordrhein Westfalen wie in Dortmund, Aachen und Gelsenkirchen. Vor zwei Monaten gastierte noch damit das Landestheater Detmold um die Ecke in Solingen. In dieser Spielzeit ist die Operette neben Wuppertal nächstes Jahr im Januar in Kleve und ab April 2023 in Bonn zu erleben. Ist das nicht ein bisschen zu viel des Guten? Es gibt doch so viele andere populäre Operetten mit Gassenhauern, die bestimmt auch auswärtige Freunde des gefälligen Musiktheaters ins Tal der Wupper locken würden.

Hartmut Sassenhausen