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Aktuelle Aufführungen
LANG LANG
(Diverse Komponisten)
Besuch am
16. November 2024
(Einmalige Aufführung)
Klavier-Festival Ruhr in der Historischen Stadthalle Wuppertal
Fraglos ist Lang Lang weltweit der gefragteste Künstler in der Pianistenszene. Überall ist er in den Medien präsent. In Scharen strömen seine Anhänger, seien die Eintrittskarten auch noch so teuer, in seine Konzerte. Nicht anders verhält es sich bei seinem Gastspiel im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr in der Historischen Stadthalle Wuppertal. Restlos ausverkauft ist der Große Saal. Sogar Sitzreihen auf dem Konzertpodium sind aufgrund des riesigen Andrangs aufgebaut. Gehaltvolle Werke aus dem 19. Jahrhundert aus der Feder von drei berühmten Komponisten hat der Klaviervirtuose mitgebracht, deren Präsentation nicht nur Begeisterungsstürme entfacht.
Sogar in Fachkreisen verbeugen sich viele vor Lang Kang qua seiner exorbitanten Klaviertechnik mit Hochachtung. Manche behaupten sogar, seine extrem hohe Virtuosität sei einmalig. Musikalisch scheiden sich aber die Geister. Diejenigen, die auf Werktreue und den in den Werken steckenden musikalischen Gehalt großen Wert legen aus Respekt vor den intensiven Auseinandersetzungen der Komponisten damit während der Entstehungszeit, schütteln mit dem Kopf. Die anderen stören jedoch die großen künstlerischen Freiheiten, die der Pianist sich gerne nimmt, keineswegs, so auch an diesem Abend.
Gleich bei den ersten Takten von Gabriel Faurés Pavane ist klar, dass der Meister der 88 Tasten manche Anweisungen der Komponisten, wie die Töne zu spielen seien, ignoriert. Denn die Achtelbewegungen im Bass in diesem Opus 50 sind eindeutig als Staccato notiert. Sie kommen aber im Legato mit einem gemäßigten Tempo von der Bühne. Zeitzeugen wie der Dirigent Adrian Boult berichteten dagegen, dass der Komponist das Stück mit einem munteren Staccato spielte und damit zum Ausdruck brachte, dass das Werk kein Stück deutscher Romantik sei.
Auch der tiefe Gehalt, der in Robert Schumanns Klavierzyklus Kreisleriana steckt, wird nicht zum Ausdruck gebracht. Der Titel bezieht sich bekanntlich auf E.T.A. Hoffmanns fantastisch-skurrile Figur des Kapellmeisters Johannes Kreisler, dessen lebendes Vorbild, Ludwig Böhner, vorübergehend Schumanns Weg Kreuzte. Hier formt der Komponist alltägliche Begebenheiten um und verfremdet sie, spürt hintergründige Bedeutungen von Dingen und Ansichten auf und entwickelt überlegenen Humor als scharfe Waffe gegen alles Reaktionäre. Auch bezieht er sein eigenes Seelenleben mit ein. Die Belastung durch eine ungewisse Zukunft, die Hoffnung auf Erfüllung der Liebe zu Clara sind verarbeitet. So geben sich die acht Sätze wild und exzentrisch und haben eine geistige Tiefe, die Fantastereien und geistreiche Parodien weit von sich weisen. Davon ist nichts, auch noch nicht einmal ansatzweise, etwas zu hören.
Von Frédéric Chopin sind 58 Mazurkas veröffentlicht. 1825 begann er damit, sie zu komponieren und schrieb daran bis zu seinem Tod 1949. Sein Heimatgefühl und seinen Nationalstolz brachte er darin zum Ausdruck. Er verarbeitete typische Elemente der polnischen Bauernmusik und neuartige, westeuropäische, harmonische Wendungen. Es fällt auf, dass er den zweiten und dritten Schlag dieser im Dreivierteltakt gehaltenen Stücke bevorzugt. Er hat mit ihnen ein eindrucksvolles Vermächtnis hinterlassen. Sie spiegeln sein Leben von den Jugendjahren an in Polen bis zu seinem Tod in Frankreich wider. Sein Gemütszustand zur jeweiligen Entstehungszeit ist erkennbar. Zwölf Nummern von ihnen aus den Opera 7, 17, 24, 30, 33 und 59, also Ausschnitte seines Lebens, präsentiert Lang Lang. Aber auch hier lotet der Pianist den großen musikalischen Tiefgang nicht plausibel aus.
Dieses Programm wie auch die abschließende Polonaise in fis-Moll opus 44 Chopins gestaltet Lang Lang mit einer einheitlichen Tongebung: sehr oft romantisch entrückt, extremen Dynamiken vom kaum hörbaren Piano bis hin zum sehr lauten eruptiven Fortissimo. Für das Rubato – kleine Tempoverschiebungen – scheint er sich nach persönlichem Gusto zu entscheiden. Des Weiteren ist die Wahl seiner Tempi auffällig von sehr langsam bis blitzschnell. Nicht jeder Ton gelingt ihm, wenn Läufe und gebrochene Akkorde wieselflink daherkommen. Dann benutzt er das rechte Pedal über Gebühr, um solche Mängel zu kaschieren. Er scheint Wert auf reine Klangschönheit zu legen, wenn es um ruhige Passagen geht. Als Gegensatz dazu kommen forsche Stellen ungemein gewaltig aus dem Flügel.
Es gibt Zuhörer, die wortlos und in sich gekehrt von dannen ziehen. Der Großteil des Publikums ist aber ganz aus dem Häuschen. Die stehenden Ovationen und Jubelrufe wollen kein Ende nehmen. Dafür bedankt sich Lang Lang mit zwei Zugaben. Die erste kommt aus der Feder der französischen Komponistin Charlotte Sohy, die von 1887 bis 1955 lebte. Aus ihren 1944 entstandenen Quatre pièces romantiques opus 30 spielt er den letzten Satz Romance sans paroles. Abschließend gibt es ein kurzes humoristisches Virtuosenstück.
Hartmut Sassenhausen