O-Ton

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Aktuelle Aufführungen

Mammutkonzert mit Beethoven

JAN LIESECKI & CHAMBER ORCHESTRA OF EUROPE
(Ludwig van Beethoven)

Besuch am
22. Juni 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Klavier-Festival Ruhr, Historische Stadthalle Wuppertal

Vor zwei Jahren wäre Ludwig van Beethoven 250 Jahre alt geworden. Überall sollte sein Geburtstag gefeiert werde. Auch das Klavier-Festival Ruhr wollte sich daran beteiligen. Doch Corona machte einen großen Strich durch die Rechnung. So platzte das Großprojekt, die fünf Klavierkonzerte des Komponisten an zwei Tagen zur Aufführung zu bringen. Aber getreu der Redensart „Was lange währt, wird endlich gut“ wird es nun nachgeholt. Das Chamber Orchestra of Europe – kurz: COE – und der Senkrechtstarter der internationalen Pianistenszene, Jan Lisiecki, können es nun in der Historischen Stadthalle Wuppertal und tags drauf im Konzerthaus Dortmund realisieren. Die ersten drei Konzerte für Klavier und Orchester und die Ouvertüre zu dem Ballett Die Geschöpfe des Prometheus stehen auf dem Programm des ersten Abends.

Um das Ende vorwegzunehmen: Zum Schluss intoniert Lisieckis das 20. Nocturne in cis-Moll von Frédéric Chopin, das nach seinem Tod herausgegeben wurde. Er spielt es mit einem verträumten Pianissimo hochromantisch traumhaft schön. Anhand dieses Stücks wird offenbar, dass er in der Klangwelt des in Polen geborenen und aufgewachsenen Komponisten zu Hause ist. Folgerichtig spinnt der Kanadier und Sohn polnischer Eltern mit dieser Zugabe seine Tongebung bei Beethoven fort. Denn viele Passagen in den Klavierkonzerten gemahnen an die emotionalen Klänge zur Zeit der Romantik. Gerade die Melodieführung und deren Verarbeitung in den Binnensätzen gestaltet er mit einer feinen, geschmeidigen kontrastarmen Klangfarbe sehr lyrisch, poetisch, sinnlich, freudig wie melancholisch. Die Piani klingen schwer wahrnehmbar wie dahingehaucht. Dagegen packt er etwa bei den Themenvorstellungen in den Ecksätzen selbstbewusst zu. Dann ist er da, der Beethoven mit seinen stolzen, festlichen, ausgelassenen, energischen, rhythmischen, leidenschaftlich-kämpferischen Ausdrucksformen. Und anhand der präsentierten großen Kadenzen in den Eingangssätzen, die laut Lisieckis Aussage von Beethoven stammen, demonstriert er seine brillante hochvirtuose Klaviertechnik.

Das COE ist eins der berühmtesten Klangkörper seiner Art und wird seinem erstklassigen Ruf voll und ganz gerecht. Neben ihrer Orchestertätigkeit beschäftigen sich seine Mitglieder als Solisten, Kammermusiker, Stimmführer anderer Orchester Dozenten und Professoren. Berühmte Dirigenten ließen und lassen sich nicht zweimal bitten, mit ihm zusammenzuarbeiten. Es kann aber auch ohne Dirigenten mustergültig musizieren, gerade wenn es um ältere Werke geht. Denn damals gab es nur kleine Orchester, die in der Regel vom Cembalo oder der Violine aus geleitet wurden. Erst ab Beginn des 19. Jahrhunderts, als die Orchester nach und nach größer wurden, etablierte sich allmählich die Funktion des heute bekannten Dirigenten. Einer der ersten war Felix Mendelssohn Bartholdy als Leiter des Gewandhausorchesters in Leipzig. Die an diesem Abend vorgestellten Werke stammen aus der Zeit zwischen 1795 und 1801. Also ist es statt eines Dirigenten Konzertmeister José Maria Blumenschein, der am ersten Geigenpult das europäische Kammerorchester führt. Aufmerksam folgt es seiner präzisen Körpersprache und bringt Beethovens Prometheus-Ouvertüre mit festem Zugriff, klar durchstrukturiert und fein phrasiert wie aus einem Guss von der Bühne. Auch die drei Klavierkonzerte intoniert es mit großer Akkuratesse und achtet mitatmend hinsichtlich Dynamik und Tempo auf den Klavierklang. So kann Lisiecki seine musikalische Haltung voll zur Geltung bringen bis auf manche seiner zu samtweichen Piano-Stellen, die trotz bestmöglicher Zurücknahme der Orchesterlautstärke nicht tragfähig sind.

Kaum ist der letzte Ton verklungen, bricht frenetischer Beifall aus, der mit Pfeifen und Grölen einhergeht und in stehende Ovationen mündet. Sie ebben nach der Zugabe erst dann ab, als sich Lisiecki vom Orchester verabschiedet und die Musiker die Bühne verlassen.

Man freut sich und ist erleichtert, dass das Parkett des Großen Saals der guten Stube Wuppertals so gut wie ausverkauft ist. Salopp ausgedrückt: Zum ersten Mal nach den strengen Corona-Regeln sind alle wieder da. Benimmt sich künftig das sich andauernd verändernde Virus anständig und verhält man sich respektvoll gegenüber dem nicht aus der Welt zu schaffenden Biest, könnte vielleicht dieser Abend ein neuer Anfang für wieder ausgezeichnet besuchte Konzert sein.

Hartmut Sassenhausen