O-Ton

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Machtgier und Intrigen

L’INCORONAZIONE DI POPPEA
(Claudio Monteverdi, Philippe Boesmans)

Besuch am
30. April 2023
(Premiere)

 

Wuppertaler Bühnen, Opernhaus Wuppertal

Vielleicht würden sich puristische Musikfreunde des ausgehenden Frühbarocks die Haare raufen, wenn sie die Töne hören, die aus dem Orchestergraben des Wuppertaler Opernhauses kommen. Ist das wirklich Claudio Monteverdi pur? Es geht um die Musik seiner letzten Oper L’incoronazione di Poppea– übersetzt: Die Krönung der Poppea – aus dem Jahr 1642. Fakt ist, dass davon keine Partitur erhalten ist. Es existieren aus dieser Zeit lediglich zwei Handschriften aus Neapel und Venedig, die der Urfassung nicht entsprechen. Auch existiert keine gültige Orchestrierung. Bearbeitungen gibt es genug aus dem letzten Jahrhundert, etwa der Versuch einer Originalfassung aus dem Jahr 1990 von René Jacobs. Ganz anders ging der letztes Jahr im Alter von 85 Jahren gestorbene belgische Komponist Philippe Boesmans mit der Thematik um. Er war Hauskomponist der Brüsseler Oper La Monnaie, für die er mehrere Opern schrieb. Dirigent Sylvain Cambreling führte zu seiner Zeit als Musikdirektor dort einige von ihnen auf und pflegt nach wie vor sein Oeuvre. Seine Werke stehen immer wieder auf Programmen einschlägiger Festivals. Die Zusammenarbeit mit Regisseur Luc Bondy ist bekannt. Von diesem Opernspezialisten erschien anno 2012 eine eigene Poppea-Version, die er mit Poppea e Nerone betitelte. Mit diesem Namen machte er deutlich, dass er bewusst eine Rekonstruktion des Originals mied. Für ihn handelte es sich vielmehr um – nach eigenen Worten – eine „restituition et orchestration“. Ein Orchester von 30 Musikern wird vorgesehen. Barocke Klänge kommen zwar vor, darüber hinaus aber auch zeitgenössische unter Verwendung etlicher moderner Instrumente. Eine große Palette an Tasten- und Schlaginstrumenten befinden sich darunter: Cembalo oder Orgelpositiv, Klavier, Celesta, Glockenspiel oder Harmonium und Synthesizer; Vibrafon, Marimbafon und Metallofone bestimmter und unbestimmter Tonhöhe wie Crotales und Tamtam. Damit nutzt er sehr viele moderne klangliche Möglichkeiten aus, darunter funkelnde und schillernde Klänge. Wenn dann auch noch die Oper auf den Zeitgeist gemünzt, im vorliegenden Fall in die Dekade der 1980-er Jahre transportiert wird, macht die Verwendung der aktuellen Partitur Boesmans durchaus Sinn. Für die stringente Inszenierung zeichnen Regisseur und Bühnenbildner Immo Karaman sowie Kostümbildner und Choreograf Fabian Posca verantwortlich.

Dunkelgrau vor schwarzem Hintergrund sind die hinauf- und herunterfahrbaren Wände, die außen und innen an einen heruntergekommenen Prachtbau gemahnen, von dem der Putz herabfällt und Ziegelsteine bloß legt. So können sich die Szenenwechsel ruckzuck vollziehen. Auch das schmückende Beiwerk wie Stühle, Tische oder Blumen sind in der tristen Farbe gehalten. So lenkt nichts von den Darstellern ab. Denn einzig und allein um die geht es. Seit Kaiser Neros Zeiten hat sich nichts an den miesen menschlichen Charaktereigenschaften geändert. In US-amerikanischen Serienerfolgen wie Dallas und Denver-Clan vor rund 40 Jahren gibt es genauso ein Hauen und Stechen um Macht und Liebe wie damals. In diese Zeit hat das Regie-Duo die Geschichte verlegt, wie unverkennbar die Kostüme verdeutlichen. Damals schwappte auch die von Schauspielerin Jane Fonda vermarktete Aerobic-Welle über den Großen Teich unter anderem nach Deutschland. In solch einem Fitnessstudio und im damaligen Dress befiehlt Ottavia Ottone, Poppea umzubringen.

Im Mittelpunkt steht Neros Geliebte Poppea, der ihr unsterblich verfallen ist. Sie setzt alle ihr zur Verfügung stehenden Hebel in Bewegung, um an die Macht zu kommen. Ob bei ihr wahre Liebe mit im Spiel ist angesichts dieses Verehrers mit einer nicht gerade ansehnlichen Haarpracht à la Gildo Horn, Wampe und unattraktiver Kleidung? Auch alle anderen umgarnt sie mit viel Berechnung gekonnt, einzig, um zum Ziel zu kommen. Zu jedem Anlass trägt sie die jeweils richtigen schnieken Klamotten und bestrickt, falls nötig, mit ihren professionellen erotischen Mitteln. Alle Versuche, ihre Pläne zu vereiteln, scheitern. So wird Seneca zum Selbstmord verdonnert. Oder Ottone folgt Drusilla ins Exil, wo in dieser Inszenierung auch er das Leben verliert. Zwischen beiden Protagonisten herrscht aber schließlich kein Eitel, Freude, Sonnenschein, wenn sie beim traumhaft schön vorgetragenen Schlussduett Pur ti miro großen Abstand wahren und alle anderen Darsteller durch eine zerbombte Wand schleichen beziehungsweise davor liegen bleiben. Poppea hat zwar ihren Willen bekommen. Doch ein glückliches Leben sieht ganz anders aus.

Nicht nur die Inszenierung und die ausgezeichnete Personenführung ziehen in ihren Bann. Auch gesanglich werden so gut wie keine Wünsche offen gelassen. Ralitsa Ralinova ist die machtversessene Poppea, die gesanglich mit ihrem variablen und in allen Registern sicheren Sopran die ganze Bandbreite der Ränkespiele facettenreich zum Ausdruck bringt. Diesen hohen Qualitäten steht das einstige Ensemblemitglied Catriona Morison in nichts nach. Mit ihrem tragfähigen Mezzosopran taucht sie packend in alle Seelenzustände Neros ein. Franko Klisovic stellt sich als erstklassiger Countertenor vor, der eindringlich den Höhen und Tiefen des Ottone nachspürt. Anna Alàs I Jove ist die verzweifelte Ottavia. Ihr eindringlicher Mezzo passt aber auch fabelhaft zu ihrem im Befehlston erteilten Mordauftrag an Ottone. Drusilla singt und spielt überzeugend die Sopranistin Johanna Rosa Falkinger. Ist Sebastian Campiones Bass anfangs in der Tiefe nicht ganz tragfähig und ein wenig blass, gibt er im weiteren Verlauf stimmlich solide und darstellerisch einen weisen, seriösen Philosophen ab. Bis auf eine nicht ganz überzeugende Stimme sind auch die weiteren Rollen gesanglich erstklassig besetzt.

Jederzeit können sich die Sänger unter dem Dirigat von Matthew Toogood aufgehoben fühlen. Mitatmend und dynamisch fein auf die Stimmen achtend, lotst er umsichtig durch die Partitur. Nuanciert spielt das Sinfonieorchester Wuppertal auf, das passend zum Bühnengeschehen die abwechslungsreichen Klangbilder stimmungsreich und ausgewogen gestaltet.

Das Premierenpublikum im nicht ausverkauften Auditorium zeigt sich begeistert und dankt allen an der Produktion beteiligten Personen mit verdienten stehenden Ovationen. Diese werden vom scheidenden Opernintendanten Bertold Schneider unterbrochen, der sich herzlich mit zwei Blumensträußen bei dem Regie-Duo für seine regelmäßige, hervorragende Tätigkeit am Haus während seiner Amtszeit bedankt. Er schließt mit den Worten: „Die Sänger lieben ihre Arbeit“.

Hartmut Sassenhausen