Kulturmagazin mit Charakter
Aktuelle Aufführungen
HOTEL MAMA
(Jan Ferdinand Haas)
Besuch am
28. April 2019
(Premiere am 26. April 2019)
Immer öfter kommt man in Deutschland aus dem Staunen nicht mehr heraus. Das Prinzip Geld kommt zu Geld wird zum ehernen Gesetz. Und das gilt offenbar auch für Kulturinstitutionen. Während ein Opernhaus, das jährlich mit einem zweistelligen Millionen-Betrag vom Steuerzahler ausgestattet wird, selbstverständlich auch einen „eingetragenen Verein der Freunde und Förderer“ gründet, damit noch mehr Geld hereinkommt, und dieser vom Finanzamt ebenso selbstverständlich als gemeinnützig anerkannt wird, gilt das für kleine, private Theater nicht. Auch so kann man Kultur von Staats wegen gestalten.
Seitdem Kristof Stößel die Komödie Wuppertal übernommen hat – inzwischen heißt sie Stößels Komödie Wuppertal – interessieren ihn solche Hürden nur noch als überwindbare Probleme. Stark ist der Rückhalt seiner Fangemeinde, die ständig wächst. Stößel und sein „Ensemble“ – Schauspieler, die inzwischen regelmäßig in der Wuppertaler Komödie arbeiten, ohne dort angestellt zu sein – haben das Zeug, sich zu einem Kult wie einst das Ohnsorg- in Hamburg oder das Millowitsch-Theater in Köln zu entwickeln. Dafür spricht auch das neueste Stück, das in Stößels Komödie Wuppertal zwei Tage zuvor Premiere feierte.
Kristof Stößel und Ilka Schäfer – Foto © O-Ton
Hotel Mama beruht auf einer Geschichte, die Jan Ferdinand Haas geschrieben und Michèle Connah inszeniert hat. Schnell, spritzig, witzig, ohne jeden Anspruch auf Tiefgang, aber mit viel Gewicht auf guter Unterhaltung: So will die Komödie auch dieses Mal punkten. Die Geschichte ist schnell erzählt. Fahrradhändler Ulli und seine Frau Veronika, vor 30 Jahren Floristin, seitdem Hausfrau, sind mehr als glücklich, dass ihre Kinder Jenny mit 24 und Oliver mit 26 Jahren endlich das traute Heim verlassen. Aber sie haben sich zu früh gefreut. Kaum ist Oliver zum freiwilligen ökologischen Jahr nach Kanada entschwunden und Jenny mit ihrem Freund im Miniaturappartement zusammengezogen, tauchen die Großeltern auf und begehren Unterkunft. Neben der Enttäuschung von Ehepaar Ulli und Vero über die neue Wohngemeinschaft wird es auch noch eng, als der Sohn überraschend schnell wieder zurückkehrt und Jenny mit dem Spruch „Junge Liebe braucht keinen Platz“ in der Praxis wenig anfangen kann. Wie der Engpass ausgeht, wird hier natürlich nicht verraten, ist aber weniger originell, als man es erwarten dürfte. Dass man die Geschichte trotzdem über zwei Stunden entspannt genießt und mit einem guten Gefühl nach Hause geht, liegt in erster Linie am gut aufgelegten Ensemble.
Martina Anhang und Edmund Wilms – Foto © O-Ton
Das Einheitsbühnenbild wird inzwischen arg konform. Für die einen ist es fantasielos, für die anderen bereits eine Art Erkennungsmerkmal. Das Wohn-/Esszimmer hat rechts seinen Ausgang, rechts hinten einen weiteren Abgang, links einen Abgang zur Küche, ein angedeutetes Fenster, und der Ausgang zur Technik wird für manchen Zwischenauftritt genutzt. Das Licht ist anspruchslos. So kennen und lieben die Stammbesucher das. Überraschungen werden nicht vom Bühnenbild, sondern von den Dialogen erwartet. Und hier brummt es gewaltig.
Kristof Stößel spielt den Vater, der sich als Fahrradhändler abmüht und endlich sein Hobby, die Modelleisenbahn mit „Dolomiten-Diorama“, verwirklichen möchte. Sein durchgängiges Ächzen und Stöhnen wirkt auf Dauer ein wenig ermüdend, aber wenn er denn mal darf, läuft Stößel umgehend zur Höchstform auf. Herrlich wie immer die Interaktionen mit dem Publikum wie etwa beim Entledigen seiner Beinkleider in Erwartung einer sexuell anregenden Situation. Das Schauspiel, wenn er seine Hosen wieder anzieht, gehört zu den Höhepunkten des Abends. Ilka Schäfer spielt die Hausfrau und Mutter, die jeder aus eigener Erfahrung kennt. Kristina Molzberger und Benjamin Krüger präsentieren herrlich rotzig einen Nachwuchs, der sich im Hotel Mama ausruht, ohne es überhaupt zu bemerken. Wenn Edmund Wilms bei seinem running gag mit dem Ausruf „Seniorenresidenz“ ein paar Dezibel zurücknimmt, wird seine Rolle gewinnen. Martina Anhang verkörpert die hyperaktive Oma Gertrude mit Elan und – ja – zeitgemäß, wenn sie einen Aktionismus an den Tag legt, mit dem sich die Alten noch beweisen wollen, dass sie am täglichen Leben teilnehmen. „Kinder sind schlimmer als Bumerangs“, beschließt Schäfer den Abend lustvoll, hin- und hergerissen zwischen ihren Gefühlen.
Dass das Stück auf die musikalischen Einlagen früherer Aufführungen verzichtet, ist ein Verlust, den auch Stößels launige Absage nicht bessert. Hier bleibt ein Schatz verborgen, der hoffentlich in künftigen Aufführungen wieder gehoben wird.
Die Begeisterung des Publikums, das schon weiß, an welchen Stellen es zu klatschen hat, zum Beispiel beim ersten Auftritt Stößels, verliert dadurch kaum. Das Stück wird noch bis Ende Mai gespielt. Einen zusätzlichen Anreiz, sich das Werk mehrfach anzuschauen, bieten die wechselnden Besetzungen. Man kann sich hier mit einfacher Kost bedienen lassen und kommt trotzdem bestens gesättigt aus dem Theater. Dafür sorgen die Akteure, die dem Publikum mit so viel Spiellust einfach nur Spaß bereiten. Und, wie Stößel abschließend erzählt, bei den Besuchern für so viele Wiedererkennungseffekte sorgen.
Michael S. Zerban