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Anspruchslose Aufführung

HIMMLISCHE FREUDEN
(Anton Webern, Alban Berg, Gustav Mahler)

Besuch am
5. Juni 2023
(Premiere am 4. Juni 2023)

 

Sinfonieorchester Wuppertal, Historische Stadthalle Wuppertal

Anton Weberns Passacaglia für Orchester, Alban Bergs Sieben frühe Lieder und Gustav Mahlers vierte Sinfonie stehen auf dem Programm des zehnten und letzten Sinfoniekonzerts dieser Spielzeit im bei weitem nicht ausverkauften Großen Saal der Historischen Stadthalle Wuppertals. Allein die großartigen Werke, die in ihrer Urform in der Wende zwischen dem 19. zum 20 Jahrhundert – die hier präsentierte Orchesterfassung der Lieder rund ein Vierteljahrhundert später – entstanden sind, dürfen für Musikfreunde Ansporn sein, den Ort des Geschehens aufzusuchen, um zu lauschen, wie das Sinfonieorchester Wuppertal unter der Leitung seines Generalmusikdirektors Patrick Hahn sie zu Gehör bringt. Nicht alle Zuhörer ziehen jedoch selig wieder von dannen.

Patrick Hahn – Foto © O-Ton

Wie in der damaligen Zeit en vogue schrieb Webern sein Opus 1 für großes Orchester. Dessen ungeachtet entpuppt sich an diesem Stück seine hohe Meisterschaft im Umgang mit der Polyphonie. Er beschränkt sich nämlich nicht auf gängige Variationen über das achttaktige Grundthema. Laut Partitur erklingt es anfangs 20mal erkennbar. Erst danach, nach rund zwei Dritteln des Werks, wird es allmählich aufgelöst, bis es ganz verschwindet. In den Variationen werden nicht wie üblich die Gestalt des Themas behandelt, sondern die Tonhöhen-Klassen. Im weiteren Verlauf kommen wie neue melodische Erfindungen Gegenthemen hinzu. Sie werden wichtiger als das Hauptthema und wandern durch die unterschiedlichsten Instrumente und Instrumentengruppen. Es handelt sich also um ein feines, vielschichtig durchstrukturiertes Werk. Um die komplexe Tonschöpfung durchsichtig und allgemeinverständlich zum Erklingen zu bringen, ist es zwingend notwendig, den großen Orchesterapparat dynamisch derart fein auszubalancieren, als handelte es sich hörbar um ein Kammerorchester. Davon ist an diesem Abend unter Hahn, der während des gesamten Konzerts verlässlich taktschlagend für korrekte Einsätze sorgt, nur an leisen Stellen etwas erlebbar. Wird es lauter als Mezzoforte, sind die differenzierten Strukturen akustisch glattgebügelt bis hin zum sinfonischen Bombast im dreifachen Tutti, bei dem sich das Blech und Schlagwerk mächtig ins Zeug legen dürfen. Ob solch eine Aufführungspraxis im Sinne des Komponisten ist? Jedenfalls wird die vordergründig schön-gefällige Haltung mit viel Beifall honoriert.

Marlis Petersen – Foto © O-Ton

Eine Enttäuschung ist der Auftritt von Marlis Petersen bei Webern und Mahlers Finalsatz. Oder anders ausgedrückt: Ihr klassischer Koloratursopran, mit dem sie sich überall große Lorbeeren verdient, passt nicht zu der Form des Kunstliedes, die in den beiden Werken vorkommt. So können ihr Opern-Vibrato, ihre scharfe Höhe, das Legen des Gewichts auf Vokale, manche allzu verhaltene Pianoeinsätze schwerlich die Texte verständlich nachzeichnen, auf deren Inhalte es ankommt und ausgelotet gehören. Genauso bringt sie auch nach Webern als Zugabe die Zueignung von Richard Strauss nach dem Gedicht Habe Dank des österreichischen Dichters Hermann von Gilm, Teil der als Opus 10 veröffentlichten Liedsammlung, über die Bühne. Außerdem passt sich das städtische Orchester gerade bei lauteren Passagen nicht sensibel genug den Dynamiken der Stimme an, die so übertönt wird und deswegen nicht tragfähig genug anmutet.

Jedenfalls können die Wuppertaler Musikfreunde froh sein, in ihrer Stadt ein Orchester der Kategorie A ihr Eigen nennen zu dürfen. Es sorgt nämlich qua seiner dementsprechend hohen Güte gerade in den ersten drei Mahler-Sätzen für klangschöne, harmonische, große musikalische Linien. Nur wird ein wenig der dem Werk innewohnende reiche emotionale Gehalt vermisst, der tiefer ausgelotet werden könnte, um dementsprechend anzurühren. Doch die Vermittlung solch packender tiefgängiger Ausdrucksstärke kann keinem noch so perfekten Klangkörper ganz allein gelingen.

In Wuppertal geht es seit vielen Jahren gar nicht anders, als nach jedem städtischen Sinfoniekonzert stehend für einen langanhaltenden Schlussapplaus zu sorgen. So ist es selbstverständlich auch heute.

Hartmut Sassenhausen