O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

Foto © O-Ton

Aktuelle Aufführungen

Lieder ohne Worte

EVA-KLESSE-QUARTETT
(Diverse Komponisten)

Besuch am
27. Januar 2024
(Einmalige Aufführung)

 

Loch, Wuppertal

Draußen bringen zig Graffitis bunte Vielfalt auf die graue Fassade des Gebäudes und den zubetonierten, eintönigen Platz mit Treppenaufgang daneben. Drinnen, direkt rechts neben dem Eingang, kann man sich an einer Tischtennisplatte austoben. Seitlich davon lädt eine Sitzecke zum gemütlichen Plausch ein. Geradeaus verbreitet der Veranstaltungsraum behagliche Club-Atmosphäre. Der Platz vor der Bühne ist entweder bestuhlt oder ohne Sitzgelegenheiten eine Tanzfläche. Ferner lässt das Angebot an der Bar keine Wünsche offen. Dieser Ort ist ein sozio-kulturelles Zentrum im Wuppertaler Ortsteil Elberfeld mit dem griffigen Namen Loch. Dort ist viel los. Unter anderem treffen sich an Wochenenden die Nachtschwärmer, wenn DJs auflegen. Kulturfreunde von jung bis als alt kommen dorthin. Denn außerdem ist für jeden etwas in Sachen bildende Kunst, Wort, Gesang und Musik dabei. Zu den vielfältigen Kulturformaten gehört der Jazz-Club. Er bietet Konzerte mit talentiertem Nachwuchs und Musikern, deren Namen noch nicht in aller Munde sind.

Aber auch Jazzgrößen lassen sich nicht zweimal bitten. So konnte keine geringere als Eva Klesse für die erste Veranstaltung der Reihe im neuen Jahr gewonnen werden, die mit ihrem Quartett anreist. Vor rund sechs Jahren wurde sie als erste Jazz-Schlagzeugprofessorin Deutschlands an die Hochschule für Musik, Theater und Medien in Hannover berufen. Etliche Preise heimste sie mittlerweile ein, darunter 2021 den renommierten SWR-Jazzpreis. Ihre Konzerttätigkeit geht weit über die Landesgrenzen hinaus, bis hin nach China und Amerika. Vielen Jazzfans ist der Name Klesse natürlich geläufig. So wundert es nicht, dass sie sehr rechtzeitig kommen, vor noch geschlossener Tür geduldig warten, schließlich ruckzuck sämtliche Sitzplätze besetzen und mit viel Applaus das Eva-Klesse-Quartett empfangen.

Foto © O-Ton

Etliche Nummern seines letzten Albums Songs Against Loneliness sind mit im Gepäck: Glory glory misfits, Sergio Stanco, Song for Dave, Past, tense und als Zugabe Minor is what I feel. Mit dabei sind ein ganz neues, noch namenloses Stück und solche früherer Alben wie Brushing Hippopotami und Mr. Liu. Ausnahmslos stammen sie aus den Federn der vier Bandmitglieder. Nur die Zugabe hat der Gitarrist Wolfgang Muthspiel geschrieben. Das Programm kommt wie aus einem Guss von der Bühne. Das mag vor allem daran liegen, dass das Quartett seit nunmehr elf Jahren existiert, also die Musiker bestens aufeinander eingespielt sind. Kongeniale Partner sind Klesse, Evgeny Ring am Altsaxofon, Pianist Philip Frischkorn und Kontrabassist Marc Muellbauer. Blickkontakte selbst bei vertrackten Rhythmen oder komplexen Übergängen gibt es kaum. Man kennt sich, versteht sich blind. Solch ein in allen Belangen perfektes Zusammenspiel ist auf dem Gebiet des Jazz nicht alltäglich, da feste Bandbesetzungen überwiegend von nicht allzu langer Dauer sind.

Eins haben alle vorgestellten Werke, so unterschiedlich ihre Stile – kontemplativ, lyrisch, melancholisch, energisch, fetzig – sind, gemeinsam: Analog zum ersten Wort des oben erwähnten Albums muten sie wie Lieder an, denen der Text fehlt: die musikalische Charakteristik „Lieder ohne Worte“ beziehungsweise „Songs Without Words“, wie sie in der Klassik seit Felix Menselssohn Bartholdy bekannt ist. So ist auch der tradierte, tonale Jazzstil des Quartetts im Erzählton, mit einer leicht zugänglichen, oft sanglichen melodischen Lyrik und klaren Formen gehalten. Etwa wird musikalisch leicht nachvollziehbar erzählt, wie ein Flusspferd gebürstet wird, der Umgang mit dem chinesischen Tourneemanager Liu skurrile Züge annimmt, oder man sich an den legendären Jazzpianisten Dave Brubeck erinnert.

Sehr nuanciert kommen die musikalischen Geschichten und Anekdoten daher, die kunstfertig improvisatorisch weitergesponnen werden. Unter anderem brillieren Ring mit einem variablen Skalenspiel, Frischkorn mit kreativen harmonischen Rückungen, Muellbauer mit sensiblen Bassfolgen und Klesse mit einem über Beats und Groove hinausgehenden vielschichtig klingenden wie geräuschhaften Umgang mit ihren Trommeln und Becken.

Das Publikum zeigt sich begeistert, begleitet den Auftritt des Eva-Klesse-Quartetts mit langanhaltendem Beifall und entlässt die vier Vollblutmusiker nicht ohne die bereits erwähnte Zugabe von der Bühne.

Hartmut Sassenhausen