O-Ton

Kulturmagazin mit Charakter

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Aktuelle Aufführungen

Außergewöhnlicher Liedvortrag

DICHTERLIEBE
(Diverse Komponisten)

Besuch am
11. Juni 2022
(Einmalige Aufführung)

 

Klavier-Festival Ruhr, Historische Stadthalle Wuppertal

Haben sich dieses Jahr Bariton Matthias Goerne und Pianist Daniil Trifonov als kongeniales Duo gesucht und gefunden? Gerade ist ihr Liederalbum mit dem schlichten Titel Matthias Goerne · Daniil Trifonov – Lieder erschienen, mit dessen Inhalt sie nun auf einer kleinen Konzertreise sind. Zwischenstation machen sie im Rahmen des Klavier-Festivals Ruhr in der Historischen Stadthalle Wuppertal. Obwohl es sich um zwei weltbekannte Musiker handelt, die zum wiederholten Mal bei dem weltweit größten Festival seiner Art zu Gast sind, kommen nur wenige Musikfreunde in den Großen Saal. Sie erleben ein gehaltvolles Programm, das in dieser Zusammenstellung nicht alltäglich ist.

Kombiniert werden Alban Bergs Vier Lieder op. 2, Robert Schumanns berühmter Zyklus Dichterliebe, drei Lieder nach Gedichten von Michelangelo aus der Feder von Hugo Wolf, drei Lieder Dmitri Schostakowitschs aus seiner Suite nach Gedichten von Michelangelo und die späten Vier ernste Gesänge von Johannes Brahms. Es werden also Kunstlieder unterschiedlicher Epochen und Musiksprachen vorgestellt. Zum einen ist es bei Wolf, Schumann und Brahms die der Romantik. Dann verlässt Berg nach spätromantischem Beginn im ersten Lied hin zu neuen harmonischen Bereichen. Die meisterhafte Kontrapunktik ist in einen kammermusikalischen Klaviersatz eingebettet. Und Schostakowitsch schrieb seine aus elf Liedern bestehende Suite am Ende seines Lebens. Stilistisch ist sie quasi eine Neuerfindung der Harmonik Modest Mussorgskys, den er verehrte. Gemeinsam ist den vorgestellten Liedern Gedanken und Einsichten zu Leben und Tod.

Ohne die kleinste Unterbrechung wird das Programm in oben erwähnter Reihenfolge aufgeführt. Nahtlos gehen die Weisen Bergs, Schumanns, Wolfs, Schostakowitschs und Brahms‘ wie ein großes Lied mit 30 Strophen ineinander über. Indem sie mit der gleichen Haltung vorgetragen werden, klingen sie ähnlich. So treten die unterschiedlichen Tonsprachen in den Hintergrund. Der Schwerpunkt liegt hauptsächlich auf dem emotionalen Gehalt. Man kann also eintauchen in ein Wechselbad der Gefühle, in die sich Goerne mit seinem dunkel gefärbten Bariton begibt. Hinzu kommt eine gestenreiche Körpersprache, die seine wie in vielen Opern übliche dramatische Gesangskunst unterstützt. Dabei scheint es ihm nicht sonderlich wichtig zu sein, die deutschen Texte und bei Schostakowitsch den russischen Wortlaut mittels einer Lesebrille ablesend verständlich zu artikulieren.

Dabei ist ihm Trifonov ein sensibel mitatmender Liedbegleiter, der seine feine Anschlagskultur abgesehen von wenigen lauten Stellen ganz in den Dienst von Goernes außergewöhnlichem Kunstliedverständnis stellt. Säuselt er etwa Schumanns Im wunderschönen Monat Mai vor sich hin, kommen aus dem Konzertflügel ganz zarte Töne. Oder trägt der populäre Sänger derb Ich grolle nicht – die Nummer sieben der Dichterliebe – vor, klingt das Tasteninstrument dementsprechend brüsk. Kurzum: Diese Auffassung der Gestaltung von Kunstliedern ist für diejenigen gewöhnungsbedürftig, denen die Auslotung der Texte einhergehend mit einer unterstützenden und kontrastierenden Klavierbegleitung genauso wichtig ist wie seelischen Zuständen. An diesem Abend sind Goerne und Trifonov wohl nur die reinen Gefühle wichtig.

Standing ovations sind das Resultat des rund 80-minütigen Vortrags. Dafür bedankt sich das Duo als Zugabe mit der Arie Bist du bei mir, geh ich mit Freuden aus Gottfried Heinrich Stölzels Oper Diomedes, die 1718 in Bayreuth uraufgeführt wurde. Bekannt ist sie als Version für Singstimme und Continuo Bist du bei mir von Johann Sebastian Bach, BWV 508. Sie ist die Nummer 25 im Notenbüchlein für Anna Magdalena Bach von 1725. Auch hier hapert es an einer leicht nachvollziehbaren Textverständlichkeit. Einige Zuhörer beteiligen sich jedoch nicht am Beifall, bleiben ohne zu applaudieren sitzen.

Hartmut Sassenhausen